Sorgenkind Infrastruktur Sorgenkind Infrastruktur: Wirtschaftsminister Hartmut Möllring besucht Jessen

Jessen/MZ - Da hatte Günter Gottwald die Lacher auf seiner Seite. Der Seniorchef des gleichnamigen Autohauses in Jessens Rehainer Straße und Gastgeber des gestrigen Unternehmergesprächs mit Hartmut Möllring (CDU), konfrontierte Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister mit der saloppen Aussage: „Als Minister haben sie’s doch eigentlich einfach. Sie brauchen doch nur unsere Vorschläge umzusetzen.“ Womit Gottwald sagen wollte, dass der Wirtschaftsminister, der inzwischen seine berühmten ersten 100 Tage im Amt hinter sich hat, mehr auf die Unternehmer, vor allem die mittelständischen, hören sollte.
Aus solchen nämlich bestand die Runde, die sich nach der Besichtigung der Elsterland-Molkerei durch Hartmut Möllring und den Bundestagsabgeordneten Ulrich Petzold (CDU) gegen Mittag zusammenfand im Wesentlichen. Diskutiert wurde über eine recht breite Palette von Themen, die letztlich alle mit der regionalen Wirtschaft in Verbindung stehen.
Jessens Bürgermeister Dietmar Brettschneider (CDU) sprach drei grobe Hemmnisse für den Wirtschaftsstandort an: Die Demografie-Debatte gehe in eine völlig falsche Richtung und wirke damit kontraproduktiv - sein Sohn Frank Brettschneider, CDU-Fraktionschef im Stadtrat, konkretisierte, dass zum Beispiel angedrohte weitere Schulschließungen den Verbleib oder gar Zuzug junger Leute torpedieren. Der Bürgermeister fügte noch die mangelnde Infrastruktur - „die Anbindung an die großen Netze fehlt“, und die langstielige Genehmigungs- bzw. Förderpraxis für Gewerbeansiedlung und -erweiterung an. „Die ist über die Jahre nicht besser geworden, sondern immer schlechter.“ Sollte das Wirtschaftsministerium da Tipps brauchen, mit seinen rund 25 Jahren Erfahrung in der Lokalpolitik stehe er gern zur Verfügung. Die Infrastruktur bewegte allgemein. Horst Seibicke, Glücksburg Agrar e.G. Dixförda, konstatierte: „Wir nutzen vor allem Kreisstraßen. Die tendieren hin zum Niveau eines DDR-Straßenmuseums.“ Benno Loff, Kommunal- und Industrieentsorgung GmbH, erinnerte: „Schon unser Freund Hans-Martin Taesch hat sich seiner Zeit für eine zusätzliche Elbequerung stark gemacht. Seither wird immer wieder geredet, aber es passiert nichts.“
Dietmar Brettschneider bedauerte, dass dem Bundeswehrfliegerhorst Holzdorf - 2 000 Leute, wichtig für den Katastrophenschutz - von der Seite Sachsen-Anhalts nie das gebührende Augenmerk geschenkt wurde. Oberstleutnant Mario Herzer bestätigte, dass zwar der Standort selbst top sei, aber das Umfeld (Verkehrsanbindung für Pendler, keine Jobs für Familienangehörige) ihn nicht eben zum Wunschstandort für Soldaten und Offiziere mache. Rainer Ullrich, Annaburger Nutzfahrzeug GmbH, beklagte unflexible Praktiken bei der Agentur für Arbeit in Bezug auf schwankende Auftrags- und Beschäftigungslagen. Peter Ploss, Annaburg Porzellan, kritisierte die „kleinen Könige“ in manchen Ämtern, die Genehmigungsverfahren ungebührlich verzögerten. Dietmar Brettschneider hatte da ein Beispiel: Die letzten Baugenehmigungen in Folge der Flut 2002 seien bis heute nicht erteilt.
Alles in allem jede Menge Holz für Minister Möllring, der zumindest zusagte, einen Kommunikationskanal für die Unternehmer aus dem Jessener Land offen zu halten.