Hochwasserschutz Hochwasserschutz: Der vergessene Mittelkanal
Merseburg/MZ - Das Bild erinnert an eine Landschaft im Amazonas-Gebiet. Bäume und Sträucher stehen in der braunen Brühe. Nein, wie eine Wasserstraße sieht der Merseburger Mittelkanal wahrlich nicht aus. Ungepflegt und ungenutzt hat die Natur weitestgehend freie Hand. Dabei sollte der 3,3 Kilometer lange Kanal, der im Norden Leunas nahe des Waldbades beginnt und in Meuschau wieder an der Saale endet, nicht nur der Wasserwirtschaft dienen. Als sein Bau in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts begann, stand noch ein anderes Ansinnen hinter dem Projekt. Ähnlich dem Pretziener Wehr bei Magdeburg sollte der Mittelkanal Merseburg bei einem Saalehochwasser schützen und einen Teil der Flut an der Innenstadt vorbeileiten.
Doch letztlich ereilte die Wasserstraße ein ähnliches Schicksal wie ihrem großen Bruder, dem Saale-Elster-Kanal. Bedingt durch den Zweiten Weltkrieg blieben die Arbeiten unvollendet. Die Sohle ist nicht vollständig ausgebaggert, der Schleuse im Ortsteil Werder fehlen die Tore. Angesichts von vier Saalefluten seit 1994 werden Stimmen von Einwohnern der Stadt laut, die fordern, den Mittelkanal fertigzustellen.
Manfred Wagenschein, Flussbereichsleiter im Landesbetrieb für Hochwasserschutz (LHW), ist skeptisch. „Jeder will das Wasser möglichst schnell weghaben. Aber das kann nicht im Sinne eines wirksamen Hochwasserschutzes sein“, sagt er, wohl wissend, dass „so ein Standpunkt in der öffentlichen Diskussion schwer zu vermitteln ist“. Besser sei es, dem Fluss unterwegs seinen Raum zu lassen. „Es bringt nichts, das Problem einfach nur zu verlagern. Schießt das Wasser an Merseburg vorbei, dann trifft es andere mit voller Wucht.“ Wagenschein zeigt sich aber aufgeschlossen, eine Ertüchtigung des Kanals in die Überlegungen zum Hochwasserschutz mit einzubeziehen.
Oberbürgermeister Jens Bühligen (CDU) glaubt indes nicht, dass der Mittelkanal in der Lage wäre, bei Flutkatastrophen spürbar für eine Entlastung zu sorgen. „Heute kann das Wasser doch auch schon in den Kanal laufen und über die Schleuse am Werder schwappen. Ob es etwas bringt, die Rinne tiefer auszubaggern und den Kanal von Bäumen freizuräumen, weiß ich nicht. Das müsste man mit einer Modellrechnung untersuchen.“
Bühligen argumentiert außerdem mit den Überschwemmungsflächen, die sich der Saale auch südlich von Merseburg bieten. „Bei extremen Hochwassern hat das eigentliche Flussbett doch gar keine Funktion mehr. Das Wasser sucht sich seine Wege. Da würde auch der Kanal wenig ausrichten.“ Einen wirksamen Schutz für den Neumarkt, die Bundesstraße 181 sowie die Wohnbebauung in der Werder- und der Krautstraße biete nur der geplante Deich. „Dieses Projekt hat für die Stadt Priorität - selbst dann, wenn der Kanal tatsächlich einmal fertiggestellt werden würde. Denn der Kanal alleine würde uns nicht helfen und die bedrohten Gebiete nicht schützen.“
Beim jüngsten Hochwasser sei die Stadt mit einem blauen Auge davongekommen, sagt der OB. Ihm seien keine Härtefälle bekannt. „Bislang ist niemand bei uns gewesen, weil er die Soforthilfe des Landes in bar benötigt.“ Die Stadt hat 80 Briefe mit den erforderlichen Unterlagen an Betroffene verschickt. Andere Geschädigte hätten die Dokumente abgeholt. „Alles läuft sehr gesittet“, so Bühligen.