Zachow Stadtteilserie 21 Zachow Stadtteilserie 21 : Südliche Innenstadt
Halle/MZ - Beginnen wir mit – einem Bier. Wenn auch nur symbolisch: Unseren Streifzug durch die südliche Innenstadt starten wir am Areal zwischen Glauchaer Straße 49 und Böllberger Weg 178, wo ab Ende des 19. Jahrhunderts zunächst in den Brauereien Freyberg sowie Engelhardt Gerstensaft hergestellt wurde. Zu DDR-Zeiten unter dem Dach des VEB Brau- und Malzkombinat Halle verstaatlicht, wurde in dem architektonisch hervorstechenden, heute zunehmend verfallenden Gebäudeensemble bis Anfang der 90er Jahre das berühmt-berüchtigte „Meisterbräu“ produziert.
Rückblende: Schon gegen Ende der Reformation war die kleine Amtsstadt Glaucha, deren vom sorbischen Glouch (= „sumpfige Fläche, Niederung“) abgeleiteter Name einem auch in dieser Hinsicht seltsam beziehungsreich anmutet, zur Kneipenmeile Halles avanciert. Nach dem ruinösen Dreißigjährigen Krieg prägte Trunksucht das öffentliche Leben; eine verheerende Pestepidemie 1682 machte die Katastrophe komplett. Und rief August Hermann Francke auf den Plan. Francke war zwischen 1692 und 1715 Pfarrer der Glauchaer Kirche St. Georgen (an der 1522 bereits Thomas Müntzer als Kaplan gewirkt hatte) und begründete dort 1695 eine Armenschule für Waisenkinder.
Doch genug Geschichte. Wenden wir uns der Gegenwart zu und biegen in die Torstraße ein. Dort stoßen wir auf den 2009 eröffneten „Stadtgarten“. Hier hat sich auf eine ganz andere Weise etwas Meisterliches „zusammengebraut“. Nämlich die Möglichkeit für die Kiezbewohner, auf einer eigenen Parzelle zu gärtnern. „Ich baue hier selbst Kohlrabi, Radieschen sowie Spinat an – und Strohblumen, meine Lieblingsblumen“, erzählt Doreen Müller. Die 29-Jährige ist Vorstandsvorsitzende des gut 30-köpfigen Postkult-Vereins, welcher den Stadtgarten ins Leben gerufen hat und zudem seit August 2011 den unmittelbar angrenzenden Gebäudekomplex einer einstigen Zigarrenfabrik zu einem „Stadthof“ ausbaut. „Wir wollen Räume schaffen, die auch andere nutzen können, und wir haben Spaß daran“, sagt Müller.
Auf einmal ging die Post ab
Gleichwohl ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Postkult-Verein in starkem Maße zu dem beigetragen hat, was Gernot Lindemann den „Glaucha-Effekt“ nennt: „Wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass der Sanierungsboom der 90er Jahre an Glaucha trotz dessen Innenstadtnähe praktisch vorübergegangen war und dadurch das von alters her schlechte Image dieser Arbeitersiedlung weiter gelitten hatte, war es von entscheidender Bedeutung, jenen toten Punkt zu überwinden.“ Und der Postkult-Verein hätte mit allerlei Projekten in damals noch leerstehenden Häusern wie etwa dem Kulturlabor, in dem kleine „Wohnzimmerkonzerte“ und Lesungen stattfanden, dem Umsonstladen, der seit 2009 jährlich stattfindenden „Fête de la Musique“ oder eben dem Stadtgarten dafür gesorgt anzuzeigen, dass hier etwas passiert. „Diese Aufbruchstimmung hat auch meiner eigenen Arbeit als Eigentümermoderator enormen Rückenwind verliehen“, sagt Lindemann. In mühevoller Kleinarbeit und flankiert von etwa in Zusammenhang mit der Internationalen Bauausstellung IBA 2010 ausgereichten Fördermitteln hatte der erfahrene Bausachverständige eine konzertierte Aktion der Glauchaer Hauseigentümer hinsichtlich Gebäudesanierung und Leerstandsbeseitigung auf den Weg gebracht. Was fast noch stärker zählt: Die soziale Mischung im Viertel ist jetzt ausgewogener, in den letzten Jahren seien auch zahlreiche (Mittelschicht-)Familien mit Kindern in das Viertel gezogen.
Gerade jene werden die jüngst vorgestellten Pläne zur Umgestaltung des Rannischen Platzes wohl mit Behagen registriert haben. Der kreisrunde Platz mit sieben abzweigenden Straßen, den wir nun passieren, ist mit seinem schlechten baulichen Zustand bei gleichzeitig exorbitantem Verkehrsaufkommen bislang eine Gefahrenquelle namentlich für Fußgänger und Fahrradfahrer.
Parkplatznot und „großes Einkaufs-Kino“
Den „Kreisel“ wohlbehalten gemeistert, kraxeln wir die steil ansteigende Liebenauer Straße hoch und biegen in die Pfännerhöhe ein. An der Johanneskirche begegnen wir Erich Gebhardt. Der 77-Jährige, der eigentlich an der Ecke Süd-/Bernhardystraße wohnt, stellt gerade sein Auto ab. „Die Parkplatzsituation im Viertel ist wirklich katastrophal. Ich muss jetzt bestimmt einen halben Kilometer nach Hause laufen, obwohl mir nach einem Oberschenkelhalsbruch das Gehen schwerfällt“, beschwert er sich. Gebhardt, so erfahren wir noch, hat bis zur Schließung 2001 als Filmvorführer im legendären „Kino 188“ im heute noch bestehenden Künstlerhaus am Böllberger Weg gearbeitet. Mit seiner in den Zuschauerraum integrierten Bar und den von Burg-Professor Helmut Brade grafisch stets extravagant gestalteten Programm-Flyern war das kleine, feine Filmtheater Kult. „Großes Kino“ ganz anderer Art erlebt Friedel Worm auf dem Gelände der einstigen Maschinenfabrik zwischen Pfännerhöhe und Turmstraße: „Ich kenne die Mafa ja noch, wie sie in vollem Betrieb war. Und heute kann ich genau hier prima einkaufen“, sagt die 78-Jährige vergnügt.
Am ComCenter, dem im Volksmund „Café Böhme“ genannten einstigen Sitz der SED-Bezirksparteileitung, sowie an der Veranstaltungsstätte „Schorre“ vorbeilaufend, betreten wir über die Voßstraße das Areal der Franckeschen Stiftungen. Und machen es uns zum Abschluss unseres Rundgangs in der neu eröffneten „Tranquebar“ mit einem Wein gemütlich. Mit einem echten diesmal, natürlich.