UKH-Vorstandschef wechselt nach Hannover Thomas Moesta vor dem Abschied am Universitätsklinikum: „Wissen ist der Markenkern in Halle“
Es war eine Nachricht, die aufhorchen ließ: Vorstandsvorsitzender Thomas Moesta verlässt das Universitätsklinikum Halle. Im MZ-Interview spricht er über seine Beweggründe, aber auch über Intel-Milliarden, das Gesundheitssystem und Nobelpreis-Visionen.

Halle/MZ. - Halle hat großes Potenzial, die Stadt sollte es aber auch nicht verspielen: Das sagt Thomas Moesta, der als Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender das Universitätsklinikum (UKH) zum 31. Mai verlassen wird. Der Vertrag war erst vor rund zwei Jahren vorzeitig verlängert worden und sollte eigentlich im September 2029 enden. Warum er geht, und mit welchen Gefühlen, das hat Moesta MZ-Wissenschaftsredakteur Matthias Müller im Interview erläutert.
Herr Professor Moesta, Sie haben in sieben Jahren am Universitätsklinikum viel erreicht und auch schon große Projekte für die nächsten Jahre angestoßen. Für viele kam daher die Nachricht, dass Sie den Vorstandsvorsitz abgeben, überraschend. Was hat Sie dazu bewegt?Prof. Dr. Thomas Moesta: Ich habe das Gefühl, dass ich in Halle erreicht habe, was ich erreichen konnte. Ich habe mich hier immer wohlgefühlt. Auf der anderen Seite werden einige wichtige Projekte, die wir angestoßen haben, in ihrer Verwirklichung noch länger dauern, das werde ich dann ohnehin nicht mehr begleiten können. Ich bin gerade 65 Jahre geworden, meine Frau arbeitet in Hannover. Wir haben, anders als zunächst geplant, unseren Lebensmittelpunkt nicht nach Halle verlegen können.
Ich habe alle Stufen durchlaufen: vom Assistenzarzt über den Oberarzt bis hin zum Chefarzt und Ärztlichen Direktor. Und ich habe dabei gesehen, wie wir in diesem System unser Personal ausquetschen.
Thomas Moesta
Und nun habe ich ein sehr interessantes Angebot bekommen, eben in Hannover, in einem freien gemeinnützigen Unternehmen, der Diakovere, an einer neuen strategischen Ausrichtung mitzuwirken. Das alles zusammen hat mich zu der Entscheidung bewogen, zu sagen: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel.
Die finanziellen Spielräume am Uniklinikum sind begrenzt. Hat das auch eine Rolle gespielt? Nein, auch wenn die Finanzlage nicht rosig ist, so wie in vielen anderen Krankenhäusern bundesweit. Wir haben 2024 ein deutlich schlechteres Ergebnis erzielt als erwartet, genaue Zahlen dazu werden im Mai vorgelegt. Wir konnten jedenfalls nicht wie andere Unternehmen in der Krise einfach die Preise erhöhen. Seit gut 20 Jahren erlebt man im deutschen Gesundheitssystem den Zwiespalt einer politisch gewollten Kostendeckelung und eines gleichzeitig wachsenden Qualitätsanspruchs. Ich habe alle Stufen durchlaufen: vom Assistenzarzt über den Oberarzt bis hin zum Chefarzt und Ärztlichen Direktor. Und ich habe dabei gesehen, wie wir in diesem System unser Personal ausquetschen.

Betrifft das alle Berufsgruppen?Das betraf lange vor allem die Pflege, wo sich die Situation mittlerweile verbessert hat, aber Berufsgruppen wie Ärzte stehen ebenfalls unter enormem Druck. Seit der Pandemie hat sich jedoch generell etwas verändert. Die Menschen bewerten persönliche Bedürfnisse und Arbeit anders. Das ist wirtschaftlich gesehen schlecht, aber natürlich menschlich völlig nachvollziehbar. Wir müssen daher umdenken und unser Personal anders motivieren – gerade angesichts des Fachkräftemangels.
Solche Fachkräfte für Sachsen-Anhalt und für Halle zu gewinnen, gerade aus dem Ausland, wird angesichts des politischen Klimas nicht eben leichter. Ich sehe mit großer Sorge gewisse Entwicklungen, auch hier in Halle. Etwa, wenn es hier eine Buchmesse mit rechtsradikalem Charakter geben soll. Das ist hier bei uns am UKH und an der Universität natürlich ein Thema, und da hätte ich schon einen größeren Aufschrei in den Medien und in der Stadt erwartet.
Für die Wissenschaftslandschaft in Halle tödlich
Solche Tendenzen sind für die Entwicklung einer Wissenschaftslandschaft tödlich. Unsere Forschenden selbst arbeiten zwar in einem internationalen Kontext, doch ihre Partnerinnen, Partner und Familien werden in ihrem Umfeld womöglich angefeindet. Solche Menschen bleiben doch nicht lange hier – oder kommen erst gar nicht. Wenn die Stadt es zulässt, dass die Zivilgesellschaft nach rechts in einen fremdenfeindlichen Kontext abdriftet, dann verspielt sie ihr Potenzial. Und das ist groß. Es liegt in Innovation, Wissen und neuen, hochwertigen Arbeitsplätzen.
Woran machen Sie das fest? Nehmen Sie nur einmal das Universitätsklinikum. Wir klettern im Focus-Ranking beständig nach oben, sind mittlerweile die Nummer 24 in Deutschland. Wir haben in den letzten Jahren 20 Professuren mit sehr guten Leuten besetzt, die wir davon überzeugen konnten, dass es hier nach vorne geht, dass sie hier Forschungsfreiräume haben. Halle hat in Sachen Wissen eine so lange Tradition, denken wir an die Universität, die Franckeschen Stiftungen, die Leopoldina. Das ist der Markenkern dieser Stadt. Diese Werte muss man in Arbeitsplätze und Kaufkraft übersetzen, von der dann auch Handel und Handwerk profitieren – und nicht durch ausländerfeindliche Tendenzen den Ast absägen, auf dem man selbst sitzt.
Halle hat in Sachen Wissen eine so lange Tradition, denken wir an die Universität, die Franckeschen Stiftungen, die Leopoldina. Das ist der Markenkern dieser Stadt.
Thomas Moesta
Und wie könnte man dieses Potenzial in Halle stattdessen wirklich ausschöpfen? Stellen wir uns doch mal vor, die einst versprochenen neun Milliarden Euro an Subventionen für Intel in Magdeburg würden stattdessen in ein MIT, ein Mitteldeutsches Institut für Innovation und Technologie, fließen – was das für eine Bedeutung für das Land haben könnte. Nicht mit Blick auf die Arbeitsplätze und Steuereinnahmen von morgen, aber für übermorgen.
Es wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler, eine der beiden Unikliniken zu schließen.
Thomas Moesta
Das sage ich zuletzt häufig: Leute, denkt nicht an morgen, denkt an übermorgen. Wenn wir hier ein neues Ambulanzgebäude bauen, dann bauen wir für mindestens drei Jahrzehnte. Wie wird die Medizin dann aussehen? Künstliche Intelligenz, fortgeschrittene Genomik und womöglich Robo-Taxis, die Menschen vom Land zu ambulanten medizinischen Einrichtungen bringen. Das müssen wir auch bei unseren Planungen mitbedenken.
Dafür sind allerdings größere Investitionen nötig. Mit Blick auf die Milliarde, die im Uniklinikum in Magdeburg in einen zentralen Campus fließt: Wird in Halle genügend investiert?Die Volumen für Bauvorhaben hier, etwa das neue Bettenhaus 20, sind teils aufgestockt worden, die Umsetzung verlief erfolgreich, da möchte ich mich wirklich nicht beschweren. Darüber hinaus haben Ministerpräsident Reiner Haseloff und Finanzminister Michael Richter beide versprochen, dass die Universitätsmedizin in Halle insgesamt mit einem ähnlichen Investitionsvolumen wie in Magdeburg rechnen könne.
Pläne für neues Eingangsgebäude am Universitätsklinikum Halle
Und es gibt hier noch vieles zu tun: Gerade erst haben wir im Aufsichtsrat die Pläne für ein neues, großes Eingangsgebäude vorgestellt. Die Universitätsklinik Halle mag zwar im Vorbeifahren wie ein moderner Klinikbau aussehen, doch die in die Jahre gekommenen Gebäude im Hintergrund sieht man dabei nicht. Mit einem neuen Eingangsgebäude könnten wir die Themen Ambulantisierung, Konzentration von Komplexleistungen und Ablösung von Altbauten ideal umsetzen. Die Finanzierung ist aber noch offen. Hinzu kommt zudem noch das Projekt Theoretikum, für das bisher Kosten von rund 300 Millionen Euro veranschlagt sind.

Das Theoretikum soll in einem modernen Gebäude einmal Forschung, Lehre und klinische Versorgung vereinen und verstärkt mit dem Weinberg-Campus vernetzen. Sie setzen sich seit Jahren dafür ein, warum liegt Ihnen das so am Herzen? Ich habe einmal mit zwei unserer führenden Forschenden zusammengesessen und überlegt: Was müsste heute passieren, damit in 20 Jahren ein Nobelpreis nach Halle kommt? Neun Milliarden Euro, wie für Intel geplant, wären da sicher eine gute Idee gewesen. Das Theoretikum hat zwar nicht diese Dimensionen, aber es ist ein wichtiger Baustein, um Innovation in der Stadt und im Umfeld zu fördern, um Halle als Wissensstadt wieder auf Augenhöhe, beispielsweise mit Heidelberg, zu bringen.
Da war man vor gut 100 Jahren schon einmal. Doch in Heidelberg hat man später einige wegweisende Entscheidungen getroffen, etwa das Deutsche Krebsforschungszentrum zu gründen, das den Campus dort weltweit sichtbar macht. Ähnliches auch in Halle zu erreichen, das ist eine Vision, die ich hier vom ersten Tag an verfolgt habe. Es ist klar: Das kostet alles Geld. Aber damit kann man eine langfristige Perspektive für die Region im Osten schaffen und eine wichtige Lebensgrundlage für die Menschen in Sachsen-Anhalt.
Apropos Kosten: Kann man auf Dauer zwei Universitätskliniken in Sachsen-Anhalt erhalten?Es wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler, eine der beiden Universitätskliniken zu schließen. Universitätsmedizin kostet Geld, aber sie schafft auch Arbeitsplätze. Sie bringt Menschen ins Land, diesen strukturfördernden Charakter kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Und das Innovationspotenzial macht doch unseren Lebensstandard in Deutschland aus. Um diesen zu erhalten, müssen wir in Bildung, Ausbildung und Forschung investieren.

In Ihrer Zeit als Vorstandsvorsitzender ist das Uniklinikum auch Kooperationen eingegangen. Wie gestaltet sich der Prozess?Wir haben als Universitätsklinikum mit dem BG Klinikum Bergmannstrost und dem Diakoniekrankenhaus nun eine Stufe der Kooperation erreicht, an die man sich nur an wenigen Stellen in Deutschland heranwagt.
Das sind Prozesse, die sind komplex und nicht immer einfach, aber die muss man als Klinikleitung anpacken – auch, weil es der Staat aus verschiedenen Gründen nicht kann. Doch es gibt andere Aspekte, da bedarf es tatsächlich einer planerischen Entscheidung der Landespolitik: Zurzeit hat man drei Perinatalzentren in Sachsen-Anhalt, eines in Magdeburg, zwei in Halle. Ausreichend Geburten gibt es aber nur für zwei.
Halle ist einfach locker
Universitätsmedizin bietet hoch spezialisierte klinische Einrichtungen und hält erstklassige Versorgungsformen rund um die Uhr für alle Bereiche vor. Daher ist sie prädestiniert für ein Zentrum des höchsten Versorgungslevels. Es ist sicher eine harte Entscheidung der Landespolitik, aber sie muss anhand objektiver Kriterien getroffen werden.
Wie werden Sie Ihre Jahre in Halle in Erinnerung behalten? Beruflich gesehen haben wir ein tolles, motiviertes Team auf allen Ebenen. Es hat hier daher immer viel Spaß gemacht. Und durch Zusammenarbeit, etwa zwischen Universitätsklinik und Stadt, kann man in Halle viele Dinge lösen.
Das wird und muss auch noch weitergehen, es geht für die Menschen hier darum, dass Institutionen und Behörden hier pragmatisch und ergebnisorientiert zusammenarbeiten, um die Stadt voranzubringen. Ich hoffe, ich konnte dazu zumindest einen kleinen Teil beitragen.
Und ganz privat gesehen, ist Halle einfach locker. Ich wohne am Pfälzer Ufer, da stellt man seinen Liegestuhl an die Saale, hat dieses innerstädtische Grün um sich herum. Man verspürt hier eine große Gelassenheit unter den Menschen.