Streit um Günther-Adolphi-Straße in Merseburg Streit um Günther-Adolphi-Straße in Merseburg: "Chemiker hat Verbrechen mitorganisiert"
Merseburg - Die Widmung einer Straße in Merseburg sorgt für Wirbel. Namensgeber Günther Adolphi (1902 bis 1982), Ehrenprofessor der Hochschule, soll während der NS-Zeit in Auschwitz am Bau eines Werks zur Kraftstoffproduktion beteiligt gewesen sein und über den Einsatz von Häftlingen entschieden haben. Der Historiker Georg Wagner-Kyora hatte das in seinem Werk „Vom nationalen zum sozialistischen Selbst“ geschildert. Michael Bertram hat mit ihm gesprochen.
Sie haben über die Verwicklungen ostdeutscher Chemiker in Auschwitz geschrieben. Welche Erkenntnisse lassen sich aus dem Fund in Bad Dürrenberg ziehen? Dort wurden Akten mit dem Namen Adolphi gefunden.
Wagner-Kyora: Das Besondere ist, dass es ja kaum noch Akten aus dieser Zeit gibt. Die meisten Unterlagen wurden vernichtet. Der Fund in Bad Dürrenberg hat unschätzbar hohen Wert, weil er Netzwerke in den Westen und eindeutige Geschäftsbeziehungen beteiligter Unternehmen offenlegt, über die es bislang keine Unterlagen gab. Sie können sicher sein, in den westdeutschen Archiven existiert kein Stück Papier, das die Herren von damals belastet.
Sie schreiben von bis 2.500 Fachkräften, die nach Auschwitz gewechselt sind, um das Werk zu bauen, darunter Adolphi. Welche Schuld trifft den Chemiker Ihrer Ansicht nach am NS-Verbrechen?
Wagner-Kyora: Adolphi war die rechte Hand des technischen Direktors und hatte somit Zugriff auf Häftlinge, die als Arbeiter eingesetzt wurden. Er führte die Aufsicht und ergriff Maßnahmen zur Disziplinierung. Indem er über ihre Tauglichkeit befunden hat, ist Adolphi aus meiner Sicht zu einem Täter geworden, der damit Verbrechen mitorganisiert hat.
Nach Kriegsende trat er als früheres NSDAP-Mitglied in die SED ein, war Mitglied der Betriebskreisparteileitung und verdienter Techniker des Volkes. Ein Einzelfall?
Wagner-Kyora: Nein. In meinem Buch beschreibe ich anhand mehrerer Beispiele anerkannter Chemiker, wie es ihnen gelang, sich in der DDR durch Schweigen zu ihrer Rolle in der NS-Zeit zu reintegrieren. Adolphi sollte mehrfach von der Stasi zu Auschwitz befragt werden, aber er verweigerte stets die Aussage. Die einzigen Erkenntnisse, die wir haben, stammen aus der Akte von einem seiner Söhne, der als IM angeworben wurde.
Haben die Sowjets damals nicht so genau hingesehen, weil nach dem Krieg Fachkräfte gebraucht wurden oder wie lässt sich erklären, dass er nicht aufgeflogen ist?
Wagner-Kyora: Auf diese Frage habe ich noch keine Antwort gefunden. Sicher gab es bei den Fachkräften einen großen Exodus. Aber Adolphi musste auch großes Vertrauen haben, dass ihn niemand ans Messer liefern kann, indem er etwa als Zeuge Hinweise gibt.
Wäre es schwer für Stadt und Hochschule gewesen, auf Adolphis Tätigkeit in Auschwitz zu stoßen?
Wagner-Kyora: Man hätte nur ein Blick in mein Buch werfen müssen, das seit 2009 in den Bibliotheken steht.
Aber das man nicht zwangsläufig kennen muss ...
Wagner-Kyora: Ich unterstelle dennoch einen instrumentellen Willen, eine Vergangenheitspolitik zugunsten der Täter zu betreiben, was Geschichtsfälschung gleichkommt. Über die Akte Adolphi hätte man stolpern müssen. (mz)