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Soziologe zum Brennpunkt Südpark Soziologe zum Brennpunkt Südpark: "Ghetto? Wohl eher ein Problemviertel"

19.09.2016, 09:00
Tobias Jaeck beschäftigt sich wissenschaftlich mit Halle.
Tobias Jaeck beschäftigt sich wissenschaftlich mit Halle. Silvio Kison

Halle (Saale) - Er ist einer von Halles Experten für ein sehr brisantes städtisches Problem: Der Soziologe Tobias Jaeck hat seinen Schwerpunkt in der Stadtsoziologie. Bereits seit Jahren ist er mit der Situation in Halle befasst und betreut seit dem Jahr 2009 die seit 1993 regelmäßig durchgeführte Bürgerumfrage. Im Interview mit MZ-Redakteur Silvio Kison spricht er über die Probleme von Integration, über Slam-Lords und darüber, warum es im Südpark schwierig für die Stadt ist, die Situation für die Anwohner schnell zu verbessern.

Ist der Südpark ein Ghetto?

Jaeck: In diesem Fall handelt es sich wohl eher um ein Problemviertel, also einen sozialen Brennpunkt. Der sich, wenn sich die Abwärtsspirale nicht durchbrechen lässt, wenn wir schon in der Definition bleiben wollen, in ein sogenanntes Armen- oder Elendsviertel oder umgangssprachlich eben einen „Slum“ verwandeln kann. Dass sich in der südlichen Neustadt, zu der auch der Südpark gehört, unter den Anwohnern mehr und mehr Unzufriedenheit äußert, beobachten wir schon länger. In der westlichen Neustadt dagegen sind die Bewohner eher zufrieden mit ihrem Leben und dem Wohnumfeld. Da von Ghetto zu sprechen, ist völliger Quatsch.

Was ist der Südpark dann?

Jaeck: Im Südpark gibt es sehr geringe Mieten, und die Barriere, eine Wohnung zu bekommen, ist sehr gering. Ein wichtiger Punkt ist, dass es zudem kaum noch sozialen Wohnungsbau gibt. Dadurch kommt es auch nicht mehr zu einer sozialen Durchmischung. Im Südpark ist es nun noch eine besondere Situation: Durch die aktuelle Flüchtlingssituation - und in diesem Fall ist es ja noch eine besondere Gruppe, die auch in den Ländern aus denen sie gekommen ist, nicht integriert war.

Also sind die Anwohner mit Migrationshintergrund das Problem?

Jaeck: Nein. Im Südpark ist das Problem, dass sich dort viele Bewohnern mit Migrationshintergrund innerhalb kürzester Zeit angesiedelt haben. Und das ist durch die angestammte Bevölkerung als Problem wahrgenommen worden. Vor allem die Integration der im Südpark lebenden Sinti und Roma ist schwierig. Das geht nicht innerhalb von Wochen und Monaten. Integration braucht oft Generationen.

Warum ist das ein Problem?

Jaeck: Es gibt eine These, die sogenannte Kontakt-Hypothese: Da geht man davon aus, dass Menschen, die Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen haben, von vornherein toleranter sind. Das funktioniert aber nur, wenn die Kontakte auf Augenhöhe stattfinden, also im Freundeskreis, auf Arbeit oder in der Freizeit.

Und der Südpark?

Jaeck: Dort trifft das allerdings nicht zu. Es gibt nämlich auch eine Gruppenbedrohungstheorie. Diese geht davon aus, dass, wenn ein solcher Kontakt räumlich konzentriert auftritt, also in der Nachbarschaft, sich dadurch die Vorurteile verstärken und es zu einer subjektiv wahrgenommenen Konkurrenzsituation kommt. Dann wird genau das Gegenteil ausgelöst: Und das ist das Problem, das wir im Südpark beobachten.

Kann das jedes Stadtviertel treffen?

Jaeck: Eigentlich schon. Wir haben Viertel wie Glaucha, das lange Zeit als ein problematisches Quartier galt. Heute ist die Lage dort besser. Ein Problem ist, dass Plattenbausiedlungen seit der Wende enorm an Attraktivität verloren haben. An diesem Imageverlust leidet übrigens nicht nur die Neustadt, sondern daran leiden auch Heide-Nord oder die Silberhöhe - also quasi jede Plattenbausiedlung. Was wir aber an Neustadt sehen. ist, dass Bewohner der westlichen Neustadt sich oft sehr zufrieden mit ihrer Wohnung und auch ihrem Wohnumfeld äußern - ganz anders als in der südlichen Neustadt, zu der auch der Südpark gehört.

Warum?

Jaeck: In den Interviews lesen wir oft, dass viele sagen, sie wären schon weggezogen, wenn sie die Ressourcen dazu hätten. Es bleiben also in letzter Konsequenz im Grunde nur noch diejenigen übrig, die keine Mittel haben, woanders hinzugehen. Zudem ziehen nur noch diejenigen dorthin, die ebenfalls nicht die Möglichkeit haben, woanders zu wohnen.

Was bedeutet das für den Südpark?

Jaeck: Niedrige Bildung und niedriges Einkommen sind oft miteinander verquickt. Man spricht hier soziologisch von einem niedrigen sozioökonomischen Status. Das ist eine Mischung aus beruflichem Status, Einkommen und formalem Bildungsgrad. Je mehr Menschen mit niedrigem sozioökonomischen Status zusammenleben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Gebiet zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt.

Ist denn jedes Stadtviertel mit einem niedrigen sozioökonomischen Status gleich ein sozialer Brennpunkt?

Jaeck: Das kann man so nicht sagen. Eine der Hauptrollen spielt auch die Eigentümerfrage der Wohnblöcke im Südpark. Man spricht hier von sogenannten Slum-Lords. Also Besitzer von Immobilien, die nicht daran interessiert sind, die Häuser zu sanieren. Das sind dann reine Investitionsobjekte. In der Silberhöhe, einem ähnlichen sozialen Brennpunkt in Halle, haben dagegen ganze Straßenzüge noch städtischen Wohnungsbaugesellschaften gehört. Dadurch war man sehr handlungsfähig. Da konnte man über Rückbau oder eine totale Umwidmung sprechen. Das ist im Südpark nicht so. Mit solchen fehlenden Akteuren hat man es natürlich schwer.

Was wäre die Lösung?

Jaeck: Eine Lösung wäre, wenn die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Immobilien zurückkaufen, um als Stadt wieder handlungsfähig zu werden. Aber da muss natürlich etwas geplant werden. Dann könnte man auch über Rückbau, Sanierung und andere Maßnahmen nachdenken.

Was gibt es noch für Mittel?

Jaeck: Die Mittel sind begrenzt. Das Aufwerten des Viertels in Form von Sanierungen ist die gängigste Methode. Zudem ist die Erhöhung der polizeilichen Präsenz auch eine Möglichkeit, um die subjektiv wahrgenommene Kriminalität sowie die empfundene Hilflosigkeit und Unsicherheit zu senken. (mz)