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Saalekreis Saalekreis: Gefahr aus dem Aquarium

Von KATRIN LÖWE 13.10.2010, 18:14

KLEPZIG/Halle (Saale)/MZ. - Wolfgang Wendt ist in Sorge. In großer Sorge - um den einheimischen Edelkrebs. "Er scheint auszusterben", sagt der Spezialist vom Landesamt für Umweltschutz. Kam der Edelkrebs vor zehn Jahren in Sachsen-Anhalt noch in einem knappen Dutzend der europäischen Naturschutzgebiete (FFH) vor, so waren es 2009 nur noch zwei oder drei. Mitschuld trägt der amerikanische Kamberkrebs, der die Krebspest eingeschleppt hat - eine Pilzerkrankung, die für hiesige Krebse tödlich verläuft. Jetzt aber droht den alteingesessenen Tieren eine weit größere Gefahr: der Marmorkrebs. In einem Dorfteich in Klepzig (Saalekreis) wurde er identifiziert, nachdem mehrere Exemplare auf Wanderschaft gegangen waren (die MZ berichtete). Klingt nach einem Klepziger Problem, ist es aber nicht.

Der Marmorkrebs: ebenfalls Krebspestüberträger und schwer verfressen, was ihm auch den Spitznamen "Unterwasser-Rasenmäher" einbrachte. Vor allem aber ist er unheimlich vermehrungsfreudig. Aller acht Wochen kann der Krebs um die 120 Jungtiere hervorbringen. Und: Er ist die einzige bekannte Flusskrebsart, in der sich Weibchen ohne Paarung fortpflanzen. Mitte der 90er Jahre ist das hübsch anzusehende Tier in Deutschland im Aquarienhandel aufgetaucht. Seitdem mehren sich auch im Internet Hilferufe wie dieser: "Hatte zwei Marmorkrebse in einen 54-Liter-Becken. Der eine hat 70 Junge bekommen. Nach einem Monat waren die Jungen zwei Zentimeter groß und zwei Wochen später hatten mindestens 20 Stück Eier."

Es lasse sich zwar nicht nachweisen, aber am häufigsten würden die ursprünglich aus Florida stammenden Tiere in solchen Situationen in die freie Natur ausgesetzt, sagt Gerhard Scholtz, Marmorkrebs-Spezialist an der Humboldt-Universität Berlin. "Das ist streng verboten", betont der Forscher, der schon 2003 davor warnte, dass das Tier zu einer großen Gefahr für Flora und Fauna einheimischer Gewässer werden kann. Ein Jahr später wurden erste Marmorkrebse in einem Baggersee bei Karlsruhe entdeckt. Seitdem gab es immer wieder einmal Funde - im vergangenen Jahr in Sachsen sogar in einem Fließgewässer. Unter feuchtwarmen Bedingungen, so Scholtz, kann der Marmorkrebs kleinere Strecken über Land laufen und neue Gewässer besiedeln.

Noch seien die Vorkommen relativ vereinzelt, sagt Scholtz. "Der Marmorkrebs konnte sich in Mitteleuropa nicht ganz so erfolgreich ausbreiten, wie wir ursprünglich erwartet hatten." Eine Entwarnung sei das nicht. Zumal sich die Bedingungen für das 15 Zentimeter große Tier mit Klimawandel und Erwärmung wohl verbessern werden. Auf der afrikanischen Insel Madagaskar hat es sich zur regelrechten Plage entwickelt, Forscher sprechen schon von "nationaler Gefahr". Ein Fischer berichtete von 75 Prozent Fang-Rückgang seit dem massenhaften Auftreten der Tiere.

Auch Wolfgang Wendt ist alles andere als beruhigt. Zumal der Marmorkrebs womöglich nicht zum ersten Mal in Sachsen-Anhalt aufgetaucht ist. Es soll schon einen Fund in einem Fließgewässer gegeben haben, "das wäre viel schlimmer, weil er sich da noch weiter ausbreiten kann", sagt er. Wendt wartet noch auf Informationen zu Fall und Ort. Solange lässt ihn aber auch Klepzig nicht ruhen. Zwar hat der Teich weder Zu- noch Abfluss. Es sei aber bekannt, dass Krebse entnommen und in Gartenteiche gesetzt wurden. "Eine gewisse Ausbreitung ist also schon erfolgt." Nun sind Behörden dabei, sich auf die Spur der Tiere zu machen. Ob das funktioniert? Schulterzucken.

Gleichzeitig machen sich die Naturschützer Gedanken, was mit den Krebsen im Klepziger Teich geschieht. Sie abzufischen sei eine Variante, "aber damit wird es nicht gelingen, die Population auf Null herunterzufahren", sagt Wendt. Eine zweite Möglichkeit sei, den Wasserstand abzusenken und auf einen harten Winter zu hoffen, in dem der Teich durchfriert. Schon vorher werden Warnschilder am Teich platziert - der sei "fast schon zum Touristen-Magnet geworden", sagt Sachgebietsleiterin Yvonne Brand von der Kreisverwaltung. Zudem würden Amphibien-Schutzzäune aufgestellt in der Hoffnung, dass die Krebse so im Teich bleiben. Angler werden gebeten, Utensilien gründlich zu reinigen, um eine Ausbreitung der Krebspest zu verhindern: Die Sporen überleben daran bis zu 16 Tage ohne Wirt. "Angler wissen das, für uns ist die Krebspest schon länger Thema", heißt es beim Anglerverband.

Die Tiere selbst sind für manchen im Übrigen von lukullischem Interesse. Auch der Marmorkrebs sei essbar, sagt Wendt. Wegen seiner kleinen Scheren sei das zwar Fummelei, aber einen Ananas-Krebsschwanz-Salat etwa geben ausreichend Tiere schon her.