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Fund  Fund : Im Schutt konserviert

Von Petra Korn 28.03.2018, 11:41
Die Lederschuhe
Die Lederschuhe Redaktion

Quedlinburg - Sie sind spitz zulaufend, zeigen deutliche Gebrauchsspuren, sind aber sehr gut erhalten: zwei etwa 600, 650 Jahre alte Schuhe. Entdeckt wurden die mittelalterlichen Lederschuhe bei Bauarbeiten in der Franziskanerkapelle in Quedlinburg. „Das ist wirklich etwas Schönes, etwas Außergewöhnliches. So etwas hat man nicht alle Tage, vor allem hier in unseren klimatischen Zonen“, sagt Oliver Schlegel, Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde beim Landkreis Harz und Kreisarchäologe.

An der Franziskanerkapelle laufen derzeit im Auftrag der Stadtverwaltung Quedlinburg Sanierungsarbeiten. Das kleine Gebäude - ein Rest des ehemaligen Franziskanerklosters aus dem 13. Jahrhundert - soll dann durch die benachbarte Bosse-Sekundarschule genutzt werden können (die MZ berichtete). Doch zuvor sind umfangreiche Baumaßnahmen an der Kapelle erforderlich, bei denen unter anderem statische Probleme behoben werden müssen.

Soll soll auch der Mittelpfeiler in der südlichen Außenwand saniert werden. „Dafür mussten in einem Streifen von etwa 50 Zentimetern der Estrich-Boden im Obergeschoss geöffnet und Teile der losen Schüttung über der Gewölbedecke des Erdgeschosses aufgenommen werden“, sagt Grit Janek, Mitarbeiterin beim Hoch- und Tiefbauamt sowie Bauleiterin. In diesem losen Material haben die mit den Arbeiten beauftragten Steinmetze der Werkstätten für Denkmalpflege die Schuhe gefunden: zwei rechte Schuhe, die wie Pantoffeln in einander geschoben waren. „Sie haben sie gleich beiseite gelegt“, so Grit Janek, die den Fund an Oliver Schlegel mit der Bitte um fachliche Begutachtung weitergab.

„So etwas findet man eher in Ägypten oder im Sudan“, sagt der Kreisarchäologe. Dort, unter Luftabschluss und dauerhaft trockenen Lagerbedingungen - aber auch in Mooren -, könne solches organisches Material erhalten bleiben, während es sich durch die regulären klimatischen Bedingungen hierzulande relativ schnell zersetze. Offensichtlich aber hätten die Schuhe mehr als 600 Jahre unberührt in der Kapelle gelegen, eingebettet „in extrem kalkhaltigen Bauschutt, der die Feuchtigkeit entzogen hat“. So seien sie trocken konserviert worden. Das Leder sei dadurch starr geworden, könne nicht mehr gebogen werden. Aber: „Sie sehen wirklich gut aus. Man kann die Form gut erkennen.“

Oliver Schlegel datiert die Schuhe in das späte 14. bis frühe 15. Jahrhundert. Hintergrund dafür ist zum einen, dass es bestimmte Schuhtypen nur in bestimmten Zeiten gab, sie modischen Erscheinungen unterlagen. Beispielsweise wurden im 15. Jahrhundert extrem spitze Schuhe modern. Zum anderen ermöglicht die Art der Fertigung eine Einordnung. So handelt es sich bei den gefundenen um im Mittelalter übliche, sogenannte wendegenähte Schuhe: Das heißt, Sohlen- und Oberleder wurden über hölzernen Leisten auf der Fleischseite zusammengenäht, erläutert der Kreisarchäologe. Nach dem Vernähen seien sie gewendet worden. Damit seien außen am Schuh keine Nähte mehr sichtbar geblieben. Zudem würden die Schuhe zwischen Sohlen- und Oberleder eingelegte Lederstreifen aufweisen. Das sei ab dem 12. Jahrhundert zur Abdichtung und Versteifung der besonders beanspruchten Sohlennaht üblich gewesen.

Für die Sohle wurde stabiles Rindsleder verwendet, für das Oberleder Schafs- oder Ziegenleder, erklärt Oliver Schlegel. „Das ist sehr weich und relativ dünn.“ Daher sei - bei einem der Schuhe noch deutlich zu sehen - der Fersenbereich mit einer Kappe verstärkt worden. Das wurde ab dem 13. Jahrhundert gemacht. Verschlossen worden seien die Schuhe mit einem Riegel, einem zum Doppelband gestalteten Riemen über die Oberseite des Fußes, der aber nicht mehr erhalten sei. Ob sie von Männern oder Frauen getragen worden seien, lasse sich nicht klären. Wie Oliver Schlegel sagt, dürfte die ursprüngliche Größe der durch die Trocknung geschrumpften Schuhe die 36 gewesen sein. Und die liegt im Mittelalter im Grenzbereich beider Geschlechter.

„Weil die Sohle relativ dünn war, waren die Schuhe relativ schnell verschlissen.“ So hätten die Menschen in jener Zeit drei, vier Paar Schuhe pro Jahr gebraucht. „Es gab viele Schuhmacher und auch Flickschuster, die aus dem alten Material noch etwas herstellten.“ Zeichen dafür finden sich auch an den Lederschuhen aus der Franziskanerkapelle: Aus beiden wurden Teile herausgeschnitten.

Die Schuhe gehen nun übrigens - samt Fundbericht - nach Halle zur Restaurierung und in die Sammlung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie. Sie werden sicher einmal gezeigt werden, so Schlegel. „So viel Schuhmaterial aus Sachsen-Anhalt haben wir auch nicht.“ (mz)

Oliver Schlegel zeigt die mittelalterlichen Schuhe. 
Oliver Schlegel zeigt die mittelalterlichen Schuhe. 
Redaktion