1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Quedlinburg
  6. >
  7. Währungsunion 1990: Am 1. Juli 1990 standen viele Menschen in Quedlinburg Schlange vor Sparkasse am Markt: Erste D-Mark vom Konto abgehoben

Währungsunion 1990 Am 1. Juli 1990 standen viele Menschen in Quedlinburg Schlange vor Sparkasse am Markt: Erste D-Mark vom Konto abgehoben

Von Rita Kunze 15.05.2020, 07:56
Vor der Sparkasse Quedlinburg stehen am Sonntag, 1. Juli 1990, Menschen für den Umtausch der DDR- in D-Mark Schlange. Und ein Händler verkauft Bananen.
Vor der Sparkasse Quedlinburg stehen am Sonntag, 1. Juli 1990, Menschen für den Umtausch der DDR- in D-Mark Schlange. Und ein Händler verkauft Bananen. Archiv/J. Meusel

Quedlinburg - Der 1. Juli 1990 war ein Sonntag. Am Freitag davor haben Werner Reinhardt und seine Kollegen Abschied genommen: „Es war der letzte Tag mit DDR-Mark“, sagt Reinhardt. Damals war er 34 Jahre alt, Chef der Sparkasse in Halberstadt und stand vor seiner bis dahin größten Herausforderung: die Währungsunion.

Am 18. Mai 1990 hatten die Bundesrepublik Deutschland und die ihrem endgültigen Ende entgegengehende DDR die Wirtschafts- und Währungsunion vereinbart. Wenige Wochen später setzt die Währungsunion ein, der die Wirtschafts- und Sozialunion folgen werden.

Grenzkontrollen zwischen beiden Staaten gibt es ab dem 1. Juli nicht mehr. Und die Bürger der DDR bekommen an diesem Tag etwas, das die meisten von ihnen sehnlichst erwartet haben: „Die Leute schrien danach, die D-Mark zu bekommen“, erinnert sich Reinhardt. Wende, Umbruch, Neubeginn - für den Banker eine„unheimlich spannende Zeit“, wie er sagt. Ganz besonders der 1. Juli 1990.

Säckeweise wird die D-Mark in den Filialen der Sparkasse verteilt

Der schöne Sommertag beginnt für Reinhardt und seine Mitarbeiter um fünf Uhr morgens: Säckeweise wird die D-Mark in den Filialen verteilt, insgesamt rund 20 Millionen. „Ich habe manches unterschrieben, auch in dieser Größenordnung, aber ich habe nie wieder so viel Bargeld auf einem Haufen gesehen“, sagt Reinhardt, der später zum Vorstandsvorsitzenden der Harzsparkasse aufgestiegen ist. Seit 2018 ist er im Ruhestand.

Der Tag der Währungsunion hat seine Arbeit und die seiner Mitarbeiter grundlegend verändert. Es war nicht nur DDR- in D-Mark umzutauschen. Das bis dahin sehr übersichtliche Geldgeschäft wurde vielseitig, denn es gab nicht länger nur 3,25 Prozent Zinsen aufs Sparbuch wie aufs Girokonto, Kredite für junge Eheleute und Wohnungsbau-Finanzierungen mit einem Prozent Zinsen. Nun kletterten die Zinsen für Kredite enorm in die Höhe, aber ebenso für Geldanlagen. 

„Unsere beste Rechenmaschine war Vorkriegsware“, erinnert sich Werner Reinhardt

Die Technik blieb aber erst einmal dieselbe: „Unsere beste Rechenmaschine war Vorkriegsware“, erinnert sich Reinhardt. Wenn Mitarbeiter der Partnersparkasse aus dem niedersächsischen Gifhorn zur Unterstützung in den Osten kamen, gerieten sie über diese Arbeitsbedingungen ins Staunen.

Und auch der Sparkassenchef im Ruhestand wundert sich über die damaligen Verhältnisse - die freilich vieles möglich machten. Als seine Mitarbeiter den Umfang des Umtauschs kaum noch bewältigen konnten und mit einem drängenden „Das Geld wird alle!“ auf ihn zukamen, habe er erst einmal gesagt: „Zählt langsamer!“

Dann habe er bei der benachbarten Bank für Land- und Nahrungsgüterwirtschaft rund 100.000 D-Mark „Nachschub“ besorgt. „Die Sparkasse hatte da gar kein Konto - aber sie haben alles wiederbekommen.“ Die Sparkassen wurden von der Magdeburger Filiale der Bundesbank mit Geld versorgt.

Die regionalen Sparkassen wurden von der Filiale der Bundesbank in Magdeburg mit Geld versorgt

„Da gab es dann riesige Schlangen, weil auch andere Banken von dort ihr Geld holten“, erinnert sich der Banker, der sich zur Versorgung seiner Filialen mit Bargeld mit einem Lada und Polizeischutz auf den Weg machte.

Oberste Prämisse sei immer gewesen, dauerhafte Kundenbeziehungen aufzubauen und zu erhalten und nicht das schnelle Geld zu verdienen, sagt Reinhardt. „Es gab genügend Drückerkolonnen, bei denen der Nutzen für den Kunden nicht der größte gewesen ist“, sagt er. Das A und O ist für ihn Verlässlichkeit. Davon habe die Sparkasse bis heute profitiert - mit einem Marktanteil von fast 60 Prozent.

„Es gab riesige Probleme mit Betrieben, da ist alles weggebrochen“

Mit der D-Mark bekamen die DDR-Bürger eine Währung, die auch etwas wert war. Durch den Umtauschkurs - nur ein Teil des Geldes wurde gleichwertig gewechselt, der Rest verlor die Hälfte an Wert - war es „bitter für viele, dass ein Teil ihres Vermögens ‚abgewertet‘ wurde“, resümiert der Finanzfachmann. „Aber was sie dafür bekommen haben, war mehr wert. Ich glaube, es war richtig.“

Aber „wir haben natürlich auch die negativen Seiten gespürt“, setzt er hinzu. Es sei abzusehen gewesen, dass die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion „verheerende Auswirkungen mit hoher Arbeitslosigkeit“ mit sich bringen würde. „Es gab riesige Probleme mit Betrieben. Da ist alles weggebrochen. Manches, das heute passiert, erklärt sich noch aus dieser Zeit, wenn wir uns beispielsweise die Wahlergebnisse ansehen.“ (mz)