Mordfall Mariya N. Mordfall Mariya N.: Hallesche Fahnder setzen auf "Aktenzeichen XY ungelöst"

Halle (Saale)/München - Es ist der 7.Juni 1968. Im Zweiten Deutschen Fernsehen läuft zum sechsten Mal die neue Fahndungsreihe „Aktenzeichen XY ungelöst“. Eduard Zimmermann, ihr Gründer, spricht von einem „sehr abscheulichen Verbrechen“, das gleich im ersten Kurzfilm der Sendung nachgestellt ist - dem Raubmord am Solinger Verleger Bernhard Boll am 20. März. 40Beamte einer Mordkommission haben drei Monate lang 713 Spuren ausgewertet, rund 1 000 Vernehmungen geführt, mehr als 3300 Plakate kleben lassen. Den Einbrecher, der das Opfer in dessen Wochenendhaus mit einer Axt erschlagen hat, finden sie so nicht.
Nach der Sendung dauert es gerade zwölf Stunden und der Fall ist geklärt. Ein Zeuge erkennt die Uhr wieder, die der Raubmörder dem Zeitungsverleger abgenommen hat. Der Täter wird noch am gleichen Wochenende verhaftet, später zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Fall Boll ist der erste Mord, der mit Hilfe der neuen TV-Reihe gelöst wird - er gilt heute als Klassiker unter den Fans der Sendung.
Ermittler hoffen auf entscheidenden Hinweis
Ein einziger Tipp, der den Durchbruch bringt, ein Puzzle vervollständigt. Darauf hoffen jetzt, mehr als 45 Jahre später, auch die Ermittler der halleschen Mordkommission „Neuwerk“. Gut neun Monate ist es her, seit im Mühlgraben, einem Nebenarm der Saale in Halle, die Leiche der bulgarischen Studentin Mariya N. gefunden wurde. Die 29-Jährige wurde beim Joggen überfallen, vergewaltigt und erwürgt - eines der schwersten Verbrechen in der Region seit Jahren. „Bisher wurden rund 3000 Personen überprüft, 1800 freiwillige Speichelproben ausgewertet“, sagt Polizeisprecherin Ulrike Diener. Dem Mörder ist man keinen erkennbaren Schritt näher. Nun soll Aktenzeichen XY helfen, am Mittwoch 20.15 Uhr wird der Fall gesendet.
Die „Neuwerk“-Fahnder setzen unter anderem auf die größere Reichweite der Sendung. „Halle ist Studentenstadt“, sagt Diener. Und vielleicht gebe es ja Studenten, die entscheidende Hinweise haben, aber inzwischen gar nicht mehr in Halle leben - mithin auch die Fahndungsaufrufe der Polizei in dem Fall nicht mitbekommen haben. Vielleicht erkennt jemand Mariyas Schlüssel, von dem bis heute jede Spur fehlt. Vielleicht hilft die Belohnung - 10000 Euro.
Immerhin: Die Sendung schauen heute im Durchschnitt rund fünf Millionen Zuschauer. Dabei war ihr Start alles andere als unumstritten. Als Journalist Zimmermann die Mörder und andere Verbrecher via TV quasi direkt ins Wohnzimmer der Zuschauer brachte, warfen Kritiker ihm vor, öffentlich zu Denunziantentum und Menschenjagd aufzufordern.
42 Prozent aller XY-Fälle können aufgeklärt werden
Die Aufregung hat sich gelegt - Aktenzeichen XY ungelöst zählt heute zu einer der erfolgreichsten TV-Sendungen im Zweiten - nach Angaben der Produktionsfirma Securitel wurde sie 2013 von einer Schweizer Medienagentur zu den 50 einflussreichsten Sendungen der Welt gezählt. 40 Jahre nach dem Start haben die Macher auch Bilanz gezogen: 42 Prozent aller XY-Fälle können aufgeklärt werden. Darunter waren in vier Jahrzehnten 445 von rund 1 200 ausgestrahlten Mordfällen. Insgesamt sind 3 727 Verbrechen behandelt worden.
Einer der schnellsten „Fänge“ ist nach Angaben der Agentur PressePartner Preiss, die die Sendung betreut, bereits in der ersten Sendung 1967 gelungen: Damals wurde „Bauernschreck“ Fritz F. gesucht, der Landwirte beim Verkauf von Melkmaschinen hereingelegt hat. Schon 14 Minuten nach der Sendung sei die Meldung über F.s Festnahme gelaufen.
Der Mord an der Studentin Mariya N. in Halle ist Bestandteil der mittlerweile 488. Folge von „Aktenzeichen XY ungelöst“. In mehr als vier Jahrzehnten hat es in der Sendung einige Aufsehen erregende Fälle gegeben. Dazu gehörte der Mord an vier Bundeswehrsoldaten. Eine Wahrsagerin gab nach der Sendung 1969 den entscheidenden Hinweis. 2011 wurde durch Aktenzeichen der Fall Lolita Brieger geklärt. Sie war 1982 spurlos verschwunden. Während der Sendung belastete ein Anrufer einen Bekannten, die Frau getötet zu haben. Ein Gericht wertete den Fall als mittlerweile verjährten Totschlag.
Die meisten Fälle wurden nach einer 2007 veröffentlichten Bilanz aus Nordrhein-Westfalen gesendet: 588. Schlusslicht war Mecklenburg-Vorpommern (12). Sachsen-Anhalt lag mit 23 Fällen auf Rang zwölf.
Eduard Zimmermann, gestorben 2009, war als Gründer der Sendung bis 1997 auch ihr Moderator. Dann übernahmen Tochter Sabine und Butz Peters. Seit 2002 moderiert der ehemalige Eiskunstläufer und heutige Sportreporter Rudi Cerne die Sendung
YX ungelöst sahen damals zwölf Millionen Zuschauer. Die höchste Quote der vergangenen 15 Jahre wurde mit 7,26 Millionen Zuschauern am 16. Oktober 2013 gemessen, als die Eltern der 2007 in Portugal spurlos verschwundenen Maddie McCann auftraten.
Das Erfolgsrezept der Sendung sieht XY-Redaktionsleiterin Ina-Maria Reize nicht nur in einem einmaligen Format, das inzwischen weltweit kopiert werde. „Kriminalität ist für viele Menschen aus unterschiedlichsten Gründen interessant und faszinierend“, sagt sie. „Die Sendung erfüllt zum einen das Bedürfnis nach Information, zum anderen unterhält sie mit spannenden, manchmal fast unglaublichen Geschichten.“ Dazu komme die Aufklärungsquote. Auf die hofft man jetzt auch in Halle. (mz)
