Mehr als nur empfindlich In Köthen soll eine neue Selbsthilfegruppe für hochsensible Menschen entstehen
Aber was bedeutet „hochsensibel“ eigentlich?
Köthen - „Ich werde immer dann aktiv, wenn sich Betroffene bei mir melden“, sagt Heike Krümmling von der Paritätischen Selbsthilfekontaktstelle in Anhalt-Bitterfeld. Neulich meldete sich eine Frau bei ihr, die hochsensibel ist - und die nach Möglichkeiten suchte, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Die Frau stamme aus Halle, habe in der Gegend aber nichts Passendes gefunden, so Heike Krümmling. Vielleicht kann ihr in Köthen geholfen werden.
Denn Heike Krümmling ist nun auf der Suche nach anderen Hochsensiblen, die vielleicht gemeinsam eine Selbsthilfegruppe gründen wollen. Vor zwei, drei Jahren habe es so eine Gruppe in Köthen schon einmal gegeben, sagt sie. „Es gibt hier also garantiert Leute, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.“
Verschiedene Studien gehen davon aus, dass zwischen 15 und 30 Prozent der Bevölkerung in irgendeiner Form von Hochsensibilität betroffen sind
Das Thema Hochsensibilität ist dabei ein besonderes. Denn die Frage, was das ist, lässt sich nicht so einfach beantworten. Gemeint ist, dass Betroffene Reize aus ihrer Umgebung kaum filtern, sondern sehr stark wahrnehmen. Das können Geräusche, Gerüche, Berührungen oder auch Bilder sein. Statt Straßenlärm aus Gewohnheit irgendwann einfach auszublenden beispielsweise, kann es sein, dass eine hochsensible Person sehr stark darunter leidet.
Verschiedene Studien gehen davon aus, dass zwischen 15 und 30 Prozent der Bevölkerung in irgendeiner Form von Hochsensibilität betroffen sind - in verschiedenen Schweregraden. Manche haben eher Probleme mit akustischen Reizen, manche nur mit optischen, wieder andere mit mehreren Formen. Ob man Hochsensibilität als Störung oder gar als Krankheit bezeichnen sollte, ist in der Wissenschaft umstritten.
„Dann heißt es schnell: Jetzt stell dich nicht so an. Und irgendwann traut man der eigenen Wahrnehmung nicht mehr, denn andere Leute haben diese Probleme ja nicht“
Dennoch, unterstreicht Heike Krümmling, kann Hochsensibilität mit Leidensdruck verbunden sein. Etwa, wenn Mitmenschen nicht verstehen, was mit den Betroffenen los ist - und ihre Probleme als persönliche Schwäche abtun. „Dann heißt es schnell: Jetzt stell dich nicht so an. Und irgendwann traut man der eigenen Wahrnehmung nicht mehr, denn andere Leute haben diese Probleme ja nicht. Da wäre es hilfreich, sich mit jemandem auszutauschen, dem es ähnlich geht“, sagt Krümmling.
Sie will nun gern dabei behilflich sein, eine solche Runde aufzubauen. Wobei das in Corona-Zeiten nicht so einfach ist. Denn sich einfach mal in der Gruppe zu treffen, geht nicht. Zunächst, erklärt Heike Krümmling, wolle sie die Kontakte sammeln, die sich auf den Aufruf melden. Vielleicht sind es fünf, sechs Leute, vielleicht nur ein oder zwei. Dann soll geklärt werden, ob die Betroffenen einverstanden wären, unter einander zum Beispiel Telefonnummern auszutauschen.
Gespräche per Video-Chat seien eher ungeeignet
Gruppentreffen, macht Krümmling deutlich, müssen nicht so aussehen, wie man es aus Filmen kennt: ein großer Stuhlkreis. Gemeinsame Spaziergänge oder kleine Ausflüge wären auch möglich, wenn die Corona-Regeln es gerade zu lassen und alle damit einverstanden sind.
Gespräche per Video-Chat hingegen seien eher ungeeignet. „Die Hemmschwelle ist bei den meisten ohnehin sehr hoch. Das wird nicht besser, wenn man jemandem, der einem noch fremd ist, am Bildschirm von den eigenen Problemen erzählen soll. Selbsthilfe bedeutet eben persönlichen Kontakt.“
„In der Gruppe muss man auch erstmal nichts sagen, wenn man nicht möchte. Und man kann anonym bleiben.“
Sie selbst werde am Anfang gern bei Gruppentreffen dabei sein, um sich später, wenn sich im besten Falle alles findet, immer mehr zurückzuziehen. Das Angebot, betont sie, sei kostenfrei und nicht verpflichtend. Wer nach einiger Zeit feststelle, dass es nichts für ihn sei, könne jederzeit wieder aufhören. „In der Gruppe muss man auch erstmal nichts sagen, wenn man nicht möchte. Und man kann anonym bleiben.“ Auch wer sich nicht sicher ist, ob er hochsensibel ist, kann sich beteiligen.
Die Treffen könnten dann, wenn es wieder möglich ist, wöchentlich, 14-tägig oder auch monatlich stattfinden. Und Heike Krümmling betont: „Hochsensibel sein, muss nicht nur Nachteile haben. Die Menschen sind dann oft sehr empathisch, können sich gut in andere hineinversetzen.“ Auch über solche Aspekte kann in der Gruppe natürlich gesprochen werden. (mz)
Heike Krümmling ist zu erreichen unter 0340/66158117 oder [email protected]