Flügel für den Schornstein
Weißandt-Gölzau/MZ. - "Die Nutzung alter Kraftwerksschornsteine für Windkraftanlagen ist für den Betreiber äußerst vorteilhaft", sagte Horst Bendix. "Er braucht kein Fundament zu gießen, die Zuwegung ist schon da und wenn er Glück hat, sind auch Stromleitungen in der Erde. Außerdem ist in einem solchen Fall keine Standortgenehmigung erforderlich, der Schornstein steht ja schon da. Bei den Behörden muss man lediglich eine Umnutzung beantragen." Alles in allem helfe seine Idee, Hunderttausende Euro Kosten und viel Zeit einzusparen.
Die Vorbereitungen auf die Endmontage liefen in Weißandt-Gölzau bereits seit der letzten Augustwoche. Der 1982 errichtete und 1989 außer Betrieb gesetzte Schornstein wurde mit Kunststoff-Harzen gestrichen. Darauf kam ein Stahlrohrturm. "Für den Bau von Windkraftanlagen sind nur Stahlbeton-Schornsteine geeignet", erklärte Horst Bendix. Sie haben eine hohe Lebensdauer und sind robust genug, das Gewicht des Generators und der anderen Teile zu tragen.
Der Schornstein in Weißandt-Gölzau ist aus Stahlbeton. Er wird sicherlich noch 100 Jahre stehen. Natürlich haben wir ihn zuvor statisch untersucht."
Vorsichtig, mit viel Spitzengefühl hebt Klaus Hirche von einem Berliner Spezialunternehmen die riesige Strommaschine mit seinem Kran an. Montagearbeiter am Boden befestigen daran große Bolzen, mit denen ihre Kollegen später den Generator in etwa 103 Meter Höhe anbringen werden. Noch einmal prüfende Blicke, hier und da einige Handgriffe. Dann geht die gesamte Konstruktion sehr langsam in die luftige Höhe.
Jetzt hängt vieles von Klaus Hirche ab. Immerhin hat sein Kran 38 Tonnen am Haken. Allein jedes der drei 33 Meter langen Rotorblätter wiegt fünf Tonnen. Der Durchmesser des Kreises, den sie später durch die Luft ziehen werden, beträgt 66 Meter. Ziemlich frischer Wind macht die Sache nicht leichter. Am Ende klappt es reibungslos. Einige Einwohner von Weißandt-Gölzau, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten, stecken zufrieden ihre Kameras ein.
Der Betreiber der Anlage ist die Firma Bolart WEA GmbH, deren Besitzer Eric Arts aus Holland kommt. Für ihn ist die Anlage Neuland nicht nur wegen des Schornsteins. Arts betreibt eine riesige Schweinemastanlage in Vetschau / Spree.
Darüber, dass Arts nun mindestens zwei Millionen Euro in einer ganz anderer Branche investiert, freut sich insbesondere Horst Bendix. Der Bau einer Windkraftanlage auf der Basis des Schornsteins in Weißandt-Gölzau war schon einmal von einer Kommandandit-Gesellschaft in Angriff genommen worden. Der Versuch scheiterte ökonomisch.
Seitdem war der Leipziger lange Zeit auf der Suche nach einem geeigneten Investor. "Nach eingehender Prüfung war Herr Arts sofort bereit, Geld in das Projekt zu stecken", so der Ingenieur, der auch die Vorbereitungen zur Montage der Anlage betreute.
Nach seinen Angaben wird die Windkraftanlage in Weißandt-Gölzau je nach der Windstärke etwa vier Millionen Kilowatt Strom jährlich erzeugen, der ins öffentliche Netz eingespeist wird. Diese Menge würde ausreichen, um 2 000 Haushalte ein ganzes Jahr zu versorgen - "von der Glühbirne bis zur Waschmaschine", wie Horst Bendix sagt. Allerdings muss die Anlage erst einmal einen Probebetrieb absolvieren.
Bendix schweben weitere Projekte vor. "Nach der Wende standen auf dem Territorium der DDR 100 solche Schornsteine ungenutzt", rechnet er vor. "Nur 50 davon wurden abgetragen. Wenn die Besitzer der entsprechenden Grundstücke Interesse haben, würde ich sie gern beraten." Und er fügt hinzu: "Auch in Köthen steht ein geeigneter Schornstein."