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Tod nach Schlägerei mit Flüchtlingen Warum starb Markus B.? Der Fall in Köthen hatte deutschlandweit für Aufsehen gesorgt.

Von Martin Tröster 16.05.2019, 16:30
Der Prozessauftakt im Februar war von großem Medienrummel begleitet.
Der Prozessauftakt im Februar war von großem Medienrummel begleitet. Thomas Ruttke

Dessau-Rosslau - Die junge Frau schildert einen grausamen Tod. Drei „Ausländer“, sagt sie, sollen Markus B. angegriffen haben. Einer „hat ihm auf den Oberkörper und auf das Gesicht geschlagen“. Dann sollen sie ihm gegen den Kopf getreten haben. Wie gegen einen Fußball. Kurze Zeit später ist der herzkranke Markus B., 22 Jahre alt, aus Köthen (Anhalt-Bitterfeld), tot.

Allein, so hat der Angriff am Abend des 8. September 2018 offenbar nie stattgefunden. Das zeigte sich bei der Aussage der jungen Frau Mitte März vor dem Dessauer Landgericht. Die beiden Verteidiger hatten nicht viel Mühe, Widersprüche aufzudecken. Das gipfelte darin, dass die Zeugin nebenbei bemerkte, sie brauche eigentlich eine Brille. „Ich sehe Sie nur verschwommen“, sagt sie einem verdutzten Verteidiger. Der sitzt nur wenige Meter von ihr entfernt - näher, als Markus B. in der Todesnacht von Köthen ihr hätte sein müssen. Hinzu kommt: In der Nacht hatte sie keine Brille getragen. Auch die Anwälte der Familie von Markus B. verlassen den Saal an diesem Tag mit einem Kopfschütteln.

Fall Markus B. aus Köthen: Angeklagt sind seit Anfang Februar zwei Afghanen

Die Aussage dieser Mittzwanzigerin, einer Bekannten von Markus B., ist ein Wendepunkt in dem Prozess, in dem an diesem Freitag das Urteil fallen soll. Angeklagt sind seit Anfang Februar zwei Afghanen, zur Tatzeit 17 und 18 Jahre alt, unter anderem wegen Körperverletzung mit Todesfolge: Sie sollen Markus B. mindestens einmal geschlagen und getreten haben und seinen Tod mitverursacht haben.

Es ist ein Prozess zu einem Fall, der im Herbst 2018 weit über Köthen hinaus Beachtung findet. Tausende Menschen hatte der Tod von Markus B. nach einem Streit mit den Flüchtlingen im September in Köthen auf die Straße gebracht. Die allermeisten waren friedlich, aber es gab auch Rechtsextreme aus Nah und Fern, die vom „Rassenkrieg“ redeten und in der Kleinstadt Beobachter angriffen - nicht nur mit Worten.

Einem Bündnis aus Bürgern, Kirchen, Hochschule und Verwaltung gelang es aber letztlich, der Welt andere Bilder zu zeigen. Ein riesiges, buntes Kreidebild in der Innenstadt wurde bundesweit beachtet. Ein zweites Chemnitz war abgewendet. Dort war es zwei Wochen zuvor zu heftigen rechten Übergriffen gekommen.

Angestachelt waren die Demonstranten in Köthen nicht nur von rechten Hetzern, sondern auch von einer Sprachnachricht, die auf Facebook kursierte - und damit für viele zur unbedingten Wahrheit wurde. Die Verfasserin war die kurzsichtige Zeugin. Ihre blutrünstige Version mit dem Festhalten, den vielen Schlägen und Tritten hatte sie teilweise auch vor Gericht vorgetragen - und war bald davon abgerückt.

Fall Markus B. in Köthen: Juristen haben es mit verworrenen Wahrheiten zu tun

Hinter den Juristen liegen Monate knochentrockener Kärrnerarbeit. Sie haben es mit verworrenen Wahrheiten zu tun. In einem Verfahren, in dem sehr viele Bürger meinen, die eine Wahrheit, das, was wirklich war, zu kennen, auch wenn sie weder im Gerichtssaal waren noch den Vorfall selbst gesehen haben.

Bei manchen Zeugen mischt sich das Gesehene, Erlebte mit dem Gehörten. Ein Zeuge sprach zunächst von einem Tritt, den Markus B. an den Kopf erhalten haben soll - plötzlich waren es „zwei, drei“. Schwer auseinanderzuhalten, wenn man an besagtem Abend sieben Bier getrunken hat. Vielleicht auch, wenn eine Sprachnachricht auf Facebook viele Tritte nennt.

Dass der ältere Angeklagte kurz zuvor einen afghanischen Landsmann angegriffen hat, bestreitet nicht mal sein Verteidiger. Es war der Streit, der alles auslöste - Markus B. und sein Bruder gingen zum Ort des Geschehens, wo der Lärm herkam. Kurz danach hörte das Herz von Markus B. auf zu schlagen. Der afghanische Landsmann hatte eine gemeinsame Bekannte geschwängert und damit einen engen Freund des Angeklagten gehörnt. Der Angeklagte meinte offenbar, das klären zu müssen.

Fall Markus B. in Köthen: verteidiger fordert Jugendstrafe

Sein Verteidiger fordert eine Jugendstrafe - für die Attacke auf den Landsmann. Im Fall Markus B. fordert er, wie der Anwalt des jüngeren Afghanen, Freispruch. Dass sein Mandant, der ältere, Markus B. geschlagen haben soll, sieht er nicht belegt, höchstens einen Schubser. „Er wollte ihn nicht ernsthaft verletzen.“ Der Tod sei ihm nicht anzulasten. Vielleicht habe sich sein Mandant sogar fälschlicherweise bedroht gefühlt von Markus B., als dieser unvermittelt einen Schritt auf seinen Mandanten zu machte. Der Verteidiger betonte, dass die Stimmung aufgeheizt war, der herzkranke Markus B. 2,4 Promille intus hatte - und der Bruder von Markus B. die Afghanen „Kanaken“ genannt hatte.

Während der Staatsanwalt davon ausgeht, dass der 22-Jährige den Streit der Afghanen schlichten wollte, meint der Verteidiger des älteren Afghanen: „Er war nicht da, um einzugreifen, das ist eine Legende, sondern um zuzusehen, wie andere sich schlagen.“

Für die Familie von Markus B. sind diese Worte schwer zu ertragen. Die Mutter, zwei Schwestern und zwei Brüder sind zu fast jeder Sitzung im Saal. Als die Verteidiger Freisprüche fordern, vergraben die Schwestern und die Mutter ihr Gesicht hinter ihren Händen. Die Brüder schauen versteinert auf die Afghanen.

Fall Markus B. in Köthen: Viele Aussagen taugen nichts

Früh in diesem Prozess wird klar: Viele Aussagen taugen nichts. Umso wichtiger sind die Gutachter: Erlitt Markus B. seinen Herzinfarkt durch Angriffe? Oder weil er ein „versagensbereites Herz“ hatte, wie es einer der Gutachter ausdrückte? Alle drei Mediziner sagten dem Sinn nach: Genaues weiß man nicht. Ernsthafte Verletzungen, die von Schlägen oder Tritten herrühren, hat auch keiner festgestellt.

Der Ankläger ist von seinem schwerwiegendsten Vorwurf abgerückt, der Körperverletzung mit Todesfolge. Er fordert jeweils Jugendstrafen unter zwei Jahren, ohne Bewährung. Wegen gefährlicher Körperverletzung.

Wird es nach dem Urteil erneut Demonstrationen geben? Jemand aus dem Kreisvorstand der AfD Anhalt-Bitterfeld sagte der MZ am Mittwoch: „Wir warten mal den Freitag ab.“ Dem Tag, an dem nach vier Monaten Prozess das Urteil fällt. (mz)