Köthen Köthen: «Rudio» macht aus Wasser Sonne
KÖTHEN/MZ. - Es schüttet wie aus Kannen auf dem Köthener Marktplatz. Bei einem solchen Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür, geschweige denn, dass man ein Konzert besucht. Oder auf die Bühne klettert, um Musik zu machen. Der einzig existente Rhythmus ist das Trommeln der Regentropfen auf der Plane des VW-Transporters, aus dem Christoph Schneider und Stefan Schwensow missmutig auf die Wolken schauen.
Der Gram ist doppelt verständlich: Zum einen will Christoph Schneider, der sich den Künstlernamen "Rudio" gegeben hat, überhaupt gern zusammen mit Schwensow Musik machen. Eine Art poppigen Hip-Hop verspricht der Mann aus Eberswalde seinen Zuhörern, "fröhliche Musik": "In der Hip-Hop-Szene sind wir nicht so anerkannt", sagt "Rudio" und feixt. Zum zweiten will "Rudio" ins Guinness-Buch der Rekorde. Er will in kürzester Frist so viele Konzerte spielen wie noch kein Musiker vor ihm.
Das ist eine ziemlich heftige Aufgabe: Bislang gehört der Rekord einer US-amerikanischen Band namens "Jackyl". Die hat mal 100 Konzerte in 50 Tagen gegeben, eine Größenordnung, die Musiker Rudio und sein Kompagnon Stefan - von Beruf Altenpfleger - geradezu pulverisieren wollen: 101 Konzerte will man schon nach 16 Tagen in Sack und Tüten haben. Köthen ist Station Nr. 28 seit dem Tourstart am 31. Juli. Zuvor war man schon in Schwedt und Wismar, in Stralsund und Lübeck, in Elmshorn und Lüneburg und noch anderswo. Allein der 5. August hat ein volles Programm: Von Gardelegen geht es nach Aschersleben, nach Bernburg, nach Köthen. Dann noch nach Dessau und Wittenberg.
Und nun hängt man in Köthen fest. Ein klein wenig will man noch warten, das Konzert wäre wichtig. Denn eigentlich will es "Rudio" nicht bei 101 Konzert belassen. 110 wären besser. Und wenn Petrus mitspielt, kommt Köthen auch noch auf die Liste.
Petrus hat ein Einsehen. Der Regen verebbt, "Rudio", Roadie Stefan und Mitfahrerin Elisa Körtge ("Ich bin für Film und Foto zuständig") stürzen aus dem VW-Bus, schütteln Wasser von der Plane, stellen drei umgedrehte Wasserkisten als Treppe an den Transporter, der sich eins-fix-drei in eine Bühne verwandelt hat. Die Technik auf der Pritsche reicht aus, um den Markt zu beschallen, den notwendigen Strom borgt man sich von einem Händler-Nachbarn, der mangels Kundschaft fasziniert dem Treiben des Trios folgen kann.
Publikum? Fehlanzeige. Was "Rudio" nicht anficht. Wo steht schließlich, dass ein Konzert auch noch Besucher haben muss? Und: Reichen Schreiber, Fotograf und Fernsehmensch nicht als Publikum aus? Rhetorische Fragen. Das Duo auf der Kleintransporter-Bühne legt unverdrossen los, und da merkt man, dass "Rudio" und Stefan tatsächlich was auf dem Kasten haben. Das erste Lied klingt zwar wie blanker Hohn, denn es ist ein Hohelied auf den Sommer, aber es klingt gut. Die beiden können's.
Und erregen natürlich Aufmerksamkeit. Aus der Ferne des Buttermarktes schauen ein paar neugierige Mädchen herüber und bewegen die Hüften sehr ansehnlich im Hiphop-Style. Aus dem "Caruso" tritt eine Kellnerin und filmt das Treiben per Handy. Und einer, wirklich einer, wagt sich ganz heran an den wackelnden VW, wo die "Hochstapler auf Tieflader" (Eigenwerbung) stehen und das seltsamste Konzert des Jahres geben.
Anass Touba, so heißt der erste Konzertbesucher, kommt aus Marokko, hat in Köthen studiert und arbeitet bei Mercateo. Die Musik gefällt ihm so gut, dass er per SMS einen Freund herbeirufen will. Das klappt zwar nicht, aber der Freund wäre ohnehin zu spät gekommen, denn "Rudio" und Co. haben maximal zwei oder drei Lieder Marke Eigenbau, dann wird aus der Bühne wieder ein Fahrzeug. Am Ende haben die beiden immerhin noch zwei Frauen als Zuschauerinnen dazugewonnen. Und um Punkt 17.19 Uhr wahr und wahrhaftig die Sonne hervorgesungen. Wenn das kein gutes Omen für den Weltrekord ist . . .