Gernrode Gernrode: Gestrandeter Weltreisender wohnt im Hotel Stubenberg

Gernrode - Hans, 52, hat alle Brücken hinter sich abgebrochen. Er ist komplett blank, hätte fast seinen Fuß verloren und erlitt dann noch einen Schlaganfall. Wenn es ihm schlecht geht, deutet er schon mal an, dass es ihm nichts ausmachen würde, jetzt aus dem Leben zu scheiden. Hans aus Lüdenscheid im Sauerland, der nicht seinen kompletten Namen in der Zeitung lesen will, wollte eigentlich vor Jahren eine Weltreise machen. Er ist jedoch im Harz hängengeblieben. Gestrandet. Jetzt lebt er bei freier Kost und Logis im Stubenberghotel in Gernrode. Es hätte schlimmer kommen können.
Im Internet gibt es eine Spur von Hans. Dort wird vom „SelbstAusbauerTreffen“ 2002 der Wohnmobilszene berichtet. Hans hat für seinen Fiat Cinquecento eine Urkunde und 50 Euro für den „pfiffigsten Selbstausbau“ bekommen. „In dem Kleinwagen hat er vieles, was in größeren Wohnmobilen fehlt, untergebracht“, heißt es: „Eine Liegefläche von bis zu zwei Metern, Drei-Flammen-Herd, Kühlbox, Fernseher, Tisch, Spüle, Frisch- und Abwassertank, Markise u.v.m.“
„Er ist mir am 18. Oktober 2010 zugelaufen“, sagt Henry Keilwitz, der Inhaber vom Hotel Stubenberg in Gernrode, und schaut ernst. Keilwitz, ein runder, wuseliger Mann, hatte damals noch die Pension am Gegenstein in Ballenstedt und Hans noch ein Motorrad und genügend Geld, um die Übernachtung zu bezahlen. Eigentlich wollte er nur eine Nacht in Ballenstedt bleiben und dann weiterfahren. Doch aus einer Nacht wurden zwei und dann drei. Und als Hans zum Ende der Woche stürzte, konnte er nicht mehr fahren. Dann kam der Winter. Hans blieb, und die beiden Männer einigten sich auf einen Sonderpreis: 20 Euro pro Tag für Übernachtung und Halbpension.
Keilwitz und seine Frau Christine grübelten darüber, ob niemand Hans vermisst. „Wir fragten ihn, wo er herkommt und was er dort macht - aber wir bekamen nie eine Antwort“, sagt Keilwitz. „Irgendwann haben wir keine Fragen mehr gestellt.“ Etwa zu diesem Zeitpunkt wurde auch Hans’ Geld knapp, und er durfte fortan kostenlos bei den Keilwitzens wohnen. Als Gegenleistung wurde er im Juli 2011 als Aufpasser im von dem Ehepaar gekauften Hotel Stubenberg einquartiert. Er sollte während der Umbauarbeiten nach dem Rechten sehen.
Im Sommer 2014 kam der Einschnitt: Durch Hans’ schweren Diabetes war sein Fuß so heftig entzündet, dass das Ehepaar ihren Gast schleunigst ins Krankenhaus nach Quedlinburg schaffte. „Es wäre fast zu spät gewesen“, sagt Hans und streicht sich über den nikotingelben Bart. „Ich dachte, sie schneiden den Fuß ab.“
Keine Krankenversicherung
Den Fuß konnten die Ärzte retten, aber Hans hatte keine Versicherung. Wegen einer Krankheit habe er seinen Job als Maschinenbediener verloren, sagt er. Sich mit Ämtern herumzuschlagen - dazu habe er keine Lust gehabt, sagt Hans. „Je weniger Leuten du auf den Senkel gehst, desto weniger musst du Danke sagen.“ Trotz seiner Arbeitslosigkeit habe er damals „das gute Leben“ weiter genießen wollen, sagt Hans. Eine Erbschaft habe ihm dabei geholfen. „Ich habe mich aufs Moped gesetzt und bin dann wie in einem schlechten Roadmovie losgefahren“, sagt er. „Ich habe vielleicht ein bisschen zu viel gelebt.“
Nun stand er da: „Mit meinem halb abgehackten Fuß haben sie mich von der einen Straßenseite auf die andere geschickt.“ Dann bekam er auch noch einen Schlaganfall. Kein Amt habe sich zuständig für den mittellosen Mann gefühlt, sagt Henry Keilwitz. „Wenn man sieht, wie die mit ihm umgegangen sind...“, sagt dessen Frau Christine. „Es hat nicht viel gefehlt, dann wäre er auf der Parkbank verreckt.“ Doch die Keilwitzens halfen Hans. Boxten seinen Antrag beim Jobcenter durch, wechselten seine Verbände, verboten ihm das Rauchen. Unterstützung bekamen sie von der Apotheke und einem Arzt im Ort. „Es ging um Leben und Tod“, sagt Christine Keilwitz.
Wie geht es nun weiter? „Wenn das mit dem Fuß besser wird, werde ich mal gucken, ob der Henry mir eine Arbeit anbieten kann“, sagt Hans. Wegschicken werden sie ihn jedenfalls nicht, sagt Henry Keilwitz. „Wenn wir ihn im Obdachlosenasyl absetzen würden, würde er eingehen.“ (mz)