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Schuhmacher Schuhmacher: Diese Hallenserinnen kämpfen gegen Aussterben des traditionellen Handwerks

Von Jonas Nayda 08.03.2020, 11:00
Die Schuhmacherinnen Theresa Theobald (l.) und Alessa Wilhelm haben in Halle ihre eigene Schuhwerkstatt gegründet.
Die Schuhmacherinnen Theresa Theobald (l.) und Alessa Wilhelm haben in Halle ihre eigene Schuhwerkstatt gegründet. Silvio Kison

Halle (Saale) - Echtes traditionelles Schuhmacherhandwerk findet man in Deutschland heutzutage kaum noch. Die meisten Menschen tragen Sportschuhe aus Plastik, sogenannte Sneaker, die von Maschinen in Asien hergestellt wurden.

Bei diesen Fertigprodukten lohnt sich im Ernstfall häufig nicht einmal eine Reparatur, neukaufen ist einfacher. Diesem Trend wollen sich Theresa Theobald und Alessa Wilhelm entgegenstellen. Die beiden haben vor kurzem ihre eigene Schuhwerkstatt in Halle gegründet.

„Wir fertigen unsere Schuhe so weit es geht in Handarbeit“

Sie wirkt ein bisschen wie eine geheime Höhle, die Werkstatt „Wurzln“, in der die Schuhmacherinnen arbeiten. Denn der Eingang liegt versteckt im Keller eines Mehrfamilienhauses im Medizinerviertel. Keine bunt leuchtende Werbetafel an der Hausfassade, kein großes Hinweisschild, nicht mal eine eigene Türklingel gibt es. Aber das braucht man auch nicht, um gute Schuhe herzustellen und außerdem befindet sich das Geschäft derzeit noch im Aufbau.

„Wir fertigen unsere Schuhe so weit es geht in Handarbeit“, sagt Theresa Theobald. Die 29-Jährige gebürtige Rheinländerin hat ihre Ausbildung zur Schuhmacherin am Staatstheater Darmstadt absolviert und lebt seit 2017 in Halle. Alessa Wilhelm ist 30 Jahre alt, stammt aus dem Schwarzwald, hat ihr Handwerk in Wien gelernt und lebt ebenfalls seit 2017 in Halle.

Idee, eine eigene Schuhwerkstatt zu gründen

Die Idee, eine eigene Schuhwerkstatt zu gründen, hatte Alessa Wilhelm schon vor einigen Jahren, als sie nach dem Abitur für einen Freiwilligendienst längere Zeit in Äthiopien war. Dort gibt es riesige Rinder-Herden und entsprechende Mengen Leder. Den Großteil dieses Leders machen sich jedoch chinesische Großkonzerne zu eigen und verarbeiten es unter fragwürdigen Umweltbedingungen weiter.

„Darunter leiden die Natur und die Menschen in Äthiopien sehr“, sagt Wilhelm. Sie hätte am liebsten direkt in Äthiopien eine nachhaltige Werkstatt aufbauen wollen, um etwas gegen die Ausbeutung zu tun.

„Ich war eigentlich schon immer ein eher zupackender Typ“

Zurück in Europa lernten sich Wilhelm und Theobald eher zufällig kennen, weil sie gemeinsame Freunde hatten. Damals studierten beide noch ein geisteswissenschaftliches Fach. Bis zur Gründung der Schuhwerkstatt in Halle mussten erst noch ein paar Jahre ins Land gehen. „Ich war eigentlich schon immer ein eher zupackender Typ“, sagt Wilhelm. Schon als Kind habe sie sich für Mode interessiert und Schuhe stellen für sie die perfekte Verbindung von filigraner Näh- und gröberer Leder-Arbeit dar.

Besonders wichtig bei Schuhen ist neben dem modischen Aussehen aber vor allem der Komfort. „Im Gegensatz zu allen anderen Kleidungsstücken ist es bei Schuhen wirklich richtig wichtig, dass sie gut passen“, sagt Wilhelm. Bei Jacken oder Hosen sei es nicht so dramatisch, wenn sie mal eine Größe zu groß sind. Aber: „Auf unseren Schuhen lastet täglich unser gesamtes Körpergewicht. Wenn das nicht gut abgefedert wird, ist das fatal“, sagt Theresa Theobald.

Schuhmacherinnen bieten Schuhe aus Handarbeit an

Zwar bieten die zwei Schuhmacherinnen Schuhe aus Handarbeit an, aber komplette Maßanfertigungen wären zu aufwendig. Deshalb verschicken sie vorab an alle Interessierten eine Bestellbox, in der ein Maßkit, Ledermuster und Informationen zu den Grundmodellen, den Leisten und den Sohlen enthalten sind. Im Gegensatz zu den meisten herkömmlichen Schuhen aus der Massenproduktion, die alle nur in einer Standardbreite kommen, gibt es bei Wurzln drei verschiedene Weiten: schmal, mittel und breit.

Mithilfe der Bestellbox können die Kunden ihre Füße selber vermessen und sich ein Design für ihre Schuhe aussuchen. Die Schuhmacherinnen wählen dann in ihrer Werkstatt den passenden Leisten und beginnen mit der Arbeit. Das Leder stammt aus Deutschland oder den Nachbarländern, auch bei allen anderen Materialien werden nur gesundheitlich unbedenkliche Stoffe verwendet.

Ganz ohne technische Hilfe geht es auch bei Wurzln nicht

Für die Sohle nutzen die Schuhmacherinnen sogar teilweise wiederverwendete Autoreifen. Allerdings ist der Preis für echtes Handwerk hoch. Ein Paar handgefertigte Wurzln-Schuhe kostet je nach Ausstattung eine mittlere dreistellige Summe.

Ganz ohne technische Hilfe geht es auch bei Wurzln nicht. Die Maschinen der beiden Schuhmacherinnen stammen jedoch alle aus mindestens zweiter Hand. Die große gusseiserne Nähmaschine von Pfaff, die an einer Wand steht, ist sogar schon über 100 Jahre alt. Wenn es nach den beiden jungen Schuhmacherinnen geht, könnte die Maschine auch die nächsten 100 Jahre lang in Gebrauch sein. Theresa Theobald und Alessa Wilhelm kämpfen jedenfalls gegen das Aussterben des Handwerkes. Und beide geben noch lange nicht auf. (mz)

Eine Sohle wird angepasst.
Eine Sohle wird angepasst.
Silvio Kison
Befestigen einer Sohle aus recycelten Autoreifen mit einem Hammer.
Befestigen einer Sohle aus recycelten Autoreifen mit einem Hammer.
Silvio Kison