Bücher lesen und Schach spielen
KÖTHEN/MZ. - Was Nora Ben Mansour beim kurzen Schwatz mit der Schulleiterin der Ratkeschule nicht vergisst zu sagen: "Es ist toll wie immer, so liebevoll". Und schon im Gehen: "Das war mal meine Kunsterziehungslehrerin."
Das Fach, das heute Gestalten heißt, verbindet die Frauen - die ehemalige Schülerin und die Leiterin des Hauses in der Köthener Hugo-Junkers-Straße. Dass die Kinder von Nora Ben Mansour hier zur Schule gehen, versteht sich von selbst. Auch, dass sie zum Tag der offenen Tür vorbeischauen.
Viele Eltern nutzen am Samstag die Gelegenheit, mit den Lehrern ihrer Kinder und den pädagogischen Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen. "Die Zusammenarbeit mit unseren Eltern funktioniert hervorragend. Sie sind immer zur Stelle, wenn man sie braucht", lobt Marlit Geßner.
Das hört Nicole Helmecke gern. Die junge Frau ist im Schulelternrat - und zum Tag der offenen Tür für ein paar Stunden "Museumschefin". Sie winkt ab, "ich passe hier nur ein bisschen auf". Als Herrin über Waschbretter, Milchkannen, Küchenwaagen, Bügeleisen und Telefone, über Schulranzen und Eisenbahnen freut sie sich besonders, dass die Kinder so viele Stücke von zu Hause mitgebracht haben. Einen Rechenschieber vom Opa steuerte sie selbst zur Ausstellung bei. Marlit Geßner erklärt, warum die Stücke hier gezeigt werden: "Das sind die Ergebnisse unseres Projektes, bei dem sich alles um Zeit drehte." Die Ausstellungsstücke sind auf ihre Weise Zeugen einer Zeit - und in aller Munde.
Anja und Dörk Brauns kommen während ihres Rundgangs durch das 1964 gebaute Haus in der Ausstellung an und sind begeistert. "Alles ist freundlich, schön ausgestaltet und für jedes Alter etwas dabei", findet der Familienvater. Sarah, seine Tochter, ist sechs geworden und wird nächstes Jahr eingeschult. Seine Frage an Marlit Geßner geht dahin, wie die Ratkeschule sich auf die Erstklässler vorbereitet. "Ab Mai gibt es wieder unsere Kennenlerntage, damit der Übergang so harmonisch wie möglich erfolgen kann", kündigt die Leiterin an. "Wir haben festgestellt, dass es von großem Vorteil ist, wenn sich die Kinder gleich vom ersten Tag bei uns im Haus auskennen und zurechtfinden." Das rechtfertige den Aufwand, den die Lehrer betreiben.
Für den Tag der offenen Tür gleichermaßen. Alle Räume sind offen, "die sind bei uns zwar etwas kleiner, aber wir machen das beste daraus", lacht Marlit Geßner. In jedem einzelnen stehen die Lehrer und pädagogischen Mitarbeiter bereit, Fragen zu beantworten. Die Eltern unterstützen.
In der Bibliothek etwa. Ein besonderer Raum für die Ratkeschule, wo 226 Mädchen und Jungen lernen: "Seit der Pisa-Studie wissen wir, viele Kinder können nicht ausreichend lesen", so die Leiterin. "Wir wollen es unseren Schülern leichter machen, sich Wissen durch Lesen anzueignen." Deshalb ein Schulprogramm zu diesem Thema. Überschrieben ist es "Mehr Wissen durch Lesen".
"Wir haben mehr als 1 000 Bücher hier", erzählt Elke Schrage, deren Reich die Bibliothek ist. Die Kinder kämen gern hierher. Vor allem die zweiten Klassen, die das Lesen gerade erst für sich entdeckt haben. Und an der Ratkeschule zahlt sich aus, wer viel liest: Jedes Jahr werden die emsigsten Leseratten gesucht.
"Und wer nicht liest", scherzt Marlit Geßner, "der spielt Schach." Das überdimensionale Schachbrett vor dem Gebäude sagt alles. Hier ist die Schachleidenschaft zu Hause. Helga Blask, pädagogische Mitarbeiterin, und Marko Preuss schließen den Schachraum so oft es geht auf. Nebeneinander aufgereiht die Schachbretter. Dass dahinter die Computer stehen, stört den schachspielenden Vater Marko Preuss nicht weiter: "Ich höre immer wieder, dass Schach viel spannender ist, als am Computer zu spielen. Spätestens nach zehn Zügen wird jede Partie einzigartig, da wiederholt sich nichts."
Das gilt auch für die Leuchtturm-Galerie auf dem selben Flur. Keiner gleicht dem anderen. Alexa Peuker huscht an ihrem Exemplar vorüber und erklärt schnell, was sie und ihre Klassenkameraden hier gemacht haben: "Wir wollten Leuchttürme in 3 D basteln. Man denkt dann, man kann sie anfassen", sagt die junge Dame aus der 4 b. Warum ihrer rot und weiß ist, hat seinen Grund: "So einer steht bei uns im Wohnzimmer."
Katrin Schmiegel, die das Projekt im Fach Gestalten betreut hat, erzählt, dass sie so die Eindrücke der Sommerferien festhalten wollte. Die Kinder schwärmen noch heute davon, wenngleich sie ihre Bastelleidenschaft am liebsten für weihnachtliche Dekoration einsetzen. Die Schneemannparade an der Wäscheleine im Raum von Katrin Schmiegel zeugt davon und gibt ein reizendes Bild ab: "Toller Adventskalender", findet Schulleiterin Geßner. "Es ist sonst so wenig Zeit, um miteinander zu reden."
"Frau Geßner, ich hab sie erkannt", ruft es im Vorbeigehen. Sie lacht, freut sich, dass man sie mit jenem Foto, das sie als kleines Mädchen zeigt, offenbar doch in Verbindung bringt.
An einer großen Wand gleich hinter dem Eingang sind die Schnappschüsse aus Kindertagen der Lehrer ausgestellt - und die Schüler sollen nun erraten, wer wer ist. Anfang Februar wird das Geheimnis gelüftet. Und Marlit Geßner ist ziemlich gespannt auf die Auswertung: Welche Zahl passt denn nun zu welchem Gesicht?