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Ziegelrodaer Forst Ziegelrodaer Forst: Münchhausens wahre Geschichte

Von Dirk Skrzypczak 05.01.2016, 14:09
Die Abenteuer des Lügenbarons wie der Ritt auf der Kanonenkugel wurden mehrfach niedergeschrieben und verfilmt.
Die Abenteuer des Lügenbarons wie der Ritt auf der Kanonenkugel wurden mehrfach niedergeschrieben und verfilmt. dpa Lizenz

VAHLBERG/Vitzenburg - Gäste empfängt Rembert Hubertus Freiherr von Münchhausen in der gläsernen Galerie seiner Gartenvilla auf dem Rittergut im niedersächsischen Groß Vahlberg, 14 Kilometer von Wolfenbüttel entfernt. Das Fachwerkhaus steht leicht erhöht, so bietet sich Richtung Norden ein weiter Blick über das Gut mit seinem wuchtigen Drei-Seiten-Hof bis hin zum Elm in der Ferne, der letzten nennenswerten Erhebung vor der Norddeutschen Tiefebene. Groß Vahlberg selbst schmiegt sich an den Fuß des kleinen Höhenzugs Asse, berühmt und berüchtigt durch ein still gelegtes Bergwerk, in dem Fässer mit radioaktivem Abfall lagern.

Die Asse sieht der Freiherr von seiner Galerie nicht, dafür aber einen malerischen Park mit alten Bäumen und kleinen geschwungenen Brücken: ein Kleinod im Rang eines Landschaftsschutzgebietes. „Hier oben fühle ich mich zu Hause. Ich liebe die Ruhe in der Natur“, sagt der 63-Jährige. Heimat bedeuten für die Familie von Münchhausen auch 530 Hektar Wald im Ziegelrodaer Forst oder das Schloss Vitzenburg, das bis 1945 in Familienbesitz gewesen ist, bevor das Adelsgeschlecht entschädigungslos und vollständig durch die sowjetische Militäradministration enteignet wurde.

Großvater starb in Buchenwald

Rembert von Münchhausen, ein offenbar besonnener Mensch mit einer ruhigen Stimme, wird beim Thema Zwangsenteignung lauter. Dass in der sowjetischen Besatzungszone Grundstücksbesitzer ihr Eigentum behalten durften, wenn das Land eine Fläche von 100 Hektar nicht überschritt, alle anderen, die mehr besaßen, aber alles verloren haben und wie Kriminelle behandelt wurden, „ist eine große Ungerechtigkeit gewesen, die auch nach der Wiedervereinigung nicht getilgt wurde“. Eine Ungerechtigkeit, die Münchhausens Großvater, der ebenfalls Rembert hieß, mit dem Leben bezahlte. Er wurde aufgrund seiner adligen Abstammung nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert, das die Sowjets bis 1950 als Speziallager weiter betrieben hatten. „Mein Großvater ist dort verhungert. Wie schlimm und grausam es in dem Lager war, wissen wir von einem Mithäftling, einem Schuhmacher, der seine Erinnerungen niedergeschrieben hat. Die Zeilen hat er in einem Büchlein mit Geschichten über den Lügenbaron Münchhausen versteckt, damit sie kein Spitzel findet“, erzählt der Freiherr. Jener Lügenbaron übrigens, Hieronymus von Münchhausen (1720 - 1797), dem die wundersamen Abenteuer wie der Ritt auf einer Kanonenkugel angedichtet worden sind, ist einer seiner Vorfahren.

Mutter stammte aus Vitzenburg

Der Stammbaum des mittlerweile weit verzweigten Adelsgeschlechts der Münchhausens lässt sich bis 1166 zurückverfolgen und ist seitdem auch lückenlos dokumentiert. Die väterliche Linie Remberts von Münchhausen hat ihre Wurzeln im Weserbergland und in Braunschweig. Schloss Vitzenburg wiederum mit seinem Waldbesitz und 2 000 Hektar Ackerland gehörte der Adelsfamilie von der Schulenburg. Durch die Heirat von Großvater Rembert mit Gräfin Auguste, der Besitzerin von Vitzenburg, ergibt sich die Verbindung zu den Münchhausens nach Niedersachsen. „Meine Mutter Annemarie, in Vitzenburg geboren und aufgewachsen, hatte meinen Vater Adelbert geheiratet“, erzählt der Freiherr. Hin und wieder wird er auf der Straße mit „Herr Baron“ angesprochen - am Stammsitz in Groß Vahlberg wie auch im Ziegelrodaer Forst. Doch darauf pocht er nicht, auf die richtige Aussprache des Familiennamens schon. Die Betonung liegt auf der ersten Silbe, das ist ihm wichtig. In ihrer Heimatgemeinde gelten die Münchhausens als bodenständig - auch und vor allem Ehefrau Verena, eine geborene von Hardenberg, die schon ehrenamtlich als stellvertretende Bürgermeisterin gearbeitet hat. Das Paar hat drei erwachsene Kinder.

In Groß Vahlberg mit seinen 420 Einwohnern interessiert die Menschen die Schachtanlage Asse freilich wesentlich mehr als das Schicksal der Aristokratie. Hier steht vor fast jedem Haus eine gelbe Tonne mit dem Atomsymbol. Oder ein großes A, aus Holzlatten gezimmert. Es sind Zeichen des Protests. Zwischen 1967 und 1978 wurde in dem Salzstock die Endlagerung radioaktiver Abfälle erprobt. 126 000 (!) Fässer stehen in 750 Metern Tiefe. Die Region fürchtet die Kontamination durch den verstrahlten Müll; das Bergwerk ist nicht sicher. Der Bund hat sich zur Sanierung bekannt.

Die Münchhausens kämpfen mit den Leuten um eine sichere Zukunft. Sie engagieren sich nach wie vor in der Kommunalpolitik und in der örtlichen Kirchengemeinde. Und sie pflegen ihr Erbe. 1776 hatte die Familie das Rittergut übernommen. Zunächst nutzte sie das Anwesen als Sommerresidenz. Den Winter verbrachte sie in Braunschweig. Im 19. Jahrhundert wurde Groß Vahlberg zum Stammsitz. „Und wenn die Familie zusammenkam, als die DDR noch existierte, dann wurde auch immer über Vitzenburg gesprochen. Und so wurde es auch nicht vergessen.“

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Rückkehr nach dem Mauerfall

Nach 1990 kehrten die Vertriebenen zum Ziegelrodaer Forst zurück. Den alten Besitz, jetzt „volkseigene“ Ländereien im Eigentum der Bundesrepublik, durften die Enteigneten zu einem vergünstigten Preis erwerben - so sie es denn wollten. Die Münchhausens kauften so ihre 530 Hektar Wald zurück. Schloss Vitzenburg gehört jetzt einem Unternehmer aus Berlin, das Ackerland einem Agrarbetrieb, der nach der Wende aus dem Westen in den Osten kam. Zweimal pro Monat ist Rembert von Münchhausen in seinem Wald, gute zwei Autostunden von Vahlberg entfernt. Dann wohnt er im Schlosshotel Nebra. Zwar besitzt er in Vitzenburg auch ein ehemaliges, kleines Gasthaus direkt am Schloss. Doch um das Gebäude wird sich wohl Sohn Georg kümmern, der sich dort einen Weinberg gekauft hat.

Der Familie Münchhausen gehören neben 530 Hektar Wald im Ziegelrodaer Forst auch Waldflächen bei Nebra - der sogenannte Vogelherd. Um das Waldstück rankt sich eine interessante Geschichte. Heinrich I. (876 - 936), Herzog von Sachsen und König des Ostfrankenreiches, war auf einem Ausritt aus einer Pfalz in Memleben zur Unstrut. Im Vogelherd soll ihn die Nachricht von der geplanten Erhebung zum König erreicht haben. Ein Gedenkstein erinnerte an die historische Begegebenheit, doch das Denkmal ist verschwunden. Rembert von Münchhausen will im Forst nach dem Stein suchen lassen. Er hofft, dass das Erinnerungsstück nicht abtransportiert und zerstört, sondern eventuell im Wald vergraben wurde. Heinrich I. spielt auch für die Geschichte Merseburgs eine bedeutende Rolle. Der Herrscher hatte in der Stadt eine Königspfalz errichtet und damit die Rolle Merseburgs als Machtzentrum mit Mittelalter begründet.

Den Ziegelrodaer Forst hatte der Adel schon frühzeitig für sich entdeckt. Mitte des 16. Jahrhunderts gehörte das Gebiet zum sächsisch-weißenfelsischen Hof. Vor etwa 350 Jahren betrieben die Herzöge dort die höfischen Jagden in den Revieren Hermannseck, Lodersleben, Oberschmon und am Wendelstein. Noch heute lassen sich Zeugnisse dieser Zeit finden, etwa das Prinzenhäuschen im Revier Ziegelroda oder der Prinzenstein bei Lodersleben. Höhepunkte waren seinerzeit die Hirschfeiste im Juli und August - große Treibjagden im Forst. Ein Jagdschloss besaßen die Herzöge aber nicht. Sie nutzten daher die Burg Querfurt und die Burg Wendelstein als Jagdresidenzen.

Zu Hause auf dem Rittergut führt Rembert von Münchhausen einen landwirtschaftlichen Betrieb und setzt damit eine 250 Jahre alte Familientradition fort. Der passionierte Jäger ist im Ziegelrodaer Forst zudem Vorsitzender der Hegegemeinschaft Rotwild. „Ich will das Rotwild erhalten und bin kein Freund von radikalen Methoden wie den großen Jagden, bei denen 170 Jäger auf alles schießen, was sich bewegt“, sagt der 63-Jährige und verhehlt nicht, dass er vor allem mit den Vertretern aus dem Landesforst schon einige Dispute geführt hat. Die isolierte Hirschpopulation im Forst beschäftigte schon seinen Urgroßvater Werner, der Anfang des 20. Jahrhunderts junge Rothirsche aus den Karpaten in den Wald bringen ließ und dort auswilderte. Sie sollten sich mit dem heimischen Rotwild kreuzen und so robustere Tiere hervorbringen. Die Blutauffrischung funktionierte, erzählt der Freiherr.

Die Geschichte mit der Lüge

Und was ist nun mit dem angeblichen Lügenbaron, der als Porzellanfigur in vielen Varianten im gläsernen Atelier auf dem Rittergut in Vitrinen steht? „Die Geschichten wurden ihm angehängt, er hat sie sich nicht ausgedacht. Da bin ich mir sicher“, sagt der Freiherr. Vermutlich ging es im 18. Jahrhundert darum, der Familie von Münchhausen eins auszuwischen, die für einige Zeitgenossen zu viel politischen Einfluss hatte. „Also suchte man sich einen Münchhausen, der leichter angreifbar war.“ Hieronymus war Soldat in russischen Diensten und als guter Erzähler bekannt, das perfekte Ziel. Seine Berühmtheit verdankt er den Dichtern Rudolf Erich Raspe und Gottfried August Bürger, die die Geschichten unter das Volk brachten. „Der Baron hat vor Wut gekocht, konnte aber nichts dagegen tun“, sagt Rembert von Münchhausen. Das Ärgernis von damals ist heute wie ein Geschenk, die Verfilmung mit Hans Albers in der Hauptrolle gilt als Klassiker. Dem Lügenbaron verdankt der Name Münchhausen seine überregionale Bekanntheit und der Ziegelrodaer Forst einen Hauch von Glamour. (mz)

Rembert Freiherr von Münchhausen zeigt die dicke Familienchronik. 1166 wurde der Name Münchhausen das erste Mal urkundlich erwähnt. Das Adelsgeschlecht ist seit 1870 in einem Familienverband organisiert, dessen Mitglieder sich alle zwei bis drei Jahre treffen.
Rembert Freiherr von Münchhausen zeigt die dicke Familienchronik. 1166 wurde der Name Münchhausen das erste Mal urkundlich erwähnt. Das Adelsgeschlecht ist seit 1870 in einem Familienverband organisiert, dessen Mitglieder sich alle zwei bis drei Jahre treffen.
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Schloss Vitzenburg gehörte bis 1945 der Familie von der Schulenburg. Von hier stammt Annemarie von Münchhausen, die Mutter des Freiherrn.
Schloss Vitzenburg gehörte bis 1945 der Familie von der Schulenburg. Von hier stammt Annemarie von Münchhausen, die Mutter des Freiherrn.
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Die Gartenvilla auf dem Rittergut in Groß Vahlberg ist der Sitz der Familie von Münchhausen, die Landwirtschaft betreibt.
Die Gartenvilla auf dem Rittergut in Groß Vahlberg ist der Sitz der Familie von Münchhausen, die Landwirtschaft betreibt.
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