Opfer mit Erinnerungslücken Trio der Familie Ritter aus Köthen wieder vor Gericht
Dessau/Köthen - Familientreffen in Saal 18 des Landgerichts Dessau am Freitagvormittag: Christopher K. war aus Halle angereist, wie auch seine Nichte Jasmin R., während Bruder Norman K. am Morgen von Burg aufgebrochen war. Alle drei unter Begleitung, denn Christopher, Norman und Jasmin sitzen in den dort jeweilig angesiedelten Justizvollzugsanstalten ein - und nach Dessau hat sie die Reise nur deshalb geführt, weil sie gegen ein weiteres, noch nicht rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Köthen durch ihre Anwälte hatten Berufung einlegen lassen.
Die Köthener Richterin hatte das Trio, das der TV-bekannten Köthener Familie Ritter entstammt, am 11. Juni ohne Bewährung bestraft: Christopher wegen Diebstahls, gemeinschaftlich begangenen Raubes und gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Haft, Norman für die gleiche Liste zu einem Jahr und zehn Monaten. Während Jasmin in der Diebstahls-Angelegenheit freigesprochen wurde, bekam sie für den gemeinschaftlichen Raub aber zehn Monate Jugendhaft aufgebrummt.
Ritter-Trio vor Gericht: Richterin verwundert über milde Urteile
Nach Blick in die Akten hatte sich Landgerichts-Richterin Uda Schmidt über das Urteil ein wenig gewundert. „Sie haben Strafen gekriegt, die sehr, sehr, seeehr moderat sind“, sagte sie in Richtung Anklagebank. Wären die Vorwürfe erstinstanzlich im Landgericht verhandelt worden, wäre das für das Trio deutlich schlechter ausgegangen - „bei den Vorstrafen“.
In der am Freitag begonnenen Berufung (zwei weitere Verhandlungstermine sind vorsichtshalber reserviert) dürfte es allerdings so einfach nicht werden, die Tatvorwürfe neu zu erfassen und zu erhärten. Alle vier geladenen Zeugen (unter ihnen das Opfer der Attacken) zeigten sich als recht gedächtnisschwach - was teilweise an der inzwischen verstrichenen Zeit lag und beim Opfer sicherlich auch daran, dass es - wie der Mann selbst sagte - generell Probleme damit hat, sich Sachen zu merken.
Ritter-Kinder vor Gericht: Obdachlosen beraubt und angegriffen
Der Obdachlose war im Oktober 2018 von mehreren Personen in der Nähe der HG-Halle bedroht worden, hatte sich vor ihnen in die Halle geflüchtet, wobei er seine Sachen zurückließ, die daraufhin von den Angeklagten durchsucht worden sein sollen - wobei sie eine Dose Tabak hätten mitgehen lassen. Etwa einen Monat später saß der Obdachlose auf einem Stuhl oben auf der Eingangstreppe des ehemaligen Gymnasiums Rüsternbreite, als er von den Angeklagten angegriffen wurde.
Allerdings: Das Opfer, ein schwer gebauter, aber harmlos wirkender Typ, „weiß nicht mehr so viel“ davon, spricht von einer Rangelei, kann sich nicht einmal mehr an die Verletzung erinnern, weiß nicht mehr, ob er geschlagen wurde. Immerhin aber daran, dass ihm Lebensmittel weggenommen worden waren, dass der Rettungsdienst kam und die Polizei.
Ritter-Kinder vor Gericht: Justiz muss Fall neu rekontruieren
Deren Vernehmungsprotokolle vom Tattag sind denn auch ein Anker, an dem Richterin Schmidt das Verfahren festmacht, nachdem vom Geschädigten weniger Verwertbares kommt, als man erwarten durfte. Da wird dann vorgelesen, dass der „kräftige Mann“, womit Norman K. gemeint ist, mit der rechten Faust geschlagen haben soll, während der „schlanke Mann“, was auf Christopher K. zutrifft, ihn mehrfach ins Gesicht getreten habe. Und dass die Frau, „während ich geschlagen wurde, meine Tasche durchsucht und Lebensmittel in einen grünen Seesack gesteckt hat“. Außerdem habe sie gegen sein Knie getreten, als er in Richtung Penny-Markt wegrennen wollte.
Man kann sich zwar, wenn man den Geschädigten im Gerichtssaal selbst gehört hat, kaum vorstellen, dass er dies genauso gesagt hat, aber bestätigt eindeutig: Was er der Polizei gesagt habe, stimmt genauso, wie es durch die Richter vorgelesen wird. Und vielleicht rückt diese mit der Frage „Haben Sie Angst, dass so etwas wieder passiert“ der partiellen Gedächtnisschwäche des Opfers ein Stück weit auf den Grund.
Ritter-Trio vor Gericht: Zeugen erinnern sich nicht mehr an viel
Auch an den drei anderen Zeugen hat die Staatsanwaltschaft nicht viel Freude. Auch sie offenbaren einige Gedächtnislücken, ein nicht an jeder Stelle zusammenpassendes Erinnerungspuzzle, worauf die Verteidiger der drei Angeklagten auch nicht nur einmal direkt oder indirekt hinwiesen.
Allerdings muss man wohl mildernde Umstände für die Zeugen geltend machen: Erstens liegen die Vorgänge schon knapp ein Jahr zurück, da verblasst manches. Und zweitens handelt es sich bei allen dreien um noch halbe Kinder. Zwei sind 16, eine Zeugin ist 13 - als das Ganze passierte, waren sie noch ein Jahr jünger; ob man da bei einem überraschend eingetretenen Vorgang jede Wendung so weit registriert, dass sie elf Monate später noch präzise abrufbar ist, kann man schon bezweifeln. Insofern ist nachvollziehbar, dass die aktuellen Einlassungen lückenhafter sind als die Protokolle, die unmittelbar nach dem Geschehen angefertigt wurden.
Die Verhandlung wird am 2. Oktober fortgesetzt. (mz)