Pfarrer und Flüchtlingsbeauftragter Andreas Karras Pfarrer und Flüchtlingsbeauftragter Andreas Karras: "Der Mensch steht im Mittelpunkt"

drosa - Ihren richtigen Namen möchte Brigitte (Name von der Redaktion geändert) nicht in der Zeitung lesen. Zum einen, erklärt sie, möchte sie sich nicht in den Vordergrund drängeln. „Zum anderen sollen nicht die falschen Leute auf uns aufmerksam werden.“
Die falschen Leute - gemeint sind damit gewaltbereite Rechtsradikale, die sich über Brigittes Engagement ärgern könnten. Denn die junge Frau kümmert sich ehrenamtlich um Flüchtlinge, die in Drosa im Osternienburger Land untergebracht sind. 15 Flüchtlinge leben gemeinsam mit Deutschen in einem Haus, fünf weitere sollen bald dazu kommen. Nach eigenen Angaben kommen alle der Flüchtlinge aus Syrien. „Meistens teilen sich zwei Familien eine Wohnung“, berichtet Brigitte.
Rund um die Uhr erreichbar
Sie ist zur Stelle, wenn die Flüchtlinge beispielsweise zum Arzt müssen oder einen Termin bei einem Amt haben. „Eigentlich bin ich rund um die Uhr erreichbar“, erzählt Brigitte. Und warum? „Die Leute werden hier bei Nacht und Nebel ausgeladen. Sie wissen kaum, wo sie sind, sie haben keine Ahnung, wo man Lebensmittel herbekommt oder wie man Bus fährt - da kann man sie doch nicht sich selbst überlassen.“
Aber manchmal weiß auch sie nicht weiter. Dann ruft sie Pfarrer Andreas Karras an. Er ist Flüchtlingsbeauftragter der Evangelischen Landeskirche. Genau genommen teile er seine Zeit, erklärt Karras: Zur einen Hälfte sei er Pfarrer in der Parochie Görzig, zur anderen Hälfte Flüchtlingsbeauftragter und zuständig für das östliche Anhalt und den Bitterfelder Raum. Auch er ist im Notfall zur Stelle, wenn einer der Flüchtlinge ins Krankenhaus muss oder Probleme mit der deutschen Bürokratie hat. Er habe sich bei den Ehrenamtlichen in Drosa und anderswo vorgestellt, sie könnten ihn bei Problemen kontaktieren, so Karras, der in Görzig für die Zeit seiner speziellen Aufgabe durch Pfarrer Michael Schedler (bisher Drosa) unterstützt wird.
Dass er als christlicher Pfarrer sich um muslimische Flüchtlinge kümmert, sei im Übrigen kein Problem, versichert Karras. Über Religionsunterschiede werde bei Problemen nicht lange debattiert. „Der Mensch steht ja im Mittelpunkt.“ Einige der Flüchtlinge in Drosa hätten sogar ein wenig Weihnachten gefeiert. „Hier werden christliche und muslimische Feste begangen. Wenn man mehr zu feiern hat, ist das doch schön“, findet Brigitte.
Aufklärungsarbeit auf beiden Seiten
Auch Johannes Killyen, Sprecher der Evangelischen Landeskirche Anhalt, sieht in den Religionsunterschieden keinen Grund, sich nicht zu engagieren. „Die Aufgabe des Flüchtlingsbeauftragten ist nicht, jemanden zu missionieren“, stellt er klar. Es sei schlicht Teil des christlichen Selbstverständnisses, Menschen in Not zu unterstützen. Karras Aufgabe sei es, Aufklärungsarbeit sowohl bei Flüchtlingen als auch in der Bevölkerung zu leisten.
Karras erzählt, dass das Zusammenleben in Drosa meistens ganz gut laufe - auch weil es Menschen wie Brigitte gebe, die sich Zeit nehmen. „Ich befürchte allerdings, dass sich die Politik zu stark auf Ehrenamtliche verlässt“, fügt der Pfarrer an.
Die 25-Jährige Sara al Kassim, ihr Mann Osama al Khatib und die beiden gemeinsamen Kinder sind vier der Flüchtlinge in Drosa, die von Brigitte und Andreas Karras unterstützt werden.
Sara al Kassim kocht Tee für die Gäste. Ihr Mann fragt, wie viel Zucker sie möchten. Gar keinen, antwortet Karras. Der junge Mann macht große Augen. „Osama nimmt pro Tasse Tee immer sechs Löffel Zucker“, erklärt Brigitte lächelnd.
Erfahrungen mit Ignoranz
„Wir kommen aus der Stadt Idlib in Syrien“, erklärt Sara auf Englisch. Manchmal streut sie ein paar deutsche Worte ein, die sie inzwischen gelernt hat. Seit Oktober sei die Familie in Drosa. „Uns gefällt es sehr gut hier. Die Menschen sind freundlich - in Drosa, aber auch in Köthen und in Wolfen.“ Manchmal aber, erzählt Sara, würden sie von Einheimischen auch glattweg ignoriert. „Wenn wir jemanden nach dem Weg fragen, kommt es vor, dass er sich einfach wegdreht und weiterläuft.“ Das sei aber nicht bei älteren Leuten der Fall, die vielleicht nie Englisch gelernt haben. „Das sind eher Jugendliche.“
Von solchen Erlebnissen abgesehen, sei die Familie in Deutschland immer gut behandelt worden, versichert Sara al Kassim. Außerdem gebe es ja Brigitte und Herrn Karras. Zu ihnen könne sie mit all ihren Fragen kommen. (mz)