1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Razzia in der JVA Halle: Razzia in der JVA Halle: Spezialeinheit findet verbotene Gegenstände

EIL

Razzia in der JVA Halle Razzia in der JVA Halle: Spezialeinheit findet verbotene Gegenstände

Von Katrin Löwe 01.07.2015, 13:14
In den Hafträumen der JVA Halle suchten am Mittwoch Beamte einer Spezialeinheit nach verbotenen Gegenständen.
In den Hafträumen der JVA Halle suchten am Mittwoch Beamte einer Spezialeinheit nach verbotenen Gegenständen. Andreas Stedtler Lizenz

Halle (Saale) - Der Anblick ist respekteinflößend: Schwarz gekleidete Beamte mit hieb- und stichsicherer Weste, Helm und Handschuhen stehen vor den Türen. Dann dröhnt eine tiefe Stimme über den Flur: „Aufschluss!“ Zeitgleich werden zwölf Zellentüren geöffnet. Die Männer dahinter schlafen noch. Sie sollen keine Zeit haben, auf das zu reagieren, was jetzt kommt.
Es ist Mittwochmorgen, 6 Uhr. Im halleschen Gefängnis „Frohe Zukunft“ startet ein Einsatz des „Besonderen Sicherheits- und Revisionsdienstes im Justizvollzug“ (BSRD). Die Spezialgruppe, zusammengesetzt aus Gefängnis-Mitarbeitern des ganzen Landes, ist unter anderem für gründliche Durchsuchungen ausgebildet. Nun stellen 29 Einsatzkräfte die Zellen auf den Kopf, um jedes noch so gute Versteck von Dingen zu finden, die hinter Gefängnistüren verboten sind, für die Disziplinarstrafen bis hin zu Strafanzeigen drohen. Erstmals dabei: Journalisten.

„Na, dann räumen wir mal auf“, sagt Carmen Metlitzki mit einem Augenzwinkern und betritt die Zelle eines 31-jährigen Häftlings, der nach einer Leibesvisitation in einen Aufenthaltsraum gebracht wurde. Die erste Sicherstellung hat es schon gegeben: Ein selbst gebasteltes Tätowiergerät hat der Insasse gerade freiwillig herausgerückt.
Ab jetzt geht es um Gründlichkeit - und die beginnt im Kleiderschrank. Jedes T-Shirt holt Metlitzki heraus, streicht über Nähte und Kragen. Es könnte etwas eingenäht sein. Jedes der im Spind herumliegenden Papiere wird einzeln überprüft, jeder Umschlag geöffnet. Selbst Spielgeldscheine im Monopoly-Karton geht die 49-Jährige durch. Sie ist auch auf Suche nach echtem, hier verbotenem Geld.

Mehr als eine Stunde braucht die Amtsinspektorin für den Schrank - in dem die Kleidung anders als zuvor nun ordentlich auf Kante liegt. „Ich bin eine Frau“, sagt Metlitzki und lacht. Empfindlich darf sie nicht sein. „Dann ist man falsch hier.“ Auch getragene Socken werden auf links gedreht, gebrauchte Unterwäsche wird untersucht. Das wären ideale Verstecke, ebenso wie Hohlräume an Vorbauten und Rohrleitungen des alten Gemäuers, in TV-Wandhalterungen, hinter Bilderleisten. Ein Stück Vorsicht kann bei der Suche übrigens nicht schaden: Experten wissen, dass Häftlinge auch schon kleine Rasierklingen an schwer einsehbare Kanten geklebt haben, die die Kontrolleure mit der Hand abstreichen müssen.

Metlitzki ist seit 22 Jahren bei der Justiz, seit 20 in der Spezialgruppe. Und sie weiß, das es heißt: Es gibt nichts, was es im Gefängnis nicht gibt. Seit 1994 haben neben Alltags-Kontrollen mehr als 250 der gründlicheren BSRD-Einsätze stattgefunden. Entdeckt wurden dabei unter anderem 37 Handys, 93 selbst gebaute Waffen, Drogen, über 1000 Tabletten, Speichermedien, aber auch 177,5 Liter Alkohol- und Weinansatz. Gerade selbst gebrauter Alkohol, sagt JVA-Psychologe Rolland Welther, kann im Gefängnis für Unruhen sorgen.

Auf der nächsten Seite: Seltsame Funde und doppelte Böden.

Metlitzki erinnert sich auch an eine Durchsuchung, bei der eine Konservendose auffiel. Äußerlich schien sie unbeschädigt. „Beim Schütteln hat sie aber komisch gegluckert - es war nur ein ganz feiner Ton.“ Wenig später stellte sich heraus: In ihr war ein dicht verpacktes Handy versteckt, die Dose mit Wasser aufgefüllt worden. Geschichten wie diese gibt es viele, vom Handy im original-verschweißten Schinken bis zum Klassiker - dem Hohlraum in einem Buch. Die Ideen der Gefangenen sind grenzenlos. „Sie haben ja 24 Stunden am Tag Zeit“, sagt Metlitzki. Einen Behälter mit Tee-Granulat, der diesmal auf dem Regal steht, würde sie deshalb normalerweise komplett auskippen - wenn er nicht schon so leer wäre, dass er sich als Versteck ausschließen lässt. Jedes Duschgel, jede Zahnpasta-Tube, jedes Shampoo muss durch die Schüttel- und Geruchsprobe. Der Lüfter im Bad wird ausgebaut, das WC von innen mit einem Teleskopspiegel überprüft.

In Nachbarzellen sind ihre Kollegen inzwischen fündig geworden. Eine SD-Speicherkarte ist zwischen Blättchen zum Selbstdrehen von Zigaretten versteckt, mehrere Fernseher sind aufgrund von aufgerissenen JVA-Siegeln verdächtig. In einem Sofa findet sich ein doppelter Boden - darunter sind ein Inbus-Schlüssel, ein Pinsel und Klebeband versteckt. Was man damit anstellen kann? Nun, mit dem Pinsel ein Versteck in der Wand überstreichen, mit dem Klebeband jemanden fesseln zum Beispiel.
Auch Metlitzki hat inzwischen einiges entdeckt. Sie sortiert Kabel aus, konfisziert Tabletten, Sandpapier. „Das gehört hier alles nicht rein.“ Ebenso wie die sieben Zentimeter langen Maschinenschrauben. „Auch mit denen kann man jemandem richtig weh tun.“ Erst kürzlich lag in einem der Räume, die sie mit einem Kollegen durchsucht, ein Cuttermesser.
Nie hundertprozentig

„Unsere Gefängnisse sind sicher“, sagt indes Ute Albersmann, Sprecherin des Justizministeriums. Vom Grundsatz her jedenfalls, wie sie hinzufügt. „Einhundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“, trotz aller Durchsuchungsmaßnahmen. Diesmal werden neben dem Tätowiergerät und dem Werkzeug im Sofa-Versteck unter anderem geringe Mengen Alkohol, zwei USB-Sticks und drei Speicherkarten sowie ein selbst gebauter Tauchsieder entdeckt. Die ganz heiklen Funde bleiben aus. Auch die tierische Unterstützung - zwei Drogenhunde und ein Handy-Spürhund - findet nur das, was die Hundeführer aus Motivationsgründen für sie versteckt haben. Dabei gab es Anzeichen, dass sie erfolgreich sein könnten. In den vergangenen Wochen, hat es vor Einsatzbeginn beim Briefing geheißen, sind drei Handys gefunden worden, die von außen über die Gefängnismauern geworfen wurden. Es sei nicht auszuschließen, dass das eine oder andere so beförderte „Paket“ auch seinen Empfänger erreicht hat.


Auf Metlitzki und ihren Kollegen wartet kurz vor Ende der mehr als fünfstündigen Aktion noch eine eher unangenehme Aufgabe: In einem Aufenthaltszimmer stehen 40 PET-Flaschen, offenbar mit abgestandenem und ekelhaft riechendem Wasser gefüllt. Erst kürzlich wurde hier aber auch Alkohol konfisziert. Die Flaschen, von den Häftlingen als Hantel zum Krafttraining genutzt, werden nun geleert. Der Rest des Einsatzes ist Papierkram. Und ein Erlebnis, mit dem Metlitzki eher nicht gerechnet hat: Der Häftling hat sich bei ihr bedankt. So ordentlich habe sein Schrank lange nicht ausgesehen. (mz)