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Selbstverteidigung im Test Selbstverteidigung in Halle (Saale): Tipps für Frauen gegen Angreifer

Von Janine Gürtler 14.10.2017, 10:00
Auch wenn Janine Gürtler (rechts) hier den Angriff übt - bei der Selbstverteidigung geht es vor allem darum, einen Kampf soweit wie möglich zu vermeiden.
Auch wenn Janine Gürtler (rechts) hier den Angriff übt - bei der Selbstverteidigung geht es vor allem darum, einen Kampf soweit wie möglich zu vermeiden. Holger John / VIADATA Photo

Halle (Saale) - Angelina Jolie hat es in „Tomb Raider“ vorgemacht und Uma Thurman in „Kill Bill“ sowieso: Frauen in Hollywoodfilmen sind längst nicht mehr nur zarte Püppchen, die gerettet werden müssen. Sie legen ihre Gegner selbst übers Knie. So in der Art hatte ich mir das vorgestellt, als ich zum ersten Selbstverteidigungskurs meines Lebens gehen sollte: Ich war scharf auf Kampftechniken, mit denen ich Angreifer kinderleicht auf die Matte schmeißen würde.

Doch in der Hinsicht muss mich Dorothee Zimmer erst einmal enttäuschen. „Es geht nicht darum, jemanden platt zu machen“, sagt die 42-Jährige, die ihre Türen im Yamabushi Dojo in Halle für mich öffnet. Die Hallenserin selbst könnte das natürlich ohne Probleme - schließlich trainiert sie seit 20 Jahren die Kampfkunst Ninjutsu. Doch was sie Frauen seit zwei Jahren in ihren Selbstverteidigungskursen beibringt, hat damit wenig zu tun. „Selbstverteidigung hat nichts mit einem Kampf zu tun. Es geht immer ums Entkommen, nie um Konfrontation“, betont sie.

Selbstverteidigung in Halle (Saale): Jeder hat seinen „Donut“

Und so geht es mit den anderen acht Teilnehmerinnen erst einmal ums Rantasten. In Paaren stehen wir uns gegenüber: Ich bleibe bewegungslos, während die Trainerin mir immer dichter auf die Pelle rückt. Einen „Donut“ nennt Zimmer den unsichtbaren Ring um uns herum, um uns in Gegenwart anderer wohlzufühlen. Wie groß er ist, muss jeder für sich selbst bestimmen. Ein Familienmitglied oder Freund darf uns in der Regel wesentlich näher kommen, als ein völlig Fremder.

Ich hebe die Hand, als sie mir ins Gesicht fassen will. Das tue ich ganz automatisch, wie ein Reflex. „Das ist der erste wichtige Schritt“, sagt Zimmer, „Stopp zu sagen, hier geht es nicht weiter“. Große Probleme habe ich damit aber noch nicht. Schließlich weiß ich, dass mein Gegenüber mich nicht wirklich angreifen will. Deswegen wird es nun einen Gang härter. Ich bekomme ein Tuch um die Augen, die anderen stellen sich um mich herum, berühren mich erst zaghaft, dann immer forscher - bis ich anfange, durch die Schubser zu schwanken. Jetzt wird es mir zu viel. Ich sage laut „Stopp“ - und bin echt erleichtert, als es aufhört. Dann geht es in den „Nahkampf“.

Selbstverteidigung in Halle (Saale): Keine Scheu beim Zuschlagen!

Zimmer hält mir einen „Pratzen“ hin, ein quietschgelbes Schlagpolster. Endlich darf ich meine Schlagkraft unter Beweis stellen, denke ich und schlage so fest es geht zu. Doch da schon der erste Fehler. „Wenn ihr zu weit ausholt, hat der Gegner auch mehr Zeit, sich darauf einzustellen“, erklärt Zimmer der Runde. Am besten schlägt man also aus der Bewegung heraus und vor allem: mit der flachen Hand, nicht mit der Faust. Denn mit der Faust haben Frauen oft weniger Schlagkraft. Und das Risiko, die eigenen Finger bei einem Kinnhaken zu verletzen, ist höher.

Ich kenne offenbar weniger Scheu als andere Frauen und schlage fest zu, einige trauen sich da weniger. So wie Johanna Kallinautzki. „Es fällt mir noch schwer, andere Leute anzugreifen“, gibt die 15-Jährige zu. „Die Hemmschwelle, anderen wehzutun, ist bei Frauen oft sehr groß“, sagt auch Zimmer. Ihr ist es deshalb wichtig, dass ihre Kursteilnehmerinnen den Mut finden, zuzuschlagen. „Schließlich hatte der andere die Wahl, euch zu nahe zu rücken“, betont die Kampfkunst-Expertin.

Selbstverteidigung in Halle (Saale): Extremsituationen aushalten

Selbstverteidigung liegt bei allen Altersgruppen im Trend: Zu Dorothee Zimmer kommen junge Mädchen, Studentinnen, aber auch Frauen ab 50, die sich laut Zimmer nicht mehr sicher fühlen. Einen Anteil daran habe wohl auch die Sicherheitsdebatte der vergangenen Monate. Hat die Angst vor dem Fremden der Trainerin mehr Zulauf gebracht? „Nein“, sagt sie und betont: „Rassismus hat hier keinen Platz“.

Der Kurs macht mir zunehmend Spaß, richtige Kniffe, wie man sich zum Beispiel aus einer Handumklammerung oder einem Würgegriff befreit, sind aber erst in den kommenden Wochen dran. In acht Stunden sollen Frauen lernen, wie man Angriffe abwehrt. Aber habe ich wirklich eine Chance, mich gegen einen Mann zu wehren, wenn ich keine kampferfahrende Amazone bin wie Angelina Jolie in „Tomb Raider“? „Ja klar“, ist Dorothee Zimmer überzeugt. Natürlich seien Frauen in der Regel körperlich unterlegen. Das bedeute aber nicht, dass sie völlig wehrlos sind. „Man muss nur die Schwachstellen des Gegners nutzen.“

Selbstverteidigung in Halle (Saale): Auch Ringe oder Kugelschreiber kann man als Waffe nutzen

Das klingt so einfach. Was aber, wenn ein 80-Kilo-Mann auf meinem Brustkorb sitzt und niemand mir helfen kann? „Nicht herumzappeln“, ist Zimmers Rat. Auch auf den Brustkorb einhämmern bringt nichts. Dadurch verbrauche man nur wichtige Kraftreserven, meint die Kampfkunst-Expertin. „In dem Fall muss man auch lernen, Extremsituationen eine Zeit lang auszuhalten.“ Das heiß nicht etwa, sich dem Gegner zu ergeben, sondern nur solange „mitzuspielen, bis sich eine Schwachstelle auftut.“ In die Zunge beißen zum Beispiel.

Auch Ringe oder Kugelschreiber könne man als Waffe nutzen. Und was hält Zimmer von Pfefferspray? Eher wenig. „Prinzipiell laufe ich bei jeder Waffe die Gefahr, dass sie gegen mich verwendet werden kann.“ Ihre Selbstverteidigungsküste anwenden musste Zimmer übrigens noch nicht. „Wenn ich ohne Gewalt auskomme, habe ich richtig reagiert.“ (mz)

Wie groß ist der eigene Schutzraum? Auch darum geht es.
Wie groß ist der eigene Schutzraum? Auch darum geht es.
Holger John