Nicht perfekt, aber brillant sein
KÖTHEN/MZ. - Das sagt Bettina Becker aus Magdeburg, Theaterpädagogin, Streetworkerin und Autorin, über sich selbst. Und am vergangenen Samstag hat sie es auch getan, in der Mensa der Hochschule Anhalt, als Leni Kranz, Inge Leischner und ihre Mitstreiterinnen vom Verein Frühstückstreffen für Frauen erstmals in diesem Jahr in Köthen zu einem interessanten und kulinarischen Miteinander eingeladen hatten.
Das Büffet, reich gedeckt und "extrem lecker", wie Simon Becker, Ehemann und musikalischer Begleiter der Referentin, bemerkte, nachdem er in Köthen auch nach dem ersten Ansturm der Hungrigen nicht nur die Salatreste der Deko ergattern konnte. Auch für Künstler und weitere, die aufgabenbedingt etwas später Zeit für das Angenehme finden, gibt es noch genug. Das gelungene Frühstück, es ist Basis für alle, das Folgende also perfekt - oder besser brillant über die Bühne zu bringen.
Denn Perfektsein - das wollten zwar die meisten, wie die Referentin zu berichten hatte - doch es sei bei genauerer Betrachtung wohl doch eher stressig und gar nicht immer so willkommen wie gedacht. "Ob Sie klonen wollen oder Friedfisch angeln, man kann alles perfektionieren", äußerte sie. Ja, sie habe 333 Bücher gefunden zum Thema Perfektionismus. Perfekt aufräumen, einparken, Liebhaber sein - Perfektionismus; allgegenwärtige Forderung an uns. Aber doch: "Gott, wenn du mich schon nicht schlank machst, mach meine Freundin bitte fett!" So das ehrlichste Gebet der Frauen, wie die bekennende Christin nicht ohne Augenzwinkern rüberbrachte. Überhaupt kam alles, was sie referierte, mit einer guten Portion Witz, Humor und Spritzigkeit bei den bestimmt 250 Gästen des Treffens an.
Und in der Tat - wer will schon tagtäglich zusammen sein mit perfekten Menschen? Man stelle sich vor, man hilft der besten Freundin beim Umzug - und hinterm ewig nicht abgerückten Kleiderschrank läge keine einzige Wollmaus! Oder man berichte ihr über die menschlichen Problemchen - und sie würde nur milde lächeln und meinen, sie hätte auch schon gelesen, dass es solche Problemchen geben solle.
Nein - Perfektionismus ist uns oft im Weg - wir versagen oft gerade dann, wenn wir besonders gut sein wollen. Der Ausweg der Magdeburgerin: Nicht perfekt, aber brillant sein. Brillanten mögen schließlich alle, sie sind schön, kostbar, selten und begehrt. Ihr Wert wird durch die vier C bestimmt, Colour, die Farbe, Cut, den Schliff, Carat, das Gewicht und Clarity, die Reinheit. "Mich können Sie bei ebay für 1 533 290 331 Euro plus sieben Euro Versand ersteigern", so die jugendlich wirkende Referentin, die flugs ihr Gewicht mit etwa 340 000 Karat bezifferte.
Einen Menschen mache an Wert natürlich nicht sein Gewicht aus, sondern das, was für ihn wichtig sei, worauf er oder sie die persönlichen Schwerpunkte setze.
Bei der Farbe gilt, je seltener, desto begehrter: "Wenn Sie ein Buntstift wären, welche Farbe hätten Sie?" Nuancen bekam man schon in einem kleinen Experiment heraus, das Becker flugs organisierte, je vier Frauen, die jeweils über eine unter ihnen Vermutungen anstellten: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Dame einszweidreiodervier mal mit Merkel tauschen oder vom Zehnmeterbrett springen würde? Der Schliff - nun, der bringt die Facetten zutage. Er braucht Kraft, Zeit, gelingt nur durch Reibung an anderen harten Sachen und geht an die Substanz. "Ich unterhalte mich gerne mit älteren Menschen, die das Leben geschliffen hat. Es gibt nichts Schlimmeres für mich als 80-jährige, denen man die Spuren des Lebens aus dem Gesicht operiert hat."
Facetten bringen zum Leuchten. Und Reinheit - tja, wir selbst können die leider nicht erkennen. "Schauen Sie sich mal an in einem Spiegel mit zehnfacher Vergrößerung." Das ist damit auch gar nicht gemeint. Beckers Erklärung hier geben Gott und Bibel. Wer selber Fehler hat, darf auf andere nicht mit Steinen schmeißen. "Gott ist größer als das eigene Herz." Womit sie womöglich Recht hat. Es kommt auf die Perspektive an. Vielleicht auch darauf, sich einfach selber nicht immer so furchtbar wichtig zu nehmen.
Etwa, wie jener Freund von Bettina Becker, der auf eine schnippische Bemerkung der Schwiegermutti, bei ihr könne man vom Boden essen, gelassen erwiderte: "Bei uns auch! Liegt ja genug rum!" Stoff genug für folgende Gedankenaustausche waren da auf jeden Fall, eine Möglichkeit für eine Nachbetrachtung gibt es am 9. April ab 19 Uhr, zu dem man sich gern unter [email protected] anmelden kann - ebenso wie für das nächste Frühstückstreffen für Frauen in Köthen am 23. Oktober.