Leise flehende Glieder und die Zukunft hinter sich
Ballenstedt/MZ. - Die Alten fanden es einfach "scheeen" - was zum geflügelten Wort der Veranstaltung im Ballenstedter Schlosstheater werden sollte und vom Publikum immer wieder als Echo zurückkam - sich zu erinnern.
Das Trio Brigitte Heinrich, Detlef Nier und Gloria Nowack von der Dresdner Herkuleskeule zog unter dem Titel "Leise flehen meine Glieder", musikalisch unterstützt von Jens Wagner und Volker Fiebig, mit rabenschwarzem Humor übers Altwerden her. Ausgerechnet der bekannte Bergsteigerchor "Kurt Schlosser", per Video eingespielt, sang mit ernsten Mienen Franz Schuberts abgewandeltes "Leise flehen meine Lieder" als hintersinnigen Einstieg.
Ohne erhobenen Zeigefinger sinnierten die Künstler mal sarkastisch, mal feinsinnig, manchmal auch derb-frivol über Vergangenheit und Zukunft und trafen damit beim Publikum immer ins Schwarze. Wenn sie so meistens grummelnd auf ihrer Gartenbank saßen und sich "in einer Überflussgesellschaft überflüssig" fühlten, wussten sie, dass sie ein Problem sind und dass sie dem Staat schwer im Magen liegen.
Die Stärke des Programms lag auch darin, dass die "Senioren" in andere Rollen schlüpften. Brigitte Heinrich, die bis 1982 am Theater in Quedlinburg war, bevor sie an die Dresdner Herkuleskeule wechselte, als Oma Slibowitz und "Fleisch gewordene Alterspyramide" muss man genauso selbst erlebt haben wie Detlef Niers Wandlung vom schrulligen Rentner Sven-Otto in einen jugendlichen HipHopper oder seine solistische Glanzleistung mit "Mir tut nichts mehr weh" als Udo Lindenberg-Double. Gloria Nowack als vergessliche Oma Josephine, die herrlich verschämt kichern konnte, erhielt sogar Szenenapplaus für ihre hinreißenden Auftritte. Der Besuch ihres Alten im Krankenhaus, dem versehentlich ein Bein abgenommen wurde, oder das Solo als Rockröhre Tina Turner "Ich will jung sein", für den sie sich die Kittelschürze vom Leib riss und im roten Unterrock zur Bestform auflief, gehörten ebenso zu den Höhepunkten des von Wolfgang Schaller und Peter Ensikat geschriebenen Stücks wie der groteske Ehestreit am Frühstückstisch um einen fehlenden Eierlöffel.
Vom Blick in die Geschichte, "ich kann gar nicht mehr glauben, an was ich alles geglaubt habe", über "Sozialismus, Kommunismus und Rheumatismus" bis hin zur Rache der Ossis mit Merkel: "Wir haben uns an denen da drüben gerächt mit Miss Marple aus der Uckermark" blieb kein Auge trocken, auch weil alle drei Darsteller ihr Handwerk von der Pike auf gelernt haben. Als die Senioren drohten, "wenn wir Rente erst mit 80 kriegen, dann werden wir eben 110 Jahre alt", blickte nicht nur ein junger Mann im Saal überrascht drein, dem zugeraunt wurde: "Was Sie noch vor sich haben, möchte ich nicht hinter mir haben." Zum Schluss stand die "Alte Garde" auf und sang das alte Kampflied mit neuem Text: "Im Morgenrock entgegen und Krampfadern im Bein - alleine desterwegen kriegt uns der Feind nicht klein." Einfach scheen, dieser Nachmittag.