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Huntington-Erkrankter aus Querfurt Huntington-Erkrankter aus Querfurt: Wie ein junger Mann mit seiner unheilbaren Krankheit umgeht

Von regina retzlaff 02.10.2015, 18:28
Der schwerbehinderte André Elster (32) wird von seinen Eltern Ines und Jörg Hellwig rund um die Uhr gepflegt.
Der schwerbehinderte André Elster (32) wird von seinen Eltern Ines und Jörg Hellwig rund um die Uhr gepflegt. Peter wölk Lizenz

querfurt/obhausen - Eigentlich wollte André Elster Sozialpädagogik studieren und dann als Streetworker arbeiten. Stattdessen kämpfen seine Eltern, Ines und Jörg Hellwig, jetzt mit der Krankenkasse um eine Absaugzahnbürste für ihn, damit er beim Zähneputzen seinen Speichel nicht in die Lunge bekommt und die sich deshalb entzündet. Es sind Einwegzahnbürsten, und fünf Stück kosten 22 Euro. Die Kasse will sie nicht bezahlen. Sie argumentiert, dass das ein Gebrauchsgegenstand sei und der nur für Schwerstpflegefälle genehmigt werde. „Was wohl ist dann unser André?“, stellt Ines Hellwig als Frage in den Raum.

André ist 32 Jahre alt, und er ist völlig hilflos. Er sitzt im Rollstuhl, und seine Eltern müssen ihn rund um die Uhr pflegen und betreuen. Denn der junge Mann leidet an einer unheilbaren, vererbbaren Nervenkrankheit. Chorea Huntington ist auch als erblicher Veitstanz bekannt. „Mein Sohn leidet an der Westphal-Variante, also an der juvelinen (kindlichen) Form der Huntington-Erkrankung“, erklärt Ines Hellwig, die die Krankheit schon bei Andrés leiblichem Vater schmerzhaft erlebte.

Erste Symptomeals 13-Jähriger

Erste Symptome zeigten sich bei André, als er etwa 13 Jahre alt war. Es gab Wesensveränderungen, er wurde nervös, vergesslich, bekam Konzentrationsschwierigkeiten. Seinen Alltag konnte er immer schwerer bewältigen. Trotzdem machte er Abitur. „Das passierte mit sehr viel Aufwand, aber er hat es geschafft, denn André ist ein Kämpfer. Auch heute noch“, erzählt Ines Hellwig. Mit den Jahren wurde die Krankheit immer schlimmer. Seit fünf Jahren muss er über eine Magensonde künstlich ernährt werden, denn er kann nicht mehr selbstständig schlucken. Seit einem Jahr sitzt André im Rollstuhl. Seine Eltern, der Vater war Berufskraftfahrer, die Mutter Bürokauffrau, gaben längst schon ihre Jobs auf, um sich rund um die Uhr kümmern zu können.

Chorea Huntington ist eine vererbbare Nervenkrankheit. Die Bezeichnung Chorea (griechisch: Choreia - Tanz) leitet sich von den für die Erkrankung typischen Symptomen ab: unkontrollierte Bewegungen, ein torkelnder Gang oder Grimassenschneiden. Sie wurde früher auch erblicher Veitstanz genannt. Das Wort Veitstanz (Tanzwut) ist eine Übersetzung des mittellateinischen Begriffs Chorea Sancti Viti. Bei der Krankheit werden die normalen Bewegungsabläufe durch nicht kontrollierbare Bewegungen zeitweilig unterbrochen. Dies kann an einen Tanz erinnern.

Heute werden mit Chorea plötzlich einsetzende, vielgestaltige unwillkürliche Bewegungen verschiedener Muskeln bezeichnet. Die Häufigkeit von Chorea Huntington beträgt fünf bis zehn Fälle pro 100 000 Menschen. Damit handelt es sich um eine der häufigsten neurologischen Erbkrankheiten. Männer und Frauen sind gleichermaßen betroffen.

„Unser größtes Problem ist unsere Wohnsituation hier in Querfurt“, erklärt Jörg Hellwig. „Wir brauchen eine behindertengerechte große Dreizimmer-Wohnung. Die suchen wir bisher vergeblich. Wir waren mal bei Bürgermeister Kunert und baten ihn, Einfluss zu nehmen auf die Wohnungsunternehmen. Damit die bei Sanierungen auch an größere Wohnungen für Behinderte denken. Aber was angeboten wird, ist immer viel zu klein für uns“, erzählt Jörg Hellwig.

Und er erzählt, dass es für diese Krankheit, die tragischerweise immer zum Tode führt, viel zu wenig spezialisierte Ärzte gibt. „Es gibt nur zwei medizinische Zentren in Deutschland, die sich damit beschäftigen. Die sind in Taufkirchen und Heiligenhafen, also sehr weit weg“, hakt Ines Hellwig ein. Das läge wohl auch daran, dass ein solcher Patient einer aufwendigen Pflege bedürfe. Ein Pfleger könne sich nämlich nur um zwei Patienten kümmern.

Ein offenes Ohr

Ganz besonders verdient mache sich um die Forschung zur Krankheit Dr. Ralf Reilmann aus Münster, der auch ambulante Sprechstunden kostenlos durchführe. „Man muss nur die Anreise selber bezahlen“, so Jörg Hellwig, der seit einiger Zeit der Vorsitzende der Deutschen Huntington-Hilfe Mitteldeutschland ist. Seine Frau Ines ist die Schatzmeisterin des Vereins. Hier organisiert sind Betroffene und deren Angehörige aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. „Wir organisieren in regelmäßigen Abständen Selbsthilfegruppentreffen der Regionalgruppe Halle. Dort versuchen wir, über alles, was neu ist, zu informieren. Natürlich nehmen wir uns auch die Zeit, einfach mal über die alltäglichen Sorgen und Nöte zu reden. Bei uns findet jeder ein offenes Ohr, bekommt Hilfe bei Behördengängen und vielem mehr“, schildert Ines Hellwig.

Für die Treffen hat man übrigens mit der Kirchgemeinde Obhausen einen freundlichen Partner gefunden. Sie finden nämlich jeden letzten Samstag im Quartal im Gemeinderaum in Obhausen statt. „Dafür sind wir sehr dankbar“, so Hellwig.

Der Landesvorsitzende der Deutschen Huntington-Hilfe Mitteldeutschland ist tel. zu erreichen unter 034771/2 48 02 oder 0171/2 66 33 39. (mz)