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Dreharbeiten hinter Gittern

Von Sabine Ernst 04.09.2006, 20:43

Raßnitz/MZ. - Wenn sich die große Langeweile in die Zellen schleicht, am Abend, nach dem Einschließen, bleibt Michel viel Zeit zum Nachdenken. Unerträglich viel Zeit. "Am Anfang ist es besonders schlimm", sagt er. "Da hast du noch keine Bücher, keinen Fernseher auf der Bude." Auf den 23-Jährigen ist eine Kamera gerichtet. Michel sitzt in Raßnitz, Sachsen-Anhalts größter Haftanstalt für junge Straftäter, ein. Für schweren Drogenhandel hat ihn ein Richter zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Dokumentation mit dem schlichten Titel "Zwischen Kriminalität und Drogensucht" zeigt, wie Michel und fünf andere Raßnitz-Insassen mit dem Alltag im Knast umgehen. Das Besondere: Die 30-minütige Momentaufnahme haben die jungen Straftäter selbst gedreht und bearbeitet. Josephine Lehmann und Nico Hergeth, beide Studenten der Hochschule Merseburg (FH), leiteten die jungen Filmemacher innerhalb eines Forschungsprojektes an. Vier Monate genießen die angehenden Sozialpädagogen in der Haftanstalt Gäste-Status. Eine Vereinbarung, die auf Vertrauen fußt: "Ich kenne die Studenten schon seit zwei Jahren. Beide absolvieren in der JA ein soziales Training. Anders wäre ein solches Projekt sicher nicht denkbar gewesen", sagte Anstaltsleiter Klaus Schmidt. Seine einzige Vorgabe: Um die Opfer zu schützen, dürfen die Jugendlichen nicht detailliert über ihre begangenen Straftaten sprechen.

"Schon beim ersten Treffen gab es sehr konkrete Vorstellungen", erinnert sich der 28-jährige Nico Hergeth mit Blick auf die Planung der Dreharbeiten. Und auch vor der Kamera funktioniert die Zusammenarbeit. Die sechs Häftlinge sprechen freiwillig und vor allem offen über die fehlende Privatsphäre, den spärlich dosierten Besuch und die ständige Angst, rückfällig zu werden.

Da ist der 20-jährige Marco: Um Geld für Drogen zu bekommen, beging er zahlreiche Diebstähle. Im Knast kämpft er nun mit dem Entzug. Oder Marcel, der wegen räuberischer Erpressung verurteilt wurde. Heute will er wissen, was seine Eltern über ihn denken. Und der 24-jährige Einbrecher René träumt von einem "vernünftigen" Leben mit seiner Freundin. Dazu Kameraschwenks über triste Flure, hohe Mauern und Stacheldraht.

"Uns ging es nicht um Schuld und Reue. Die Jugendlichen sollten einfach frei erzählen", sagte Projektkoordinatorin Franziska Schramm. An der Hochschule in Merseburg beschäftigt sich die Wissenschaftlerin mit der Darstellung von sozial benachteiligten Gruppen in den Medien. Die Dokumentation sei in erster Linie für die Macher selbst, ihre Familien und Freunde, ergänzte sie bei der Film-Präsentation in der Jugendanstalt. Was mit dem Film passiert? "Da gibt es noch keine konkreten Pläne. Wir wollen ihn zunächst im Offenen Kanal in Merseburg zeigen. Auch Festivals sind denkbar".