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Abgeordneter der letzten Volkskammer der DDR Abgeordneter der letzten Volkskammer der DDR: Werner Sobetzko war ein Wegbereiter der Einheit

Von Matthias Bartl 18.03.2015, 15:56
Werner Sobetzko hat zahlreiche Erinnerungen an die Volkskammerzeit aufbewahrt.
Werner Sobetzko hat zahlreiche Erinnerungen an die Volkskammerzeit aufbewahrt. Ute Nicklisch Lizenz

Köthen - Werner Sobetzko hatte sich nicht allzu große Hoffnungen gemacht. Immerhin hatten Demoskopen und andere Glaskugelbeschauer seine Partei bei irgendwas um 20 Prozent gesehen, knapp darüber bestenfalls. Keine besonders guten Voraussetzungen für einen CDU-Mann im ersten Quartal des Jahres 1990, wenn er einen Platz in der Volkskammer anstrebte.

Andererseits: Sobetzko fühlte sich trotz der Aufbruchstimmung der Wendezeit längst nicht wirklich als Politiker. Er war Chemiker, promovierter gar, arbeitete damals im VEB Orbitaplast Weißandt-Gölzau, und seine politischen Ambitionen waren eher verhaltener Natur. Wie nicht wenige in dieser Zeit war Werner Sobetzko eher ein von der Situation Getriebener als ein Treibender. Das sollte sich ändern.

Denn Sobetzko, auf einer CDU-Liste des Bezirkes Halle für die 10. Wahlperiode der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik eigentlich im Niemandsland angesiedelt, war plötzlich („Wir holten 43 Prozent und irgendwas“) einer von den 19 CDU-Frauen und -Männern, die der Wählerwille in ein Gremium gesendet hatte, das eigentlich für vier Jahre gewählt war, sich aber schon wenige Monate später wieder auflöste - im Zuge der deutschen Einheit hatte nur mehr der Bundestag das Sagen.

Versammlung politischer Laien

Aber zwischen dem 18. März und dem Herbst war Werner Sobetzko nun direkt dabei, als Geschichte gemacht wurde. „Ein paar Tage nach der Wahl sind wir in Berlin das erste Mal zusammengekommen“, erinnert sich Sobetzko, inzwischen 75 Jahre alt. Nicht zuletzt, um innerhalb der CDU abzustecken, wer für welche Funktion geeignet war. Es war eine Versammlung politischer Laien (kein „Laienspieltheater“, wie man es immer wieder mal zu hören bekommt), die in extrem schwieriger Zeit ein Land führen musste - und es war im Frühjahr 1990 noch lange nicht ausgemacht, wohin die Reise gehen würde. „Man hatte durchaus noch das Gefühl, die DDR werde noch eine Weile bleiben“, denkt Werner Sobetzko an die ersten Tage als Volkskammerabgeordneter zurück. Das klare Ziel sei es gewesen, den Bürgern die Chance zu eröffnen, „hier zufrieden leben und arbeiten zu können“.

Damit freilich habe man die Dynamik der Geschichte unterschätzt, ist sich Sobetzko bewusst. Der SPD-Mann Richard Schröder zitiert: „Die Monate in der Volkskammer waren die intensivste Zeit, die ich erlebt habe.“ Dafür sprechen schon manche Zahlen, die Sobetzko notiert hat. Im kurzen Leben der einzig freigewählten Volkskammer der DDR gab es sage und schreibe 38 Sitzungen. Dazu kamen Sitzungen der Fraktionen, Sondersitzungen, Beratungen in x verschiedenen Gremien. „Das ging üblicherweise bis in die Nacht hinein“, denkt der Köthener zurück. Manche seien irgendwann erschöpft auf ihren Stühlen eingeschlafen. „Wir mussten uns aber auch beeilen, um zu Ergebnissen zu kommen.“ Denn buchstäblich alle Bereiche des Lebens in der DDR wurden nun umgestülpt, benötigten neue Gesetze, neue Regularien, Anpassungen - zumal dann, als allen klar wurde, dass man in Bälde in der Bundesrepublik Deutschland aufgehen würde.

„Ich war ja plötzlich für die ganze DDR zuständig“

Und Werner Sobetzko hatte in diesem Wirbel der Ereignisse keine Hinterbänkler-Funktion. Im Gegenteil: In einem speziellen Gebiet stand er an vorderster Front. Sobetzko war Vorsitzender des Ausschusses für Forschung, Technologie und Nachfolgeabschätzung. Das war dem Mann aus der chemischen Forschung wie auf den Leib geschneidert.

Obwohl er heute noch darüber staunt, mit welchem Mut man damals an die schwierigsten Dinge herangegangen sei. „Ich war ja plötzlich für die ganze DDR zuständig, für die Betriebe, die Forschungsbereiche hatten, und anderes mehr“ - und es war schnell klar, dass auf alle große Herausforderungen zukommen würden. So war es für den Ausschuss wichtig, zum Beispiel die Produktionsfähigkeit der Chemieindustrie zu sichern, ein neues Patentgesetz wurde vorbereitet, die komplexen Akademiestränge entflochten und Ausgliederungen wurden vorbereitet.

Nicht zuletzt hat Werner Sobetzko in dieser Zeit der aufkommenden Fördermittel auch seiner Heimatregion helfen können. Dass es in Halle noch heute ein Umweltforschungszentrum gibt, lag am Sobetzkos energischem Eintreten dafür. „Das sollte ursprünglich nur nach Sachsen kommen. Aber ich habe es geschafft, den damaligen Bundesforschungsminister Riesenhuber davon zu überzeugen, dass ein erheblicher Teil in Halle angesiedelt wurde.“ In Weißandt-Gölzau gibt es noch heute das Institut für Kunststofftechnologie und - recycling, für das Sobetzko 1990 „Geburtshelfer“ war, ebenso wie für die Förderung einer Gülleverarbeitungstechnologie in Pfaffendorf. Immer auf Achse, selten zu Hause - Sobetzko hat vor allem seiner Frau Christa zu danken. „Sie hat mir stets den Rücken freigehalten.“

„Das ist Zeitgeschichte und gehört dauerhaft aufbewahrt“

Der Rückblick auf die Monate als Volkskammerabgeordneter könnte Bücher füllen. Werner Sobetzko hat heute noch ganze Aktenberge aus dieser Epoche zu Hause, die er aber demnächst der Konrad-Adenauer-Stiftung über geben wird. „Das ist Zeitgeschichte und gehört dauerhaft aufbewahrt“, findet er.

Die Gesellschaft im Osten habe durch den befreienden Aufbruch im Herbst 1989 einen grundsätzlichen Wandel erfahren, „auf den wir kaum vorbereitet waren, ja, nicht vorbereitet werden konnten. Ich glaube aber, dass in der Volkskammer unter dem enormen politischen Zeitdruck alles Entscheidende richtig gemacht wurde!“

Den Weg zurück in die geliebte Forschung hat es für Werner Sobetzko nicht gegeben. Irgendwann im Spätsommer 1990 bot ihm der damalige CDU-Vorsitzende für Sachsen-Anhalt, Gerd Gies, ein Ministeramt in seiner Regierung an - ein Angebot, das Werner Sobetzko letztlich annahm. Aber das ist schon eine andere Geschichte. (mz)

Sobetzko (3.v.l.) mit Bundesforschungsminister Riesenhuber
Sobetzko (3.v.l.) mit Bundesforschungsminister Riesenhuber
Privat Lizenz
Werner Sobetzkos Ausweis als Mitglied der Volkskammer.
Werner Sobetzkos Ausweis als Mitglied der Volkskammer.
Privat Lizenz