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Rausch lässt es in Landsberg rocken

Von Steffen Könau 25.08.2006, 17:31

Halle/MZ. - Dort, im Reich von Rauschs Frau Sonja, holte sich der Superstar mit Schnupper-Nase und Kochlöffel Appetit für das Essen vor dem Auftritt, das immer an einem großen Tisch eingenommen wurde.

Hier im "Goldenen Löwen" in Landsberg, ein paar Kilometer von Herbert Dreilichs Heimatstadt Halle, haben sie alle gesessen in den letzten 30 Jahren. Dreilich und sein Gitarrist Bernd Römer. Toni Krahl und Fritze Puppel von City. Maschine Birr und Quaster Hertrampf von den Puhdys. Sillys Tamara Danz. Herzberg von Pankow, die Leute von Electra und Karussell. Auch die wilde Renft-Bande futterte hier friedlich. So wie viele internationale Stars: Andy Scott von Sweet, CCR, Slade, Smokie.

Seit Jürgen Rausch im "Löwen" regiert, ist der Gasthof im Saalkreis zum Mekka der Fans von handgemachtem Rock geworden. Genau so einer ist der 55-jährige Wirt selbst mal gewesen: Ende der 60er infizierte sich der gebürtige Landsberger böse mit dem Beat-Bazillus. Wie eine ganze DDR-Generation trampte Jürgen Rausch den Bands hinterher, deren Musik nach Freiheit und Abenteuer klang. "Jedes Wochenende waren wir unterwegs", erinnert sich der Mann, der Schnauzer und Nackentolle bis heute treu geblieben ist, "nur um die Gruppen zu erleben."

Ein Zufall machte aus dem Fan den Veranstalter, dessen Adressbuch sich wie ein Ostrock-Lexikon liest: Dort die Nummer von Citys Toni Krahl, der schon 31 Mal in Landsberg gesungen hat. Da die von Stefan Diestelmann, der großen mystischen Gestalt des DDR-Blues. Jürgen Rausch ist der Guru des Ostrock, der letzte Überlebende einer Zeit, als Bands und Kohleofen beim Tanz im Duett einheizten und die Musiker ihr Pausenbier inmitten der Fans zischten.

Dabei sollte der Enkel des Oberkellners der "Goldenen Kugel" in Halle etwas Anständiges lernen. "Mein Vater wollte nie, dass ich kellnere." In der Lehre aber spürt Rausch: "Klempner - nie". Also jobbt er in der Schorre und lernt nebenher für den Gaststättenleiter-Schein. Danach stellen sich die Weichen von selbst: Rausch übernimmt den "Löwen", als dessen Wirt Ferien macht. "Aus dem Urlaub", lächelt er, "ist der Mann nie zurück gekommen."

Auf einen Schlag ist Jürgen Rausch, gerade 24, der Chef. "Also habe ich angefangen, den Jugendtanz auszubauen." Es sind die 70er, Gruppen wie Renft und Puhdys ziehen die Massen aufs Land. Rausch lässt rocken: Für 2,10 Mark Eintritt brennt die Luft, fließt das Bier und der Alltag bleibt einen Abend lang draußen vor der Saal-Tür.

Nur der Wirt muss ihn immer mitdenken. Bevor Dreilich auf die Bühne klettern und "Cäsar" Gläser die Gitarre einstöpseln darf, steht Jürgen Rausch im Polizeirevier, um seinen "Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis für die Durchführung einer öffentlichen Tanzveranstaltung" abzugeben. In vierfacher Ausfertigung. "Wenn vorher ein paar Übermütige auf dem Rückweg die Mohrrüben der Anwohner aus dem Garten weggefrühstückt hatten, war das kitzlig."

Ohne Tricks geht es nicht. "Konzerte mit Bands, die gerade missliebig waren, habe ich erst freitags angemeldet." So hat der Ortspolizist keine Chance mehr, weiter oben nachzufragen. Dafür übernimmt der Löwen-Wirt den Schutz der Nachbarn vor bierseligen Pop-Pilgern selbst: Im Trabi patrouilliert er auf der Straße zum Bahnhof, um Milchkannen vorm Austrinken und Kirschbäume vor verfrühter Ernte zu bewahren. Es sind diese kleinen Geschichten, die Rauschs Schnauzer beim Erzählen vor Vergnügen vibrieren lassen. Der Tag etwa, als zu einem Konzert mit Diestelmann 6 000 anreisten! "Die Straße war schwarz vor Menschen", Rausch schnauft, "und dauernd rief die Polizei an: ,Hier sind wieder 200 Leute mit dem Zug durch´". Oder der legendäre Karussell-Auftritt: Als die Band sich verspätete, badeten die Fans so lange im Brunnen auf dem Markt. Ein Hauch von Woodstock am "Löwen". "Da hatte ich himmelangst", gesteht Rausch.

Richtig gefährlich aber ist es doch erst nach der Wende geworden. Zeitweise wollte keiner mehr die alten Helden sehen. Dafür kamen neue Manager, die genau wussten, wie der Rock'n'Roll-Hase zu laufen hat. "Als dann einer nach dem Bohlen-Konzert mit der Kasse abgehauen ist, habe ich gesagt, tschüs."

Seitdem macht Rausch, Chef eines Familienunternehmens mit fünf Angestellten, wieder alles allein. Um City zu holen, ruft er Fritze Puppel an. Electra im Januar? Kurz Durchklingeln bei Bandchef Bernd Aust. Drei Jahrzehnte nach Rauschs Konzertdebüt ist hier immer noch jeder Handschlag wie ein Notarvertrag. Das freut Bands wie die ungarische Legende Omega. Es freut die Fans, denen jede Wanderung zu den Großkonzerten auf der Felsenbühne ein Ausflug in die Vergangenheit ist. Und es freut den Wirt, der nur manchmal noch den Kopf schüttelt über sich selbst. "Ich muss das ja nicht mehr haben", sagt er, denkt eine Sekunde nach und beendet den Satz langsam: "Aber so lange es Spaß macht."