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Stern TV Stern TV: Die Familie Ritter aus Köthen und kein Ende

Von Matthias Bartl 07.04.2016, 06:05
Die Meinung von Familienoberhaupt Karin Ritter zu Ausländern im Stern-TV-Beitrag ist eindeutig.
Die Meinung von Familienoberhaupt Karin Ritter zu Ausländern im Stern-TV-Beitrag ist eindeutig. Screenshot/MZ

Köthen - Stern TV und die Familie Ritter in Köthen – das ist inzwischen eine Dauerbeziehung über 22 Jahre hinweg. Immer wieder  einmal, fast wie das Ungeheuer von Loch Ness, taucht die kriminelle und gewaltbereite, im schlimmsten Falle rechtsorientierte Sippe um die Matriarchin Karin Ritter aus der Versenkung auf, um Deutschlands Fernsehpublikum zum Gruseln zu bringen. So auch wieder am Mittwochabend, diesmal unter dem Aspekt, dass in der Augustenstraße, wo die Ritters seit dem Sommer 2015 einige Räume in der Obdachlosenunterkunft der Stadt Köthen bewohnen, eine Gemeinschaftsunterkunft für maximal 200 Flüchtlinge gebaut werden soll. Stern TV mit Moderator Stefan Hallaschka erblickt in dieser Entscheidung ein leichtfertig eingegangenes Risiko. Nachvollziehbar, sieht man sich die Geschichte, die Entwicklung  der Ritters, vor allem der vier Söhne von Karin Ritter in den zurückliegenden 22 Jahren an.

Der Rückblick auf vergangene Stern TV-Sendungen zum Thema Ritter, samt Nazi-Fahnen an der Wand und Hitlergruß aus dem Fenster,  spielte denn auch eine tragende Rolle in dem aktuellen Beitrag, abgerundet durch Szenen aus den zurückliegenden Tagen, als ein Drehteam die Ritters in der Augustenstraße aufgesucht und befragt hat – auch zum Thema Flüchtlinge, wobei der Rittersche Fremdenhass unüberseh- und –hörbar zum Ausdruck kam. Da wurden Flüchtlinge als „Viecher“ bezeichnet, denen „alles hinten reingeblasen wird“, während sich die Ritters mehrheitlich, so sie denn zu Wort kommen, ungerecht behandelt fühlen. „Die kriegen eine Wohnung. Weil wir den Namen Ritter haben, kriegen wir keine Wohnung. Die kriegen Arbeit, was kriegen wir?“, klagt Karin Ritter in die Kamera. Nach eigenem Bekunden hat die Chefin des Klans inzwischen auch eine Vorstrafe wegen Volksverhetzung auf dem Kerbholz – vielleicht erklärt sich daraus ihre verbale Zurückhaltung samt der Feststellung, dass sie für den Fall, dass einmal ein Flüchtlingskind am Zaun des Obdachlosengrundstücks stehen würde, dem Kind eine Schnitte geben würde: „Die Kinder können ja nichts dafür.“

Man ist Kummer gewohnt

Nicht nur Martin Olejnicki, Vikar an der Köthener Jakobskirche und Mitglied der Flüchtlingsinitiative „Willkommen in Köthen", dürfte solchen Aussagen misstrauen. Olejnicki hält die Entscheidung, gegenüber  von den Ritters eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge zu errichten für „hochgradig fragwürdig“ und bemängelt, dass die Bevölkerung in die Findung des Platzes nicht eingebunden war. In der Nachbarschaft in der Augustenstraße, zumindest die drei Nachbarn, die von Stern TV befragt wurden,  hört man dies so direkt nicht. Man kann dabei durchaus treffsicher vermuten, dass man dort ohnehin Kummer gewöhnt ist – laufend komme die Polizei in die Straße, sagt ein Nachbar und eine Nachbarin antwortet auf die Frage, ob denn ein Umzug der Ritters eine Lösung wäre, mit der hellsichtigen Gegenfrage: „Wer will denn die Ritters in der Nachbarschaft haben?“

Zum Thema Gemeinschaftsunterkunft wollte niemand so recht vor die Kamera treten: der Landkreis gab kein Interview und beantwortete die Fragen schriftlich, wie auch die Firma „Pro Shelter“, die die Flüchtlingsunterkünfte errichtet. Auch von der Polizei bekam Stern TV nur schriftlich Botschaft – immerhin mit der Aussage, dass den Ordnungshütern bewusst ist, das Konflikte nicht auszuschließen sind; das allerdings ist in punkto Familie Ritter Standard und hängt nicht mit Flüchtlingen in der Nachbarschaft zusammen. Olejnicki verlangt schon prophylaktisch eine ständige Präsenz von Polizei und Sozialarbeitern in der Augustenstraße – und sieht eine Situation, „die der Landkreis selbst geschaffen hat“.

Blick aus den „armseligen Räumen“ der Familie Ritter

Angesichts all der großen und kleinen Aufgeregtheiten (Die Ritters haben eine Schlange namens „Hitler“, man denke nur), tat dem Zuschauer die nüchterne Analyse wohl,  die Georg Heeg im Stern TV-Studio vortrug. Heeg, CDU-Stadtrat in Köthen, der sich wohl als einziger mit kommunaler Verantwortung live zum Thema äußern wollte, erwies sich als faktensicher und auch als fit, was die Ortskenntnis anging. Die Ritters hatte er erst einen Tag zuvor besucht und auch das Gelände, auf dem die Flüchtlingsunterkünfte entstehen. Für den Stadtrat sei es keine Überraschung gewesen, dass sich der Anbieter der Unterkünfte und der Landkreis für das Gelände in der Augustenstraße entschieden hätten. Bereits im Sommer vorigen Jahres, vor dem Einsetzen der großen Flüchtlingswelle,  habe die Stadt insgesamt elf Standorte für die Unterbringung von Flüchtlingen untersucht.

Die Augustenstraße sei dabei ein besonders günstiger Standort – wegen der Nähe zur Innenstadt, zu Einkaufsmöglichkeiten, zu einer Grundschule für die Kinder, zum Öffentlichen Personen-Nahverkehr. Heeg ließ sich auch von Hallaschkas Bemerkungen, er rede wie ein Makler und von der Feststellung, man könne die Fremdenfeindlichkeit der Ritters nicht weglächeln nicht beirren. Das Konfliktpotential bestünde, de facto wenigstens,  auch an anderer Stelle der Stadt  – dennoch  habe man  bislang mit Flüchtlingen und ihrer Aufnahme in Köthen durch die Bank positive Erfahrungen gemacht. Die Flüchtlinge, auch das teilte Heeg ganz ungeschminkt mit, seien in der Gemeinschaftsunterkunft durchaus nicht besser untergebracht als die Ritters gegenüber; die Gebäude haben kein Wasser, die Sanitäreinrichtungen sind „über den Hof“, es gibt Doppelstockbetten, Spinde, einen Tisch und zwei Stühle in einem Bungalow.

„Das ist weniger als die Ritters haben“, das Argument, die Ritters könnte sich vom Blick aus ihren „armseligen Räumen“ auf die Bungalows  der Flüchtlingen – sagen wir mal – provoziert fühlen, läuft mithin ins Leere.  Auch zum Zustand der Obdachlosenunterkunft hatte Heeg noch etwas beizusteuern, unter anderem die Botschaft, dass höchste Gerichte in Deutschland die Versorgung solcher Unterkünfte mit ausschließlich kaltem Wasser für rechtens befunden haben. Dennoch hat man als sachkundiger Zuschauer ein kleines, aber nicht unwesentliche  Stück Vorgeschichte der Obdachlosenunterkunft schon vermisst – ein Foto vielleicht vom Zustand der Räume nach der Sanierung durch die Stadt; da haben die inzwischen weitgehend verwahrlosten Zimmer nämlich noch sehr manierlich ausgesehen. Aber es gehört wohl auch zu den Freiheitsgraden, seine Wohnung so vergammeln zu lassen wie man will. Und weil das so ist, ist es gut möglich, dass das Thema Ritter und Obdachlosenunterkunft Köthen in einer Zeit erneut Fernsehtauglichkeit erlangen wird. Wie das Ungeheuer von Loch Ness.  (mz)