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Wertstoffhof in Halle Wertstoffhof in Halle: Müll? Gibt's hier nicht!

Von Peter Godazgar 17.07.2015, 15:29
Hier fliegt gerade ein alter Wischmopp auf den Sperrmüll.
Hier fliegt gerade ein alter Wischmopp auf den Sperrmüll. Kison Lizenz

Halle - Vermutlich gibt es nur wenige Branchen, die ähnlich krisensicher sind. Das Frisörhandwerk zum Beispiel oder die Bestattungsindustrie. Haare wachsen unaufhörlich (jedenfalls bei den meisten) und gestorben wird immer. So ist es auch mit der Müllindustrie, denn Müll, ja, der fällt auch in der größten Krise an.

Halt! Müll? Nein, vom Müll redet man hier eigentlich nicht. Dass sich was geändert hat, zeigt sich schon am Namen des Orts, an dem wir uns befinden: Wertstoffhof.

Schon wieder halt! Denn -hof? Nein, das ist auch schon wieder Vergangenheit, inzwischen heißt das Gelände in der Äußeren Hordorfer Straße Wertstoffmarkt (es gibt noch zwei kleinere, einen in der Neustädter Schieferstraße und einen ganz im Süden der Stadt, in der Äußeren Radeweller Straße).

Neuer Wert für Weggeworfenes

In Zeiten zunehmender Rohstoffknappheit bekommt das, was früher achtlos weggeworfen wurde, einen neuen Wert. Kaum einer weiß das besser als Burkhardt Jänicke.

Ein Rundgang übers Gelände mit dem 38-Jährigen. Jänicke ist Prokurist beim Stadtwerke-Unternehmen Hallesche Wasser und Stadtwirtschaft sowie Vertriebschef. „Wir verdienen im Sinne der Bürger und der Stadt“, sagt er. Soll heißen: Ohne die Erlöse aus dem Verkauf der Wertstoffe, die die Hallenser abliefern, wären die Abfallgebühren deutlich höher.

Zu den größten Wertstoff-Posten gehört übrigens der Grünschnitt: Nahezu 12 000 Tonnen fallen an - und werden kompostiert. Hinzu kommen 2 700 Tonnen Altholz, 2 100 Tonnen Sperrmüll und gut 400 Tonnen Schrott. Außerdem 1 000 Tonnen Papier (plus jener 11 000 Tonnen, die über die blaue Tonne gesammelt werden).

Noch mehr Zahlen: 6 000 Haushaltsgroßgeräte (Waschmaschinen beispielsweise oder Backöfen) wurden 2014 in den drei Wertstoffmärkten abgegeben, 4 600 Kühlgeräte, knapp 25 000 Kleingeräte (vom Wasserkocher bis zum Föhn) sowie - halten Sie sich fest - fast 36 000 Geräte aus dem Bereich Computer- und Unterhaltungstechnik: dazu gehören Fernseher, Computer, Monitore, Drucker, aber auch jede Tastatur.

Ein Ort, um melancholisch zu werden, ist der Wertstoffmarkt darum auch. Denn all die Dinge, die hierhergebracht und in diesen oder jenen Container geworfen werden, all die Couchgarnituren und Kleiderschränke, die Fahrräder und Fernseher - sie alle ja wurden irgendwann gekauft und stolz nach Hause getragen. Der Wertstoffmarkt ist die weniger schillernde Seite des Kapitalismus.

Burkhardt Jänicke nickt. Ja, das ist wohl so.

Aber reden nicht alle von Nachhaltigkeit? Davon, dass man lieber zum etwas Teureren greift, das dann aber auch länger hält. Jänicke wiegt den Kopf. Nein, kann er so nicht bestätigen. Eher sogar im Gegenteil: Zumindest im Bereich der Elektrogeräte, so sein Eindruck, werde die Umlaufzeit immer kürzer. Besser trennen könnten die Hallenser ihren Müll übrigens, sagt er. Nur ein Beispiel: Aktuell bestehe der Restmüll zu 30 Prozent aus Lebensmitteln, für die es doch eigentlich die braune Tonne gibt.

Sammeln und sortieren

Sammeln und vorsortieren - das sind die Hauptaufgaben der insgesamt 20 Wertstoffmarkt-Mitarbeiter und der sieben jungen Leute, die zur „Fachkraft Kreislauf- und Ressourcenwirtschaft“ ausgebildet werden. Je sortenreiner die Wertstoffe sind, desto mehr Geld gibt’s.

Ein bisschen hat das was von Sisyphos-Arbeit: Die riesigen Schredder im nicht offen zugänglichen Bereich schreddern an fünf Tagen die Woche von 6 bis 21 Uhr Schrankwände und Tische - aber der riesige Berg, er wird einfach nicht kleiner. Jänicke schmunzelt und zuckt mit den Achseln: „Das ist unser Geschäft.“

Sammeln, trennen, sortieren, wiederverwerten - das ist längst ein hochtechnologisierter Prozess. Aber manches geschieht doch noch von Hand: Computer und Elektrogeräte müssen auseinandergeschraubt werden, um bestimmte Geräteteile zu gewinnen.

Und die Zukunft? „In 50 Jahren werden wir nicht mehr über Abfall reden“, sagt Jänicke. Sondern? „Über Wertstoffe.“ Die Ressourcen, sie werden knapper, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und je knapper sie werden, umso wertvoller wird auch das, was wir heute immer noch Müll nennen.

Jänicke nennt als Beispiele das Papier und das Glas. „Beides würde heutzutage doch niemand mehr als Müll bezeichnen. So wird es auch mit anderen Wertstoffen.“

Jänicke kann sich gut vorstellen, dass in Zukunft sogar uralte Müll-Deponien aus den 1950er oder 1960er Jahren wieder interessant werden. Wer weiß, vielleicht heben wir sie eines Tages wieder aus - um all jene Wertstoffe zu gewinnen, die einst Müll waren. (mz)

Das kommt alles in den Schredder: Holz wird gleich vor Ort kleingehäckselt; der Sperrmüll (vorne) kommt nach Lochau.
Das kommt alles in den Schredder: Holz wird gleich vor Ort kleingehäckselt; der Sperrmüll (vorne) kommt nach Lochau.
Kison Lizenz