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Nach der Flut Nach der Flut: "Fort von hier will keiner"

Von kornelia privenau 03.07.2013, 19:59
Die Flut brachte selbst schwere Kühltruhen zum Schwimmen. Feuerwehrleute haben sie in Wettin geborgen.
Die Flut brachte selbst schwere Kühltruhen zum Schwimmen. Feuerwehrleute haben sie in Wettin geborgen. Privat Lizenz

salzmünde/Wettin-löbejün/MZ - Die große Flut hat sich zurückgezogen. Geblieben sind die Schäden und der Frust bei den Menschen, die so vieles verloren haben - privat oder in ihrem Verein. Aber kaum jemand will aufgeben. Vor allem auch deshalb nicht, weil es eine andere Flut gegeben hat und bis heute gibt: die Hilfsbereitschaft. Alle scheint der Gedanke zu verbinden: Wir fangen neu an.

Kegelbahn zerstört

Wird es einen Neuanfang auch für das Gemeindezentrum von Salzmünde mit Sportplatz, Kegelbahn und Umkleideräumen für die Aktiven sowie die große Gaststätte mit Küche, Gastraum, Saal mit Empore und Terrasse zur Saale geben? Ist auch der Fußballrasen fast völlig abgetrocknet, ebenso wie der gepflasterte Parkplatz: Das Innere aber ist vom Wasser verwüstet. Detlef Bode vom Vorstand des TSV Germania, Bereich Kegeln, zeigt Fotos, die von einem Boot aus gemacht worden sind. „Das Wasser stand in der Kegelbahn 1,60 Meter hoch. Es hat sich mit einer starken Strömung ausgebreitet, so schnell, das konnte niemand ahnen“, erzählt Bode. Die Sportler des Vereins und die Kameraden der freiwilligen Feuerwehr haben es gerade noch geschafft, die Stühle aus dem Saal auf die Empore zu schleppen. „Aber die Küche der Gaststätte und die Kegelbahn haben Totalschaden“, zählt Ortsbürgermeister Gerd Kalbitz auf.

Suche nach Lösung

Als die Fluten mit unerhörter Gewalt eindrangen, stand der Saale-Pegel Trotha bei 8,10 Meter. Das Maß haben die Sportler an einen Türrahmen geschrieben. Neben ihrer Gewissheit, „solche Katastrophen werden wir wohl häufiger erleben“, bleibt eine Menge Frust. „Niemand hat uns gewarnt, uns gesagt, welche Flut da auf uns zukommt“, sagt Bode. Angaben über zu erwartende Pegel gab es einfach nicht. Das empöre alle Betroffenen.

Wie soll es nun weitergehen? Die TSV-Sportler - der Verein hat insgesamt über 300 Mitglieder - hatten schon beim Bau ihrer alten, vereinseigenen Kegelbahn und der Sanierung der Umkleide- und Aufenthaltsräume ungezählte Arbeitsstunden investiert. „Und wir haben bei diesen Arbeiten auch daran gedacht, dass wir immer wieder mit Hochwasser rechnen müssen“, ergänzt Kalbitz. Das Parkett im Saal war längst entfernt worden. Der Unterbau wurde mit einer so genannten Packlage verstärkt. All das habe sich ebenso ausgezahlt wie das Entfernen von Trockenbau. Der erwies sich als untauglich für Isolierung in Hochwassergegenden. Bode zeigt auf einige Reste. Sie sind mit Wasser vollgesogen wie ein Schwamm und der wird zur Keimzelle für gesundheitsschädigenden Schimmel.

Selbst wenn das Gebäude noch zu retten sein sollte, die Kegelbahn ist es nicht mehr. Darin stimmen die beiden Männer und nicht nur sie überein. Was kann die Lösung sein? Abreißen und irgendwo im Ort an einem sicheren Platz neu aufbauen? Schön wäre es, aber wohl unmöglich. „Als Verein, der die Kegelbahn betreibt, könnten wir das nicht allein finanzieren“, sagt Bode. Auf Spenden hoffen, vielleicht auf Fördergeld, um die alte Bahn samt ihrer Technik irgendwie zu sanieren? Bekämen die Befürworter dieser Variante nicht den Vorwurf zu hören: Wenn ihr im Hochwassergebiet bleibt, dann werft ihr das Geld zum Fenster hinaus - falls es überhaupt welches geben würde. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Trotzdem wollen die Sportler retten, was zu retten ist. Am Samstag, 6. Juli, will Salzmünde nicht nur das Saalefest feiern. Am Vormittag gibt es ab 9 Uhr einen Arbeitseinsatz in den flutgeschädigten Räumen des TSV und in den Außenanlagen des Gemeindezentrums.

Technik in Sicherheit

Im Medienzentrum „Nest“ unmittelbar am Saaleufer in Wettin ist noch immer Großreinemachen. „Wir haben keine Verluste an Technik. Aber die Gebäudeschäden sind beträchtlich“, sagt Geschäftsführer Jens Rudolph. Er rechnet mit rund 25 000 Euro. Unterstützung ist avisiert. Der Jugendhilfeausschuss des Landkreises will mit 6 000 Euro helfen. Das Zentrum hat weitere Anträge gestellt. Die gesamte Kommunikationstechnik wurde rechtzeitig von den Azubis und freiwilligen Helfern unterm Dach in Sicherheit gebracht, so Rudolph. Er rechnet damit, dass Ende August alle Arbeiten abgeschlossen sind.

In der ufernahen Wohnsiedlung Lange Reihe erinnern nur noch Miettoiletten und einige Schuttcontainer an die Katastrophe. 60 Bewohner mussten ihre schmucken kleinen Häuser verlassen, als die Welle kam. Familie Jahn, die eine Maler-Firma betreibt, gehörte zu denen, die geblieben sind. Annika Jahn, die in wenigen Wochen ihr zweites Kind erwartet, sagt: „Die Lage war beängstigend, vor allem für die Kinder, die so etwas noch nie erlebt haben.“ Ihr Mann Birk war als Feuerwehrmann im Einsatz. Es gab nur noch einen Fluchtweg: Ein Nachbar hatte den schmalen, steilen Pfad zur Burg hinauf mit der Sense freigeschnitten.

Zahlreiche Hilfsangebote

Alle in der Langen Reihe haben gekämpft. Dann fiel der Strom aus, sollte nicht mehr gewaschen oder die eigene Toilette benutzt werden, auch das Telefon funktionierte zeitweise nicht. Später fanden Jahns dann 47 SMS, Mails und Anrufe von Leuten, die ihre Hilfe anboten. Die Wettiner sind sehr solidarisch gewesen. „Sie haben die Feuerwehr mit Essen versorgt.“ Aber auch kritische Worte gibt es. „Niemand hat uns gesagt, dass wir mit solch einer Katastrophe rechnen müssen“, heißt es.

Als die Siedlung Lange Reihe den Kampf gegen das Wasser verloren hatte, leerten die Betroffenen Kühlschränke und -truhen. „In diesen Tagen sind wir noch näher zusammengerückt. Wir wollten die Vorräte nicht verkommen lassen und haben auf dem Burghang ein Grillfest gefeiert“, sagt Annika Jahn. Und man habe den Schuh des Jahres gekürt: den Gummistiefel.

Es gab natürlich Momente der Verzweiflung und der Angst, aber: „Wir haben uns weder unseren Mut noch unseren Humor nehmen lassen. Und fort von hier will glaube ich auch keiner“, so die werdende Mutter.

Fremde Radler packen an

Der Betreiber des Campingplatzes in Kloschwitz, Konrad Rothmeyer, hat Lokal und Außenanlagen so hergerichtet, als habe es keine Flut gegeben. Dennoch sind die Schäden beträchtlich. Für einen Pegel von sieben Metern sei der Platz gerüstet, diesmal waren es acht Meter. Die Elektrik war kaputt, viele Möbel sind Schrott. Aber Platz und Lokal sind betriebsbereit. „Das verdanke ich der Hilfe der Dauercamper und einiger Radler aus Dessau und dem Harz, die auf ihren Touren bei mir eigentlich nur Pausen einlegen und nun fast drei Wochen lang geholfen haben“, sagt Rothmeyer.

Im Wettiner „Nest“ macht auch Sander Lueken sauber.
Im Wettiner „Nest“ macht auch Sander Lueken sauber.
Thomas Meinicke Lizenz