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Mit 20 zum Islam Mit 20 zum Islam konvertiert: Warum eine junge Frau aus Merseburg freiwillig Kopftuch trägt

Von Michael Bertram 25.10.2017, 13:12
Tanja Lehmann ist in einem konfessionslosen Elternhaus aufgewachsen und kam erst mit Anfang 20 zum Islam. Das Kopftuch gehört für sie dazu.
Tanja Lehmann ist in einem konfessionslosen Elternhaus aufgewachsen und kam erst mit Anfang 20 zum Islam. Das Kopftuch gehört für sie dazu. Peter Wölk

Merseburg - Als sich Tanja Lehmann (Name geändert) aus Merseburg bei Kaffee und Kuchen ihren Eltern offenbart, herrscht am Tisch minutenlanges Schweigen. Kurz zuvor hatte es an der Wohnungstür geklingelt, zwei Vertreter der Zeugen Jehovas standen davor. „Mein Vater kam zurück und sagte, dass wir lieber in die Kirche gehen sollten, bevor wir zu denen gehen“, erzählt Lehmann. „Dann nahm ich allen Mut zusammen und sagte ihm, dass ich schon in die Moschee gehe.“

Junge Frau aus Merseburg konvertierte mit 20 zum Islam

Lehmann ist Deutsche, aufgewachsen in einer konfessionslosen Familie. Seit einigen Jahren ist sie Muslimin. Ihren Glauben lebt sie allerdings erst seit 2013 offen aus, nachdem sie sich gegenüber ihren Eltern outete. Und dazu gehört auch das Kopftuch. Dass in der Öffentlichkeit immer wieder ein Verschleierungsverbote diskutiert wird, sieht sie kritisch. Im Gespräch mit der MZ erklärt sie, wieso. Und wie andere Menschen auf ihr Kopftuch und ihre Konfession reagieren.

Kopftuch für den Glauben: Wie die junge Merseburgerin zum Islam kam

„Nicht nur meine Eltern waren damals skeptisch, weil der Islam ja mit vielen Vorurteilen behaftet ist“, erzählt sie. Nachdem sie ihrer Familie versichern konnte, dass kein Mann hinter ihrer religiösen Orientierung steckte und ihr Vater eine Zigarette geraucht hatte, musste sie erst einmal viele Fragen beantworten. Mit Anfang 20 hatte sie sich diese selbst gestellt.

„Es ging um Existenzielles“, erklärt die heute 30-Jährige. Wo komme ich her? Was ist der Sinn des Lebens? Die Suche nach Antworten brachte sie schließlich mit den großen Weltreligionen in Berührung. „Ich glaube, dass Gott das Juden- und Christentum und den Islam erschaffen hat“, erzählt Lehmann. „Den Islam, weil Gott von den Anhängern des jüdischen und christlichen Glaubens enttäuscht wurde.“ Der Islam als letzte Chance sozusagen. Für Lehmann ist er die optimierte Religion.

Merseburgerin konvertierte zum Islam: Ihr Vater fragte sie, ob sie sch jetzt unterdrücken lasse

Bei vielen anderen, auch in Deutschland, ist der Islam hingegen umstritten. „Auch mein Vater fragte damals sofort, ob ich mich jetzt etwa freiwillig unterdrücken lasse“, erzählt Lehmann. Der Koran unterdrücke Frauen jedoch nicht, wenn er richtig interpretiert werde, meint sie: „Das Verständnis der Suren ist stets Auslegungssache.“ Das Kopftuch gehört für sie zum Glauben dazu.

„Der Koran sagt, dass sich Frauen bedecken sollen“, sagt die Muslimin. Wie sehr, sei nicht klar definiert, weshalb sich je nach Lehre unterschiedliche Verschleierungsformen herausgebildet haben.

Darum hält Muslimin aus Merseburg wenig von Diskussionen um  Kopftuch-Verbot

„Eine Burka geht aber selbst mir zu weit“, sagt sie. Ein kürzlich gesetzlich erlassenes Verbot in Österreich könne sie deshalb durchaus nachvollziehen. „Kein Verständnis habe ich jedoch, wenn mir jemand verbieten will, Kopftuch zu tragen“, betont sie. Das Kopftuch sei privat, eine persönliche Entscheidung. „Wer in der Kopftuch-Debatte mit einem vermeintlichen Tragezwang und Unterdrückung argumentiert, der darf mich aber auch nicht zwingen, das Kopftuch abzusetzen.“

Freiwillig verschleiert: Das führt in Merseburg auch zu Drohungen gegenüber ihr und ihrer Familie

So selbstverständlich die Verschleierung für Tanja Lehmann und ihren engsten Bekannten- und Freundeskreis inzwischen geworden ist, so sorgt es dennoch immer wieder auch für Konflikte. „Ich ging mit meinem jetzigen Mann, ein Kurde aus dem Irak, und unserer Tochter durch die Stadt, als wir massiv beschimpft wurden“, erzählt sie. Die Pöbler meinten, dass so ein Pack wie sie im nächsten Teich ertränkt werden sollte.

Vor allem für Lehmanns Mann war diese Situation und die Heftigkeit, mit der sich ein paar Worte in verletzende Waffen verwandelten, schockierend. Sie hinterließ Wunden. „Mein Mann sagte zu mir, dass ich das Kopftuch nicht tragen brauche, dass es zu solchen Situationen führen kann“, erzählt die 30-Jährige. „Er meinte, ich solle es doch lieber absetzen.“ Doch Lehmann zeigt sich bis heute trotzig. Jetzt erst recht. Es sind die anderen, die ein Problem damit haben.

Kein Weihnachtsfest: Ihre Töchter erzieht die Merseburgerin nach muslimischen Glauben

Tanja Lehmann hat zwei Töchter. Beide werden nach muslimischen Glauben erzogen. „Aber ich will ihnen die Freiheit lassen, selbst zu entscheiden“, sagt die Merseburgerin. So werden Feiertage wie Ostern oder Weihnachten zu Hause nicht zelebriert. „Aber ich habe kein Problem damit, wenn das in der Schule oder im Kindergarten passiert - sie sollen alles kennenlernen“, erklärt Lehmann. Damit nach Weihnachten, wenn in der Schule alle Kinder von ihren Geschenken erzählen, die sie bekommen haben, keine Tränen fließen, gibt es ein festes Ritual: „Wir machen einen Shopping-Bummel, bei dem sie sich etwas aussuchen dürfen.“

Ob die Mädchen später auch Kopftuch tragen, sei deren eigene Entscheidung. Lehmann werde sie dazu nicht zwingen. Sie sollen ihren eigenen Weg gehen, ihre eigenen Antworten suchen - auf die Fragen, die sich auch Lehmann vor vielen Jahren gestellt hat. (mz)