Harz Harz: «Wir müssen wohl anbauen»
neinstedt/MZ. - Für dieses jährliche Konzert in der Aula der Neinstedter Anstalten finden sie sich zusammen, in diesem Jahr übrigens zum zehnten Male. Der Bauingenieur, die Zahnärztin, der Physiker und all die anderen Instrumentalisten, die aus Meißen und München, Dresden, Halle, Leipzig, Nordhausen oder Quedlinburg kommen, um 24 Stunden zu proben und dann ein Konzert zu geben.
Bis auf die kurzfristig für Ulrike Hofmann eingesprungene Leipzigerin Almut Seidel sind alle keine Profi-Musiker, sondern Menschen, welche Spaß am Musizieren haben. Es sind Freunde und Bekannte von Kantor Hans-Martin Fuhrmann und solche, die diese mitbringen, um Kammermusik zu machen. Die junge Deborah-Helene Fuhrmann erlebte dabei ihre "Orchester-Premiere". Dass die Aula überquoll, "wir müssen wohl anbauen", scherzte Fuhrmann, zeugt von der Beliebtheit der Reihe, in der er Klassisches mit Neuem mischt.
In die Herzen spielten sich die zwölf Musiker wohl besonders mit dem "Streicher-Swing" von Annegret Stier. Die 1996 verunglückte produktive Komponistin und Kirchenmusikerin gehörte zu den Kommilitonen von Kantor Fuhrmann. Sie dachte sich damals, warum immer den Sängern, Bläsern und Organisten beim Swingen oder Jazzen den Vortritt lassen? Mit ihren acht kleinen Stücken wie "Swing in F" oder "Boogie", von denen drei erklangen, können auch Streichquartette endlich hemmungslos ihrer Swingleidenschaft frönen. Was das temporäre Ensemble von Neinstedt sehr engagiert tat.
Im Concertino Nr. 5 vom 1934 geborenen Kirchenmusikdirektor Gustav Gunsenheimer stachen die Flöten-Passagen deutlich hervor und überspielten kleinere Unsicherheiten. Bei Joseph Haydns recht oft gespieltem Konzert G-Dur für Violine solo, zwei Violinen, Viola und Bass versucht das Kammerensemble, dem Zauber Haydnischer Einfälle nachzuspüren. Die Interpretation bietet gerade wegen einer recht vibratoarmen Tongebung dabei durchaus anrührende Passagen, ohne musikalisches Süßholz zu raspeln.
Viel Beifall gab es zudem für Johann Sebastian Bachs "Brandenburgisches Konzert Nr. 4 G-Dur". Hier schlug die Stunde von Almut Seidel, die ihre Artikulation und differenzierte musikalische Auffassung gut auf ihre Mitspieler übertrug. Eine besondere Leistung, wenn man die kurze Probenzeit betrachtet. So korrespondieren Streicher sowie die Flötistinnen Andreas Wulff-Woesten und Veronika Voß dann doch sehr gut - und das Publikum erlebt einen lebendigen Widerstreit von Flöten und Soloviolinen, wobei die Balance zwischen den Soloinstrumenten prima gehalten wurde. Sichtlich beeindruckt zeigte sich der Vorsteher der Neinstedter Anstalten Jürgen Schwartz. "Ich bin begeistert, was Sie musikalisch an diesem Wochenende zusammengefügt haben", sagte er in seinen Dankesworten. Neben der sensiblen Leitung der Aufführung durch Kantor Hans-Martin Fuhrmann war es Ursula Glahn, welche mit angenehmer Stimme, unaufgeregt, doch sehr emotional die Musikstücke verband, die diesen Sonntagnachmittag in der Aula prägte. Lange Jahre war die Seniorin hier in Neinstedt Dozentin und hält jetzt noch Kontakt zu den afrikanischen Diakonen. Nicht weniger eng gestaltet sich ihre Bindung zur Musik. "Im Sommer werde ich wieder bei der Messias-Aufführung mitsingen", so Glahn.