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Medizinerviertel in Halle Stadtteil Medizinerviertel in Halle: Bäckerei Tannert ist hier eine Institution

Von Silvio Kison 03.10.2017, 06:00
Bäckerei Tannert
Bäckerei Tannert Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Es wird langsam eng im Medizinerviertel. Der kleine Stadtteil, eingequetscht zwischen Magdeburger Straße und Volkmannstraße, der erst vor einigen Jahren überhaupt einen eigenen Namen bekommen hat, wird immer beliebter bei jungen Familien und Studenten.

Mitten in der Innenstadt, gleich am Steintor, lag das Viertel trotz seiner guten Lage und Anbindung noch Jahre nach der Wende in einer Art Dornröschenschlaf. Viele Häuser blieben unsaniert, waren dem Verfall preisgegeben. Und wenn die Abrissbirne kam, dann folgte oft an gleicher Stelle ein Parkplatz.

Medizinerviertel in Halle (Saale): Bäckerei Tannert ist hier eine feste Institution

„Aber Parkplätze brauchen wir ja auch“, sagt Ilona Tannert von der gleichnamigen Bäckerei in der Krausenstraße an der Ecke zur Friesenstraße. Ihr Familiengeschäft ist seit mehr als 40 Jahren eine Institution in dem kleinen Viertel. Generationen von Kindern haben auf ihrem Weg in die nahe gelegen Grundschule und ins Gymnasium hier ihre Milchbrötchen und Pfannkuchen gekauft. Und auch die Kleinsten haben ihre eigenen Erinnerungen: Wie den Keks auf die Hand, der für viele Kinder beim Besuch in der Bäckerei zum Ritual gehört.

„Vor 40 Jahren habe ich das Geschäft hier übernommen“, sagt Ehemann Lutz Tannert. Das war zu einer Zeit, als man nur eine Bäckerei übernehmen, aber nicht selbst eine eigene gründen durfte. „Bewerben musste ich mich darum“, sagt der 73-Jährige. Seit dem wohnen Tannerts auch in dem Viertel. Im November 1977 hat das Ehepaar gemeinsam das Geschäft eröffnet und steht seither zusammen in der Backstube. Damals war die Bäckerei aber noch woanders: „Wir haben das Geschäft von der Familie Dietzel übernommen, und der Laden war genau an der Ecke gegenüber“, sagt Lutz Tannert.

Medizinerviertel in Halle (Saale): Nach der Wende hat sich in diesem Stadtteil wenig getan

Bis 1996 hat das Paar dort das Geschäft betrieben. „Dann wollte der Besitzer das Haus renovieren und hatte mit der Geschäftsfläche unseres Ladens andere Pläne“, erinnert sich Ilona Tannert. Weg aus dem Viertel wollte die Familie aber nicht. Zum Glück hatte ihr Vermieter gerade das Haus in der Krausenstraße 23 neu gebaut. „Anfangs war ein Schuhladen in dem Geschäft geplant“, sagt Lutz Tannert.

Aber dazu kam es nicht. Die Familie bekam den Zuschlag und das Ehepaar Tannert konnte sogar in die Wohnung genau über ihrem neuen Laden einziehen. Seit die Tannerts 1977 in das Viertel kamen, hat sich viel verändert: „Zu DDR-Zeiten war es hier schon etwas trostlos, aber es waren überall nette Leute“, sagt Ilona Tannert.

An den alten Häusern selbst wurde - wie überall in Halle - kaum etwas gemacht. Dafür habe es aber einen gewissen Zusammenhalt gegeben. Selbst nach der Wende wurde hier weniger getan als in anderen Stadtteilen. Was kam, waren Supermärkte, die sich an der Krausenstraße entlang ausbreiteten. „Zu DDR-Zeiten gab es viele kleine Geschäfte im Viertel, aber die wurden nach der Wende nach und nach verdrängt“, sagt Ilona Tannert.

Medizinerviertel in Halle (Saale): Bäckerei Tannert backt immer noch nach alten Rezepten

Die Bäckerei aber blieb. Auch wenn die Anfangsjahre nach der Wende nicht einfach waren. „Wir sind uns treugeblieben und backen immer noch nach den alten Rezepten“, sagt Lutz Tannert. „Das ist alles Handwerk“, fügt sein Sohn Thomas stolz hinzu, der zusammen mit seiner Schwester Ute ebenfalls in der Bäckerei arbeitet - sie sogar 2012 übernommen hat. „Viele Kunden wollten die Brötchen so, wie sie sie im Westen gekostet hatten“, sagt Ilona Tannert.

Und auch die Geduld ließ nach. Am Wochenende anstehen und warten, um frische Brötchen zu bekommen, das wollten viele nicht mehr. „Zu DDR-Zeiten standen die Kunden oft bis aus dem Laden heraus an“, erinnert sich die 73-Jährige, die selbst aus einer Bäcker-Familie in Trotha stammt und die das Gesicht hinter der Ladentheke ist. Aber mit den Jahren kamen die Kunden zurück. „Wir haben viele Stammkunden, die zwar nicht mehr im Viertel wohnen, aber am Wochenende trotzdem extra zu uns kommen, um ihre Frühstücksbrötchen zu kaufen“, sagt sie.

Medizinerviertel in Halle (Saale): Sohn und Tochter führen die Bäckerei Tannert weiter

Und während das Viertel langsam um sie herum erblüht, ist auch die Zukunft der Bäckerei gesichert. Sohn Thomas, der beim Vater gelernt und bereits seit 1987 selbst Bäckermeister ist, hat die Geschäfte übernommen und führt sie gemeinsam mit Tochter Ute. Aber auf die Hilfe der Eltern können sie nicht verzichten. „Wir sind ein Familienbetrieb: Ohne dass alle mit anpacken, geht es nicht“, sagt Thomas Tannert. Und so steht er gemeinsam mit dem Vater jeden Morgen noch vor 3 Uhr in der Backstube. Und auch Mama Ilona ist spätestens ab halb vier Uhr mit da und packt mit an.

„Wir machen so lange mit, wie es uns gut geht“, sagt Ilona Tannert. Und das ist wichtig. Denn es ist schwierig, Nachwuchs zu bekommen. „Es ist schwer, jemanden zu finden, der noch Bäcker werden möchte“, sagt Lutz Tannert.

Viele würden sich vor dem frühen Aufstehen scheuen. „Viele der alten Bäckereien mussten deshalb in Halle bereits schließen, weil sie niemanden gefunden hatten, der die Geschäfte weiterführt“, sagt Lutz Tannert. Hundert gab’s noch vor der Wende, kurz danach waren es noch 70. Und heute, im Jahr 2017? Nur noch zwölf in ganz Halle. (mz)