Jessen Jessen: Traditionszimmer soll entstehen
jessen/MZ. - Die Schüler der vierten Klassen der "Maxe" lauschen im Klassenzimmer aufmerksam, was Martin Groh, Kunsthistoriker aus Berlin, über den Namensgeber ihrer Schule - Max Lingner - zu erzählen weiß.
Lingner wäre am 17. November 123 Jahre alt geworden. Zwischen den Kindern sitzt auch Gerhard Kitzig, der Maler und Grafiker mit Jessener Wurzeln. Er gestaltet mit Groh einen Vortrag, bei dem die Kinder nicht nur zuhören, sondern auch mitmachen können. Kitzig - das erfahren die Kinder staunend - ist sogar mit Max Lingner weitläufig verwandt. Sowohl Martin Groh als auch Gerhard Kitzig agieren für die Max-Lingner-Stiftung und stellen fest: "Die Kinder sind noch interessierter als vor einem Jahr."
Ein Rückblick: Seit November 2010 hängen 22 gerahmte Zeichnungen von Max Lingner im mittleren Flur der Jessener Schule. 40 dieser Pressezeichnungen des 1888 in Leipzig geborenen Malers, Grafikers und Widerstandskämpfers gegen das NS-Regime hatte die Einrichtung aus dem Lingner-Nachlass heraus im Frühling 2011 über die Stiftung erhalten. Mehr als die Hälfte davon ist seitdem als Dauerausstellung in der Schule zu betrachten. Die Schule besitzt auf diese Art einen Teil des Lingner-Erbes und will damit verantwortungsbewusst umgehen. Hilfe findet sie auch bei Jessener Bürgern, die als Paten Spezialrahmen für die Zeichnungen spendeten.
Schulleiterin Heidrun Dinda verdeutlicht: "Wir möchten das Engagement fortsetzen, das einst Schulleiter Thomas Felber, seine Kollegen und die damaligen Schüler der früheren Sekundarschule für den Namen von Max Lingner gezeigt haben, und ich bin dankbar, dass wir gute Unterstützung von der Stiftung haben." Das hören auch Gerhard Kitzig und Martin Groh erfreut, denn die Jessener Schule ist mittlerweile die einzige bundesweit, die den Namen des 1959 verstorbenen Künstlers trägt.
Umringt von wissbegierigen Schülern ist auch Gabriele Wolf. Sie arbeitete von 1978 bis 2005 als Kunstlehrerin an der Schule, war über viele Jahre im "Freundeskreis Max Lingner" tätig und erzählt von einer Begegnung mit der Witwe des Künstlers, Erika Lingner. Außerdem besitzt Gabriele Wolf jede Menge Material, das sich im Laufe der Jahrzehnte ansammelte. Einiges davon hat sie ausgewählt, als sie gebeten wurde, den Lingner-Geburtstag an der Schule mitzugestalten. In unterhaltsamer Weise macht sie auf Lingner neugierig und schickt die Kinder auf Erkundungstour: "Mal sehen, ob ihr herausfindet, worauf es Lingner bei seiner Arbeit ankam", motiviert sie. Nach einigen Minuten "Forschungsarbeit" werden die Ergebnisse zusammengetragen: Auf 21 der 22 Zeichnungen sind Menschen zu sehen, Frauen, Männer, eine Familie, Arbeiter, Angler, Bauern, Tänzerinnen - zumeist ganz normale Leute, so wie sie gelebt und sich vergnügt haben. Auch Emma Lange aus der Klasse 4 b findet das heraus und hat jetzt erst recht noch viele Fragen.
Dass es im Leben des Künstlers auch Momente gab, in denen andere Stimmungen vorherrschten, erfahren die Schüler von Martin Groh. Er zeigt ein Bild, das Lingner in den Jahren 1940 / 41 im südfranzösischen Internierungslager Camp de Gurs anfertigte, in dem er gefangen war. "Er sorgte dafür, dass das Bild gedruckt und verbreitet wurde, um damit Hilfe für die Gefangenen zu organisieren", berichtet der Kunsthistoriker.
Für Iris Schacher, Kunsterzieherin an der Grundschule, aber auch fürs gesamte Kollegium bietet Max Lingner jede Menge Möglichkeiten für die Unterrichtsgestaltung und darüber hinaus. "Die Kinder sollen über den Mann, dessen Namen ihre Grundschule trägt, gut Bescheid wissen, wenn sie anderswo weiterlernen", sagt sie. Heidrun Dinda überrascht mit einer Ankündigung: "Wir wollen im Laufe des Schuljahres ein Traditionszimmer vorbereiten, das in einem Jahr, zum 124. Geburtstag Max Lingners, eingeweiht werden soll."
Das ist aber noch längst nicht alles: Im nächsten Frühjahr, genau am 15. Juni 2012, wird das 50-jährige Bestehen der Max-Lingner-Schule gefeiert. Für den 16. Juni ist ein Tag der offenen Tür vorgesehen. "Zwischen 10 und 16 Uhr wollen wir dann unsere Besucher willkommen heißen und freuen uns sehr, wenn auch viele ehemalige Schüler und Lehrer mit dabei sind", lädt Heidrun Dinda schon jetzt dazu ein.