"Der reimende Hurone" "Der reimende Hurone": Köthener fand vor über 200 Jahren nicht nur bei Goethe Anklang
Köthen - Selbst der Dichterfürst hat sich mit ihm beschäftigt, wenngleich auf eine Art, die aus heutiger Sicht herabsetzend wirken mag. „Er ist eine Art von Hurone, der eben deswegen und nur insofern gefällt“, sagte Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1805 über den Dichter Gottlieb Hiller, womit er dessen Außenseiterrolle, dessen Talent als Naturdichter chiffriert. Immerhin darf man nach dieser Sentenz annehmen, dass Goethe eins getan hat, wodurch er sich von den allermeisten Köthenern unterscheidet: Er hat Hillers Gedichte gelesen.
Gottlieb Hiller wurde in Landsberg geboren und es wird ein Rätsel bleiben, weshalb ausgerechnet der Internetauftritt seiner Heimatstadt ein falsches Geburtsdatum, nämlich den 20. Oktober 1778, nennt, während Hiller in seiner Selbstbiographie davon schreibt, er sei am 15. Oktober 1778, also gestern vor 240 Jahren geboren. Allerdings muss man Landsberg zugutehalten, dass die Stadt Hiller durchaus würdigt, während Köthens Internetauftritt den Dichter komplett ignoriert.
Was genaugenommen nicht erklärlich ist, denn Hiller fand zu seiner Zeit erhebliche Aufmerksamkeit. Seiner Persönlichkeit wegen, wegen seiner Gedichte und nicht zuletzt deswegen, weil er es geschafft hatte, aus ärmlichen Verhältnissen den Weg in die große Welt und die Welt der Großen zu finden.
Gottlieb Hiller gab in seinen Gedichten Tagesreisen und Erlebnisse wieder
Hillers Vater, den er in seiner Biographie „Hansjürge“ nennt, war einfacher Fuhrknecht, stammte aus Schöneck im Vogtland und starb kurz nach Gottliebs Geburt. Seine Mutter heiratete bald danach den Tagelöhner Andreas Belger aus Köthen, der Frau und Kind mit in seine Heimatstadt nahm, wo Hiller in einem Haus in der heutige Mühlenstraße wohnte - also faktisch außerhalb der Stadt, vor dem „Bärthore“, wie er in seiner Biographie immer wieder betont und darin - wenn es um seine dürftige Schulzeit geht - den Unterschied zwischen den „Stadtknaben“ und den wilden Jungen vor dem „Bärthore“ deutlich macht.
Trotz allem Ehrgeiz ist Hiller letztlich dazu gezwungen, mit seiner Hände Arbeit zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. „Ich spaltete Holz, grub Acker, ging Bothschaften“, heißt es bei Hiller, der auch Taubennester flocht und die Kunst der Ziegelherstellung erlernte. In seiner freien Zeit aber unglaublich viel las: religiöse Werke, aber auch Payne und Wieland.
Dass ausgerechnet eine Hülsenfrucht den Anlass dafür bot, die eigenen Gedanken in Versen auszudrücken, ist so überraschend nicht - erwies sich doch Hiller auch in den Folgejahren immer wieder als Dichter, der Tagesereignisse und -begegnungen in Reimen wiedergab. „An eine grüne Schote“ erschien im Herbst 1801 und begründete recht schnell Hillers Dichterruhm in Köthen und Anhalt; für Kindtaufen-, Hochzeits- und Trauergedichte. Auf hochrangige Empfehlung hin - Hiller war u. a. in Dessau dem Fürsten Franz vorgestellt worden - ging er auf eine Art Lesereise durch Anhalt und das Harzvorland, wobei er unter anderem den Dichtervater Gleim in Halberstadt traf. Die Reise mehrte nicht nur seinen Ruhm, sondern war auch finanziell lukrativ.
Gottlieb Hiller wurde von Freunden und Gönnern gefördert
Ohnehin hatte Hiller in seinen Dichterjahren immer der Hilfe von Freunden und Gönnern gewiss sein können, die etwa die Druckkosten für seine Gedichte übernahmen, an erster Stelle ist dabei der Regierungssekretär Ludwig Gustav Bänsch in Köthen zu nennen, der zu Hillers erstem Buch den „Quasi-Prolog“ verfasste. Auch in den Zeitungen der Region wurden seine Gedichte abgedruckt. Im Jahr 1805 erschienen sie unter dem Titel „Gedichte und Selbstbiographie“ auch als Buch, gedruckt und verlegt in der Aueschen Hofbuchhandlung. 1808 erschien ebenfalls bei Aue „Gottlieb Hillers Reise durch einen Theil von Sachsen, Böhmen, Österreich und Ungarn“.
Mit diesem, sich aus zwölf Briefen an Freunde und Bekannte in der Heimat zusammensetzenden Buch, erweist sich Hiller nach seinen Gedichten als lesenswerter Reiseschriftsteller. Er vermittelt dem Leser lebhafte Eindrücke von seinen Reiseetappen, wie der Sächsischen Schweiz, und von den berühmten und weniger berühmten Personen, die er trifft. Etwa von Kaiser Franz II. in Wien, dem er ein Gedicht auf die neue österreichische Kaiserwürde überreicht.
Wer historisch interessiert ist, dem wird Hillers Buch interessante Facetten der Geschichte vermitteln. Nicht zuletzt auch der Heimatgeschichte: In einem Brief an „Mamsell Louise Naumann“ rekapituliert Hiller deren länger zurückliegenden Besuch in Dresden (wo er gerade weilt) und grämt sich darüber, dass ihr Bruder Fritz - der berühmte Ornithologe Johann Friedrich Naumann - sie in Dresden nicht in die „herrliche Dresdner Bibliothek“ geführt habe.
Gottlieb Hiller bieb die Aufnahme in den Dichterolymp verwehrt – das wusste er schon zu Lebzeiten
Von Johann Friedrich Naumann war Hiller auch gezeichnet und in Kupfer gestochen worden. Dieses Porträt, entstanden für eine kleine Broschüre, die Hiller 1803 auf seine erste Berlin-Reise mitnahm, schmückte später das Frontispiz seines Buches „Gedichte und Selbstbiographie“. Interessanterweise muss es davon mindestens zwei Varianten gegeben haben, was man aber erst mitbekommt, wenn man erste (erschienen 1805) und zweite (1806) Auflage des Buches vergleicht. Darüber hinaus gibt es noch ein Porträt Hillers, dass der Kupferstecher Ludwig Buchhorn, der auch für die Chalkographische Gesellschaft in Dessau arbeitete, gefertigt hat.
Nach seinem zweiten Buch unternahm Hiller noch einige Reisen, lebte dann einige Zeit unauffällig in Ratibor und in Bernau, wo er am 9. Januar 1826 starb. Auch wenn die Zeit seiner Erfolge nur kurz und in seinem Todesjahr schon lange vorüber war, widmete ihn der Neue Nekrolog der Deutschen, Jahrgang 1828, 1. Teil, einen Nachruf, der ihm zwar kaum poetische Kraft zuwies, aber doch versöhnlich endete: „Was Hiller die meiste Ehre macht, ist, dass er nach jenen Auszeichnungen aus den Zirkeln der Vornehmen ohne Stolz und zufrieden in den Kreis seiner Familie zu seinen früheren Beschäftigungen zurückkehrte.“
Dass Hiller es nicht in den Dichterolymp schaffte, dass seine Poesie begrenzt war, war dem Naturdichter selbst klar - und er wusste sich in diesem Punkt augenzwinkernd auf die Schippe zu nehmen. In Reimen, versteht sich: „Ein Bedienter. Wohnt denn der Dichter Hiller hier? / Ich. Ja Herr? Was wollen Sie von mir? / Der Bediente. Nicht viel, ich wollte nur, mein Bester / von Ihnen zwölf Stück Taubennester.“ (mz)