Symposium an Augenklinik Symposium an Augenklinik: Blutiges Reality-TV für Mediziner
Halle/MZ. - Marcus nimmt die ganze Sache ziemlich locker. Blickt staunend auf die Ärzte und Pfleger, die um ihn herumlaufen. Schaut interessiert auf die Spritze, die sich seinem Arm nähert. Beantwortet freundlich Fragen: Wie das mit dem Auge gekommen ist? Na, im Urlaub, einfach so.
Ein bisschen erstaunlich ist das schon, denn Marcus ist gerade mal sechs Jahre alt und wird gleich in einen Operationssaal der halleschen Augenklinik geschoben. Und immerhin werden an diesem Sonnabend rund 250 Mediziner aus Deutschland und Österreich dabei zusehen, wie Prof. Heinrich Iro aus Erlangen in Marcus'' Nase herum bohrt. Also: richtig bohrt. Mit einem Bohrer.
Marcus freilich wird davon nichts mitbekommen. "Hast du dir denn schon einen schönen Traum ausgedacht?", fragt Assistenzärztin Anke Ulrich den kleinen Patienten, kurz bevor sie ihn in Tiefschlaf versetzt. "Nee", sagt Marcus. "Na, dann aber schnell", sagt Anke Ulrich - ein paar Minuten später ist der Junge, der in Mecklenburg-Vorpommern wohnt, sanft entschlummert. Auch wenn ihm geholfen werden soll - ein schöner Anblick ist das nicht. Es ist ja nie ein schöner Anblick, wenn Kinder in OP-Sälen liegen.
Ebenso wenig schön sind die Bilder, die aus den anderen OP-Sälen in den Hörsaal der benachbarten Frauenklinik an der Magdeburger Straße gesendet werden. Die Operationen - das ist der Clou dieses 4. Halleschen Symposiums - werden live übertragen. Die Teilnehmer des Symposiums verfolgen über eine Leinwand, was da in den OP-Sälen ein paar Meter weiter geschieht und können den Operateuren Fragen stellen.
Reality-TV für Augen- und Hals-Nasen-Ohren-Ärzte: Viel Blut ist zu sehen. Nadeln, die in Haut eindringen; Scheren, die Sehnen durchtrennen; Plastikröhrchen, die in die Haut geschoben oder herausgezogen werden. Vor allem aber sind Augen zu sehen, projiziert auf eine drei mal vier Meter große Leinwand; riesenhafte Augen, die von riesenhaften Klammern aufgehalten werden.
Im Hörsaal der Frauenklinik steht Klinikdirektor Prof. Gernot Duncker an einem Pult und moderiert die Veranstaltung. Man sollte erst gar nicht den Versuch machen, den Gesprächen zu folgen: Ohne vorher groß Luft zu holen und in rasendem Tempo hauen die Experten Buchstaben-Suppen heraus wie "endonasale Dakryozystorhinostomie" oder "bikanalikuläre Ringintubation". Toll. - Bloß: Was heißt das? Insgesamt 15 Patienten werden an diesem Vormittag operiert. Sie alle plagt das gleiche Problem: Ihr Tränenapparat ist auf die eine oder andere Weise gestört - weil die Tränen nicht richtig abfließen können, ist das Auge feucht. Häufig kommen Entzündungen hinzu.
Um eben diese Erkrankungen sowie um neue Erkenntnisse in Diagnostik und Therapie dreht sich das Symposium "Trockenes und feuchtes Auge", in dessen Mittelpunkt die Live-Operationen stehen. Es operieren: Prof. Hans Gert Struck, stellvertretender Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Augenheilkunde, sowie vier weitere Mediziner aus Münster, Darmstadt, Erlangen und Hagen - allesamt Kapazitäten auf ihren Gebieten.
Eng ist es in den Operationssälen: grüne, schwarze, weiße, braune Kabel zum Stolpern, Schläuche zum Verheddern, Geräte zum Dagegenlaufen. Dazu Knöpfe und Schalter hundertfach, grüne Wellenlinien auf Monitoren. Und natürlich eine große Kamera, die die Bilder aus dem OP überträgt; exaktere Bilder von den Eingriffen selbst werden direkt vom OP-Mikroskop übertragen. "Wir könnten dann auf Sendung gehen", sagt Hans Gert Struck, nachdem man ihm wieder ein Mikrofon angeknipst hat - und wenig später können die Ärzte im Hörsaal jeden Schritt ihres Kollegen verfolgen.
Die hallesche Klinik übrigens ist seit Jahren "Kompetenzzentrum", wie Struck sagt. Bis zu 300 Operationen des Tränenwegs gibt es pro Jahr; die Patienten kommen aus ganz Deutschland. Die 15 Operationen vom Wochenende sind allesamt erfolgreich verlaufen.