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Interview Interview: «Ich lebe jetzt, heute und hier»

26.01.2012, 09:23

MERSEBURG/MZ. - Welche Rolle hat die Defa in Ihrem Künstlerleben gespielt?

Thate: Ich bin in erster Linie Theaterschauspieler, aber ich habe zugleich immer Filme gedreht. Die Defa hat sorgfältig und präzise, aber eben auch bieder gearbeitet. Ein hoher Prozentsatz dieser Filme ist immer ein bisschen ins Rhetorische abgerutscht, das wäre meine Kritik an der Defa. Aber es wurde dort gründlich gearbeitet, was heutzutage nicht mehr möglich wäre. Man hat die Schauspieler noch angehört. Diese Filmtradition ist heute dagegen etwas unter den Tisch gerutscht. Jeder kocht seinen eigenen Brei, es gibt nur wenige echte Teams. Der Regisseur Andreas Dreesen baut so etwas auf, das ist wohl sein DDR-Bestandteil. Er denkt sich außergewöhnliche Geschichten aus und hat Schauspieler, die diese verinnerlichen. Er bringt sie so auf eine andere Höhe.

Was bedeuten Ihnen die Defa-Filme heute?

Thate: Sie haben durchaus Relevanz, ich brauche mich da nicht zu schämen. Etwa der Film "Der Fall Gleiwitz" mit dem wunderbaren Regisseur Gerhard Klein. "Professor Mamlock" von Konrad Wolf gefiel mir damals nicht, aber heute. Es gibt halt Sachen, die werden gut alt, andere dagegen verblassen, die werden nur hoch gejubelt, wie es heute oft der Fall ist.

Hatten Sie einen Lieblings-Film?

Thate: Da mache ich grundsätzlich keine Rangliste. Es gibt Gutes in verschiedenen Variationen, Qualität ist keine Einmaligkeit. Es gibt nichts Eindeutiges und nichts Einmaliges, sondern es gibt immer die Alternative, wenn auch Frau Merkel da anderer Meinung ist.

Hatten Sie Vorbilder?

Thate: Früher als Halbknabe natürlich Helene Weigel, Therese Giehse und Ernst Busch. Das waren starke Figuren für mich, die mich beeindruckten. Das ist auch heute noch so, deshalb halte ich die Erinnerung an sie wach. Doch diese großen Leute geraten leider in Vergessenheit, so wie auch mein jüngst verstorbener Kollege Jürgen Hentzsch, mit dem ich sehr gerne gespielt habe. Das finde ich sehr traurig.

Sie waren in der DDR unangepasst, haben die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 offen kritisiert. Das hat Ihnen die Arbeitsmöglichkeit genommen, war quasi ein Berufsverbot.

Thate: Es gab kein direktes Verbot, aber Telefonate: die Domröse, den Thate und den Krug nicht mehr. Ich war ja nicht gegen die DDR, ich wollte keine Konterrevolution. Die Staatssicherheit sagte scheinheilig, sie gehören ans Deutsche Theater. Da habe ich denen irgendwann gesagt, ihr müsst mir keine Rollen vermitteln. Ich brauche euch auch nicht als Agentur. Wenn ihr das trotzdem macht, dann sind wir Feinde. Ich fand nicht die DDR und die vielen, die uns mochten, schlecht. Ich bin vielmehr vor der Dämlichkeit der Parteiführung davongelaufen.

Haben Sie sich von der DDR mehr erhofft?

Thate: Natürlich. Es war wie alle Anfänge holprig, stotterig und stockig, aber es gab eine Vision, eine Hoffnung. Es wurde nachgedacht, eine gewisse Armut und Armseligkeit überspielt durch bestimmte soziale Maßnahmen. Es gab keine Arbeitslosigkeit, die Frauen waren gleichberechtigt. Es war ein Versuch. Ich nenne mich heute noch Marxist.

Sie sind 1979 mit ihrer Frau Angelica Domröse in den Westen gegangen. Wie groß war diese Zäsur für sie beide?

Thate: Es war für uns nicht schmerzlich. Uns kannten ja viele bereits. Ab 1980 engagierte uns Intendant Boy Gobert an den Staatlichen Schauspielbühnen in Berlin. Fassbinder beispielsweise hatte fast alle Filme von mir und Angelica gesehen. Mit ihm habe ich "Die Sehnsucht der Veronika Voss" gedreht. Angelica wurde 1986 sogar als Schauspielerin des Jahres geehrt. Es folgten noch zahlreiche weitere Kino- und TV-Filme wie "Hurenglück" und "Das mörderische Märchen". Heute spiele ich lieber Theater. Ich bin am liebsten "alleene uff de Bühne".

Wie sehen Sie die aktuelle deutsche Filmszene?

Thate: Begabungen sterben nicht aus. Junge Talente gibt es viele. Sie könnten, wenn sie denn gefördert würden, noch mehr lernen, aber das ist nicht der Fall. Sie werden für ein Projekt engagiert und, wenn das erledigt ist, fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Jeder ist egoistisch, Ideen werden für sich behalten, damit man den eignen Marktwert steigern kann. Das war früher ganz anders. Wir waren auch schärfer im Urteil mit-, gegen- und füreinander.

Sie haben ein erfülltes Künstlerleben. Was würden Sie heute anders machen?

Thate: Ich lebe jetzt, heute und hier. Ich bin auf die Erde geworfen worden aufgrund meiner Eltern und weiß eigentlich gar nicht, warum ich da bin. Aber es muss ja wohl einen Sinn haben. Schiller hat einmal gesagt: "Der Körper ist der Attentäter des Geistes".

Sie sind seit 35 Jahren mit Angelica Domröse verheiratet und beide Widder. Wie hält man das aus?

Thate: Man hält es aus. Man hält, Gedankenstrich, es, Gedankenstrich, aus.

Über welche Projekt kann man sich bei Ihnen beiden noch freuen?

Thate: Wir haben inzwischen beide ein Buch geschrieben, jeder eins, Lesungen gestaltet. Ich war mit Songs von Brecht und Eisler unterwegs. Und Angelika hat im Vorjahr eine Seniorenkomödie "Bis zum Horizont, dann links!" von Bernd Böhlig gedreht. Da wirken unter anderem Otto Sander, Herbert Köfer und Herbert Feuerstein mit. Der soll in diesem Jahr in die Kinos kommen.

Kennen Sie Merseburg?

Thate: Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich war noch nie in Merseburg. Ich bin zwar in den Franckeschen Stiftungen zur Schule gegangen und von Dölau nach Halle mit der Hettstedter Eisenbahn gefahren, aber bis Merseburg habe ich es noch nicht geschafft. Es wird also allerhöchste Zeit.