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Ballenstedter Autorin Bettina Fügemann Ballenstedter Autorin Bettina Fügemann: Wenn aus Maria Maritje wird

Von Uwe Kraus 31.08.2015, 10:19
Das Foto auf dem Bucheinband von „Ich suche eine neue Mutti“ zeigt Kinder in einem Bernburger Kinderheim in der Nachkriegszeit.
Das Foto auf dem Bucheinband von „Ich suche eine neue Mutti“ zeigt Kinder in einem Bernburger Kinderheim in der Nachkriegszeit. Mitteldeutscher Verlag Lizenz

Ballenstedt - Bettina Fügemann hat Menschen interviewt, die nach dem Zweiten Weltkrieg Flucht und Vertreibung überlebt haben. Erschütternd und berührend berichtet sie in ihrem im Mitteldeutschen Verlag mit Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Buch „Ich suche eine neue Mutti“ über die Situation von Kriegskindern, Flüchtlingskindern und Waisenkindern, die allein in den besetzten Ostgebieten zurück geblieben sind.

Sie erzählt von Mädchen und Jungen, die beinahe getötet oder verhungert wären und die in Sachsen-Anhalt ein neues Zuhause fanden. „Drei von ihnen leben heute in Ballenstedt, je einer in Meisdorf und Hoym“, erzählt die Verfasserin des Buches.

Einer ihrer Interviewten wurde von der Mutter in einem Kolberger Kinderheim „vergessen“, ein Mädchen überlebte als Wolfskind in Litauen. Fügemann erläutert: „Das waren anhanglose deutsche Kinder und Jugendliche, die im Frühjahr 1947 dem drohenden Hungertod im nördlichen Ostpreußen zu entgehen versuchten, in Litauen bei Bauern unterkamen und ihre Herkunft zeitweise oder mit Hilfe einer neuen Identität gar dauerhaft verschleiern mussten.“ Die Litauer nannten sie vokietukai, „kleine Deutsche“. Ihren wirklichen Namen vergaßen die Drei- und Vierjährigen, aus Marie wurde Maritje, aus Johann Jannis. „Ihrer deutschen Identität wurden sie sich erst sehr spät bewusst.“

Den Anstoß für die komplizierte Forschungsarbeit gab die eigene Familiengeschichte. Sie erzählt von der Stadt Pillau, von Klara, der Vertriebenen, deren Hochzeit und der Geburt ihrer Zwillinge. Von denen überlebte nur der vermeintlich Schwächere, Fügemanns heutiger Gatte. Solche Lebensgeschichten gibt es tausendfach, sie nehmen in Ostpreußen, Pommern und Litauen ihren Anfang. Väter waren im Krieg, Mütter starben. Oft blieben die Kinder allein zurück.

Immer wieder suchte Bettina Fügemann Zeitzeugen, fand Unterstützung beim Verein „Kreisgemeinschaft Fischhausen“, reiste mehrmals nach Ostpreußen, nach Pinneberg und Heiligenhafen, fand kaum Fotos, „die waren oft im Osten geblieben.“ Sie lobt den DRK-Suchdienst als wichtiges Instrument, um Lebensläufe zu rekonstruieren und Angehörige der heute meist fast 80-Jährigen zu finden.

Die Autorin freut sich, dass in den nächsten Tagen ihr Buch für alle zugänglich ist. Als Abschluss eines Kapitels sieht sie es nicht. „Eher als Bewahren eines Stücks Geschichte, die gerade hier im Osten beim Thema Flucht und Vertreibung ziemlich zurechtgebogen wurde.“ (mz)