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Der Räderbastler Der Räderbastler: Sebastian Beutler ist der Mad Max von Köthen

Von Anja Förtsch 17.07.2017, 13:56
Wie aus einer anderen Welt: Sebastian Beutler inmitten seiner Kunstwerke - alle selbst entworfen, selbst gebaut und fahrtüchtig.
Wie aus einer anderen Welt: Sebastian Beutler inmitten seiner Kunstwerke - alle selbst entworfen, selbst gebaut und fahrtüchtig. Heiko Rebsch

Köthen - „Das ist ein El 150, ein Feuerwehrpumpenmotor. Der war in der DDR berüchtigt - wenn du nicht aufpasst, kann der dir das Handgelenk brechen.“ Sebastian Beutler reißt an dem schwarzen Hebel, die Maschine erwacht unter Höllenlärm zum Leben, stößt Abgase aus dem Doppelauspuff wie ein Drache aus seinen Nüstern.

Maschine ist Mischung aus Fahrrad, Motorrad und Requisite

Die Maschine, das ist eine abenteuerliche Mischung aus Fahrrad, Motorrad und Requisite aus einem Mad-Max-Film. Und sie ist Beutlers Lieblingsstück. „Naja, zumindest derzeit. Eigentlich hängt mein Herz immer am meisten an dem Rad, an dem ich zuletzt gearbeitet habe.“

Denn ja: Beutler hat die Maschine selbst gebaut. So wie auch alle anderen „sieben oder acht Stück“, sagt er, genau weiß er es gar nicht. „Es waren ja insgesamt auch schon mehr, ein paar musste ich schon loswerden - mir fehlt einfach der Platz, ich habe ja nur zwei Garagen.“

Schrott? Von wegen! Für Sebastian Beutler sind es Kunstwerke

In denen stehen Beutlers Schätze: Räder, die eher Kunstwerke sind als Fahrräder, jedes ein Einzelstück, jedes voller Details. Wie das petrolblaue Trike: Ein Rad vorn, zwei Räder hinten, die Speichen geflochten, der Rahmen aus einem alten, gusseisernen Gartenzaun, eine geschmiedete Laterne als Rücklicht.

Oder der Zweisitzer, der beinah so breit ist wie ein kleines Auto, der eine Schaufel als Sitzfläche hat, einen Tank als Beiwagen und eine leere Gasflasche als Antriebsattrappe. Jedes der Räder ist in kleinteiliger Handarbeit entstanden, monatelang, teils über ein ganzes Jahr hinweg. Und: Jedes besteht vollständig aus Schrott.

Was für andere Abfall ist, ist Beutlers Rohstoff. „Ich mag es, Sachen zu verwenden, die schon mal ein Leben hatten“, sagt er. Die bekommt er häufig von der Firma Kremer, die in Löbnitz einen Schrottplatz betreibt. „Es ist toll, dass der Chef mich da immer mal stöbern lässt - solange ich nicht jeden Tag auf der Matte stehe“, sagt Beutler lachend. „Ich könnte da wirklich nicht arbeiten, ich würde alles mitnehmen.“

Großvater brachte Sebastian Beutler zur Fahrradkunst

Zu seiner Fahrradkunst gekommen ist der 33-Jährige über seinen Großvater. „Der war Zweiradmechaniker und hat mich als Kind immer mit in die Werkstatt genommen“, erzählt er. „Ich kann mich eigentlich nicht erinnern, dass ich jemals nicht an Fahrrädern herumgeschraubt habe, das mach ich seit ich laufen kann.“

Seit er das Schweißen gelernt hat, schraubt er nicht mehr nur an Fahrrädern, sondern auch an seinen Kunstwerken, mal motorisiert, mal nicht. „Das erste entstand so vor fünf oder sechs Jahren. Ab da hatte es mich gepackt.“ Seitdem geht praktisch seine gesamte Zeit für das Basteln drauf - schließlich werkelt Beutler stets in Eigenregie, nur für Spezialteile geht ihm manchmal ein befreundeter Dreher zur Hand.

Der Kopf ist für Sebastian Beutler das wichtigste Werkzeug

Sein wichtigstes Werkzeug? Das Schweißgerät? Beutler überlegt kurz: „Mein Kopf.“ Denn dort entsteht jedes seiner Kunstwerke, und zwar von der ersten fixen Idee bis zum fertigen Rad. „Ich mache vorher nie eine Bauzeichnung, ich kann das gar nicht. Ich habe einfach eine Idee, fange an und mache immer weiter, so wie es mir gerade einfällt.“

Und das ist manchmal ziemlich unkonventionell: „Bei einem Fahrrad habe ich eine breite Felge genommen, wie an einem Motorrad. Darauf wollte ich dann zwei Fahrradmäntel ziehen. Alle haben gesagt, das geht nicht, das passt nicht“, erzählt Beutler. Und zeigt auf das fertige Kunstwerk - auf dessen Hinterrad zwei Fahrradmäntel gezogen sind.

Sicher, ein paar Mal ging das schon daneben. „Meist bin ich selbst überrascht, dass es funktioniert.“ Denn jedes der Kunstwerke fährt auch. „Die Fahrräder kann man ganz normal auf der Straße fahren. Wenn mir mal Polizisten entgegenkommen, lachen die schon, die kennen mich ja - Probleme gibt es da nicht.“

Motorisierte Fahrräder nicht für Straßenverkehr zugelassen

Nur die motorisierten Räder fährt er ausschließlich auf Privatgelände, schließlich sind sie nicht für den Straßenverkehr zugelassen. Und ob sie durch den Tüv kommen würden, ist fraglich: Beutler schmeißt den Motor an seinem Drift-Rad an, dreht nur Millimeter am Gashebel - und die Maschine drückt auf eine Art und Weise nach vorn, bei der man nur erahnen kann, welche Kraft dahinter steckt.

„Das Rad schafft 65 Kilometer pro Stunde. Und man sitzt nur Zentimeter über dem Boden, ohne Sicherheitsgurt oder Knautschzone. Das ist schon echt gruselig, das will man nicht fahren.“ Aber bauen, das will es der Fahrradkünstler eben schon.

22.000 Facebook-Fans hat seine Seite

Und das wollen auch seine Fans. Mehr als 22 000 Menschen haben seiner Facebook-Seite „Custom Bicycle“ schon einen Daumen nach oben gegeben. „Der Zuspruch kommt dabei vor allem aus Südamerika“, erzählt Beutler. „In Deutschland ist es etwas schwieriger. Für die meisten hierzulande ist es eben einfach nur Schrott, wenn es nicht glänzt und funkelt.“ Trotzdem hat er auch Fans aus seinem Heimatland.

Vor kurzem war sogar einer davon extra aus Dresden angereist. „Drei, vier Tage war er hier und hat mir beim Arbeiten zugesehen.“ Sehen und vor allem erleben kann man den Künstler auch immer wieder bei Umzügen, Veranstaltungen oder seinen eigenen Ausstellungen.

Es gibt zahlreiche Anfragen für Ausstellungen

„Zuletzt hatte mich die Firma Pneuhage in Bernburg gefragt, ob ich meine Räder nicht bei ihnen ausstellen will. Die sind sogar extra mit einem Lkw gekommen, um sie abzuholen, ich hätte sie ja selbst gar nicht bis dorthin bekommen.“ Dabei führen die Sicherheitsbestimmungen auch schon mal zu komischen Umbauten: „Bei einer Veranstaltung gab es Bedenken wegen der Spitzen auf manchen Rädern. Dann haben wir da eben einfach Korken drauf gesteckt“, erzählt Beutler mit einem Lachen.

Der El 150 der 550 Kilogramm schweren Mad-Max-Maschine tuckert noch immer vor sich her. „Ich muss mal eben Gas geben, damit das Benzin alle läuft, sonst hört die Maschine nie auf. Könnte kurz laut werden.“ Laut ist dabei relativ - wer schon das Tuckern des Motors für Höllenlärm hielt, hat keine Ahnung, wozu die Maschine noch fähig ist.

Der Motor dröhnt, eine halbe Tonne Stahl vibriert, das eigene Wort ist längst nicht mehr zu verstehen. Dann ist der Tank alle, der Motor stirbt ab, aus dem Doppelauspuff steigen nur noch die letzten, kleinen Abgaswolken. Der Drache schläft wieder.

(mz)

Wiederverwendet: Schraubenschlüssel werden zu einem Fahrradständer.
Wiederverwendet: Schraubenschlüssel werden zu einem Fahrradständer.
Rebsch