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Amtsgericht Köthen Amtsgericht Köthen: Schlüsseldienst-Anbieter wegen Wucher verurteilt

Von Daniel Salpius 29.11.2017, 10:02
Nach der Erleichterung über die geöffnete Tür kommt der Schock: Viele Schlüsseldienste stellen überhöhte Rechnungen - das ist häufig nicht rechtens.
Nach der Erleichterung über die geöffnete Tür kommt der Schock: Viele Schlüsseldienste stellen überhöhte Rechnungen - das ist häufig nicht rechtens. Archiv

Köthen - Im Prozess gegen einen selbstständigen Schlüsselnotdienst-Anbieter aus Gelsenkirchen vor dem Amtsgericht Köthen (die MZ berichtete) ist das Urteil gefällt: Richterin Susanne Vogelsang verurteilte den Angeklagten S. am vorigen Donnerstag wegen Wuchers zu einer Geldstrafe von 2.400 Euro. Vorangegangen waren zwei Verhandlungstermine, bei denen insgesamt neun Zeugen gehört wurden.

Schloss-Öffnung und Austausch sollten 1.200 Euro kosten

Der Beschuldigte hatte am Ostersonntag 2016 in der Edderitzer Straße in Köthen das Schloss der 89-jährigen Rentnerin N. geöffnet und ausgetauscht. Fast 1.200 Euro verlangte er dafür.

Zudem drängte der 32-Jährige die Rentnerin, sofort zu zahlen, andernfalls wollte er das Schloss wieder ausbauen. So beschrieb es N. in der ersten Verhandlung Anfang November. Die verunsicherte Rentnerin zahlte und rief erst einige Stunden später die Polizei.

Schlüsselnotdienst erweckt Anschein in Köthen zu sitzen

Bestellt worden war der Angeklagte über die 0800-Nummer eines 24-Stunden Schlüsselnotdienstes, der bis heute im Telefonbuch den Anschein erweckt, in der Thomas-Mann-Straße in Köthen zu sitzen. Von diesem Unternehmen bekam S., der selbstständig tätig ist und nach eigener Aussage Ostern 2016 auf Montage in der Region war, seinen Auftrag.

Zum zweiten Verhandlungstermin hatte Richterin Susanne Vogelsang noch einmal sechs Zeugen geladen. Beim ersten Termin konnte sich das Gericht zur Verfassung der Geschädigten am Tag der Türöffnung noch kein ausreichend klares Bild machen. Ebenso zur Frage nach den ortsüblichen Preisen der vom Angeklagten erbrachten Leistungen.

Angeklagter rechnete mit einem Freispruch

Noch kurz vor dem Urteil zeigten sich der Angeklagte und sein Verteidiger Chapar Golkar gegenüber der MZ zuversichtlich. „Ich rechne mit Freispruch“, so S. Anlass zum Optimismus hatten aus Sicht der Verteidigung zuvor die Aussagen der ortsansässigen Köthener Schlüsseldienst-Unternehmer H. und B. gegeben.

Ortsansässige Unternehmen hätten für die Öffnung und den Tausch zwischen 200 und 400 Euro berechnet

Beide Zeugen hätten für Öffnung und Schlössertausch zum Feiertag zwar nur zwischen 200 und 400 Euro berechnet, also nur einen Bruchteil dessen, was der Angeklagte verlangte. Golkar rang zumindest H. durch gezielte Nachfragen jedoch die Aussage ab, dass er am betreffenden Ostersonntag womöglich nicht erreichbar gewesen wäre.

Beide Schlüsseldienstleister erklärten außerdem übereinstimmend, sie würden nur noch unregelmäßig Bereitschaftsdienste machen, weil sich dies nicht rentiere.

Zu hoch seien beispielsweise die Kosten beim Personal durch die unregelmäßigen Arbeitszeiten. Zu schlecht sei die Auftragslage in einer Kleinstadt wie Köthen. Für Golkar ist dies der Beweis, dass sein Mandant einen kostspieligen Service anbiete, der sich nur zu höheren Konditionen lohne.

Gegen den Angeklagten sind in Gelsenkirchen weitere Verfahren wegen Wuchers anhängig

Vor Gericht wurde aber auch klar, dass die Schlüsseldienstleister in Notfällen sehr wohl zur Stelle sind. „Im Zweifelsfall muss da der Chef selbst ran“, sagte B. auf Nachfrage Vogelsangs aus. Gegenüber der MZ sagte er: „Anbieter wie der Angeklagte sind natürlich der Grund dafür, dass wir Schlüsseldienste so schlecht dastehen.“

Deshalb würden die Leute sie kaum noch rufen. Wie während der Verhandlung durch Aussage des in der Sache ermittelnden Kriminalbeamten zudem bekannt wurde, sind in Gelsenkirchen gegen den Angeklagten weitere Verfahren wegen Wuchers anhängig.

89-jährige Rentnerin war ängstlich und aufgeregt

Belastend dürften sich für den Angeklagten vor allem die Ausführungen einer engen Freundin der Geschädigten ausgewirkt haben. Sie beschrieb N. als sehr leicht einzuschüchtern und ängstlich. Zudem habe sie auch damals schon Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis und dem Hörvermögen gehabt.

Auf einem Ohr sei sie taub. Am betreffenden Ostersonntag sei N. sehr aufgeregt gewesen. Sie wolle immer alles richtig machen und niemandem zur Last fallen. Der Polizeibeamte, der damals die Anzeige aufgenommen hatte, bestätigte den altersbedingt schlechten Zustand der 89-Jährigen vor Gericht.

„N. konnte unseren Fragen schwer folgen, wir mussten ihr alles stückchenweise aus der Nase ziehen.“ Es habe lange gedauert, aber am Ende konnte sie alle Details schildern.

Richterin: „Dem Angeklagten muss klar gewesen sein, dass er eine gebrechliche Frau vor sich hatte“

Für Richterin Susanne Vogelsang ergab sich aus den Schilderungen das Bild einer geistig und körperlich geschwächten alten Frau, die in dieser Situation unerfahren gewesen sei, der es insofern an Urteilsvermögen gefehlt habe und die wegen ihrer Verfassung willensschwach aufgetreten sei.

Angeklagter möchte Rechtsmittel gegen Urteil einlegen

„Dem Angeklagten muss klar gewesen sein, dass er eine gebrechliche Frau vor sich hatte“, so Vogelsang in ihrer Urteilsbegründung. „Der Angeklagte hat diese Situation ausgenutzt.“

Denn mit fast 1.200 Euro habe er einen Preis verlangt, der im krassen Missverhältnis zu dem stehe, was man in Köthen nach Aussage der ortsansässigen Schlüsseldienste für die erbrachten Leistungen verlangen kann. „Deshalb ja, das ist Wucher.“ Strafschärfend wirkten sich auch S. Vorstrafen aus, darunter schwerer Raub, Körperverletzung, Drogenhandel und Nötigung.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Er wolle Rechtsmittel einlegen, kündigte Golkar gegenüber der MZ an. (mz)