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Chronik des Krieges Chronik des Krieges: Einblicke in alte Akte in Sandersleben

Von Peter Puschendorf und Tina Edler 12.11.2019, 11:32
Die Domäne in Sandersleben zu Beginn der Zweiten Weltkriegs.
Die Domäne in Sandersleben zu Beginn der Zweiten Weltkriegs. Stadtarchiv/Peter Puschendorf

Sandersleben - Schon ziemlich in die Jahre gekommen zeigt sich die Akte in den Händen von Peter Puschendorf. „Kriegschronik“ steht auf dem braun-beigen Deckblatt geschrieben. Puschendorf hat die ihm bisher unbekannte Akte im Stadtarchiv entdeckt und genau unter die Lupe genommen.

Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Berichten aus Sandersleben vom Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939.

Vorboten des Unheils

Geschrieben wurden diese Berichte von verschiedenen Firmen und Institutionen aus dem Ort im Zeitraum von August 1939 bis Januar 1940. Einige Einblicke in die Texte gibt Peter Puschendorf zusammengefasst wieder:

„Am 27. August 1939 wurde die Bezugscheinpflicht für Spinnstoffe, Schuhe und Lebensmittel bekannt gegeben. Dazu hatte der Bürgermeister die Einwohner in das Gasthaus Deutsche Reichshalle (heute: Ascherslebener Straße 51/52) eingeladen und eine ’kernige Ansprache’ gehalten.

Die Folge war, dass die Leute bereits in den Morgenstunden die Textil- und Schuhgeschäfte stürmten und in wenigen Stunden Unmengen von Schuhen, Bettbezügen und Stoffen aufkauften, so dass die Geschäfte bald schließen mussten. Am gleichen Tage erfolgte auch die erste Ausgabe der Lebensmittelkarten, die ins Haus gebracht wurden. Später erfolgte die Ausgabe im Rathaus.

Einen Tag später, am 28. August 1939, wurde der gesamte öffentliche Zugverkehr auf dem Bahnhof eingestellt. Von nun an verkehrten im zivilen Bereich nur noch sogenannte ’lebenswichtige Züge’. Viele Reisende bekamen keinen Anschluss mehr. Dafür passierten an manchen Tagen weit über 100 Militärzüge den Sandersleber Bahnhof.

Am 1. September 1939 wurden die ersten zur Wehrmacht eingezogenen Soldaten aus Sandersleben auf dem Bahnhof verladen. Es handelte sich dabei vor allem um ältere Leute, die zum Teil schon den Ersten Weltkrieg mitgemacht hatten. Fast die gesamte Bevölkerung von Sandersleben war auf der Straße und winkte den Soldaten Abschiedsgrüße zu.

Sehr vielen Leuten stand die Sorge um die Zukunft ins Gesicht geschrieben, war doch die Erinnerung an den letzten Krieg noch zu deutlich. Zum Schutz vor Luftangriffen mussten abends und nachts die Häuser und Wohnungen verdunkelt werden.

Um das zu kontrollieren, wurde im Rathaus eine Wache eingerichtet und ein Streifendienst patrouillierte durch die Straßen. Wer nicht verdunkelte, dem drohten empfindliche Strafen.“

Der Kriegswirtschaft gedient

Auch über die Zahl der eingezogenen Mitarbeiter erstattete jede Firma Bericht in der Akte. So wird aus der Ludwigshütte, dem einzigen Industriegebiet in Sandersleben, berichtet, dass 14 Angestellte eingezogen wurden.

Acht weitere hatte man dienstverpflichtet, ist den Schriftstücken zu entnehmen. „Die Einberufungen machten sich besonders negativ in der Gießerei, der wichtigsten Abteilung des Betriebes, bemerkbar, wo etwa 30 Prozent der Former fehlten.

Für den Monat September 1939 erhielt das Werk nur noch 40 Prozent der bisher verarbeiteten Rohstoffmenge zugeteilt, wodurch viele Arbeitsplätze gefährdet wurden. Durch die Übernahme kriegswichtiger Aufträge und die Steigerung des Rohstoffkontingents um 80 Prozent konnten die Entlassungen schließlich abgewendet werden“, fasst Peter Puschendorf zusammen.

Zwangsarbeiter eingesetzt

Ebenfalls betroffen war die Landwirtschaft. So mussten die Bauern und die Domäne Arbeits- und Reitpferde, aber auch Lastkraftwagen abgeben, zitiert Puschendorf aus der Akte.

Um die Erntearbeit, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war, beenden zu können, wurden polnische Kriegsgefangene auf den Feldern eingesetzt. Auch die Belegschaft der Ludwigshütte half mit. „Ihnen folgten ganze Schulklassen mit ihren Lehrern“, ergänzt Puschendorf.

(mz)

Die gefundene Akte
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