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21. Prozesstag in Magdeburg Liveticker Anschlag Halle (Saale): Terrorprozess in Magdeburg gegen Neonazi Stephan B. zum Attentat in Halle

18.11.2020, 16:38
Stephan B. filmte seine Taten und stellte sie per Livestream ins Netz. Auf der Plattform Telegram verbreiteten sich noch vor der Festnahme des Attentäters Videos und Bilder der Tat.
Stephan B. filmte seine Taten und stellte sie per Livestream ins Netz. Auf der Plattform Telegram verbreiteten sich noch vor der Festnahme des Attentäters Videos und Bilder der Tat. imago

Halle (Saale) - Es war einer der schlimmsten antisemitischen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte: Der rechtsterroristische Angriff von Halle am 9. Oktober 2019 machte weltweit Schlagzeilen.

Hier finden Sie die Live-Berichterstattung vom 21. Prozesstag gegen Stephan B. am 18. November in Magdeburg. Vom Prozess berichtet heute Jan Schumann.

18.11.2020: Tag 21 im Terrorprozess gegen Stephan B. um den Anschlag von Halle

16.38 Uhr: Bundesanwaltschaft fordert lebenslange Haft

Es ist amtlich: Die Bundesanwaltschaft fordert die Höchststrafe für Stephan B.: lebenslange Haft und Sicherungsverwahrung. „Die Motive, die ihn zur Tatausführung trieben, waren zutiefst menschenverachtend“, sagt Bundesanwalt Kai Lohse. Stephan B. habe zudem eine „bemerkenswerte emotionale Kälte“ im Prozess gezeigt. Stephan B. sei „vollumfänglich schuldfähig“, so Lohse.

Die Bundesanwaltschaft hält B. immer noch für gefährlich. Der Angeklagte sei ein „fanatischer, ideologisch-motivierter Einzeltäter“, empathielos und der keine Reue zeige. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich B. in Haft ändere – vielmehr werde er seinen „Kampf“ voraussichtlich fortsetzen wollen, so Lohse.

Damit ist der Prozesstag für heute beendet. Weiter geht es am 1. Dezember – ab diesem Termin werden dann die Nebenkläger und Stephan Bs. Verteidigung ihre Plädoyers halten können. Das letzte Wort wird der Angeklagte haben. Die Sitzung ist geschlossen.

15.51 Uhr: Sitzungsverlängerung für Plädoyer der Bundesanwaltschaft

Um das Plädoyer der Bundesanwaltschaft heute vollständig hören zu können, verlängert der Staatsschutzsenat die Sitzung über 16.30 Uhr hinaus, sagt Richterin Mertens jetzt.

Der Schlussvortrag läuft bereits seit drei Stunden. Damit geht es nun weiter. Die Bundesanwaltschaft listet die Mordversuche von Stephan B. auf: In der Anklage waren es 68 Fälle, neben den zwei dokumentierten Tötungen.

15.37 Uhr: Ausführliches Pläydoyer der Bundesanwaltschaft: Mehrfach Unterbrechungen für Lüftungspausen

Das ausführliche Plädoyer der Bundesanwaltschaft zieht sich, jedes relevante Detail der Tat wird beschrieben und rechtlich gewürdigt.

Der Schlussvortrag ist so lang, dass Richterin Mertens bereits mehrfach unterbrechen muss, um die corona-bedingt vorgeschriebenen Lüftungspausen im Gerichtssaal zu ermöglichen. Das Ende des Prozesstages ist für 16.30 Uhr angesetzt.  

14.55 Uhr: Bundesanwaltschaft: Auch Tötung von Polizisten war Ziel des Angeklagten

Die Bundesanwaltschaft hält es für eine „Schutzbehauptung“, dass der Angeklagten betont, er habe die Polizisten beim Feuergefecht auf der Ludwig-Wucherer-Straße nicht töten wollen. Das sei abwegig, heißt es im Plädoyer – denn die verwendete Schrotflinte sei zum Töten von Lebewesen konstruiert.

Zudem hätte sich Stephan B. der Polizei ergeben oder flüchten können, erklärt die Bundesanwaltschaft. Ein Gutachten hatte im laufenden Prozess belegt, dass die Schüsse aus B.s Schrotflinte durchaus tödliche Wucht hatten. Mit der gleichen Waffe hatte B. auf den getöteten Kevin Schwarze gefeuert.

Keinen Mordversuch sieht die Bundesanwaltschaft hingegen im Fall Ismet Tekin: Stephan B. habe Tekin während des Schusswechsels auf der Ludwig-Wucherer-Straße nicht wahrgenommen. Das gilt für die Bundesanwaltschaft auch durch das Tatvideo als belegt, „auch wenn es auf den Nebenkläger anders wirkte“. Vielmehr habe B. versucht, die Polizisten „auszuschalten“. Tekin ist mittlerweile Chef des Kiez Döner, sitzt als Nebenkläger im Prozess.

14.41 Uhr: Bundesanwaltschaft: Stephan B. war im „Kampfmodus“

Laut Bundesanwaltschaft versetzte sich Stephan B. während seiner Taten geradezu in einen „Kampfmodus“. Er habe auf alles schießen wollen, „was ihm vor die Flinte kam“, heißt es im Plädoyer.

Zwar sei der Kiez Döner am Tattag zufällig in den Fokus des Angeklagten geraten – gleichwohl habe das Anschlagsziel B.s bereits früher definierten Feindbilds entsprochen.

14.22 Uhr: Bundesanwaltschaft: Überlegung von Verteidigern „lebensfremd“

Stephan B.s Verteidiger hatten im Prozess die Überlegung in den Raum gestellt, dass B. womöglich gar nicht gewusst haben könnte, ob sich am Tattag tatsächlich Juden in der halleschen Synagoge befinden würden.

Wenn es so wäre, würde dies Zweifel an der hohen Anzahl von Mordversuchen zulassen. Die Bundesanwaltschaft hält diese Denkweise aber angesichts langer Planungen des Anschlags als „lebensfremd“, heißt es jetzt im Plädoyer.

14.10 Uhr: Bundesanwaltschaft: Stephan B. leide an „schwerer Persönlichkeitsstörung“

Birkenholz sagt: Der Angeklagte leide zwar an einer „schweren Persönlichkeitsstörung“ – diese habe aber keinen Einfluss auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten gehabt, so die Bundesanwaltschaft. Das heißt: B. habe sich jeder Zeit unter Kontrolle gehabt.

Das zurückgezogene Leben von Stephan B., sein Scheitern im Studium, die gesundheitlichen Probleme im Erwachsenenalter – all diese Aspekte sieht die Bundesanwaltschaft belegt, da sich die Aussagen des Angeklagten mit Darstellungen von Zeugen decken.

Zur Vorbereitung der Taten heißt es im Plädoyer: Es sei davon auszugehen, dass sich Stephan B. bereits vor dem rechtsextremen Anschlag von Christchurch im März 2019 mit einem möglichen Anschlag beschäftigt habe, so die Bundesanwaltschaft – die Bluttat von Christchurch, Neuseeland habe ihn wahrscheinlich aber zur Umsetzung bestärkt.

13.59 Uhr: Bundesanwaltschaft: Unfall auf Magdeburger Straße weiter kein Mordversuch

Birkenholz schildert weiter, was die Bundesanwaltschaft dem Angeklagten Stephan B. zur Last legt: Dass er auch am Kiez Döner auf Passanten zielte, dass er auf mehrere Polizisten schoss und gegen sie eine Rauchgranate einsetzen wollte.

Dann war B. über die Magdeburger Straße von den Tatorten geflüchtet, dort fuhr er einen Mann aus Somalia an – die Bundesanwaltschaft wertet dies weiterhin nicht als Mordversuch, da eine Tötungsabsicht in diesem Fall nicht nachweisbar sei. Teile der Nebenklage sehen das anders.

Auf seiner weiteren Flucht bedrohte B. weitere Personen, schoss auf zwei Menschen in Wiedersdorf, verletzte diese schwer.

13.45 Uhr: Bundesanwaltschaft: Nagelbombe sollte möglichst viele Menschen töten

Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft fasst in Worte, wie blutrünstig Stephan B. nach seinem Anschlagsversuch auf die Synagoge gegen den Kiez Döner vorging. Als der Angeklagte das Lokal auf seiner Fahrt durch Halle erblickt habe, stoppte B. sein Auto und warf sofort einen Sprengsatz.

„Er wollte mit der Nagelbombe bereits so viele Menschen wie möglich töten“, so Christoph Birkenholz für die Bundesanwaltschaft. Zu diesem Zeitpunkt habe Stephan B. nicht gewusst, wie viele Personen sich in dem Imbiss befanden. Dann eröffnete der Angeklagte das Feuer auf Lokalgäste, töte den 20-jährigen Kevin Schwarze „in Art einer Hinrichtung“, so Birkenholz.

Für überlebende Gäste sei der Anschlag traumatisierend gewesen, schildert die Bundesanwaltschaft. Zudem verletzten sich mehrere Personen bei ihrer Flucht vor den Schüssen.

13.35 Uhr: Bundesanwaltschaft: Kritik an Ermittlern entbehrt jeder Grundlage

Die Bundesanwaltschaft betont auch etwas zum Ablauf dieses besonderen Gerichtsverfahrens: Der angeklagte Rechtsextremist Stephan B. habe „keine Bühne“ für seine menschenverachtenden Ansichten und antisemitischen Verschwörungen bekommen. Und: Die teils laut gewordene Kritik an Ermittlern entbehre jeder Grundlage.

Es stimmt, Kritik gab es immer wieder: Vor allem Nebenklageanwälte hatten immer wieder das Bundeskriminalamt kritisiert, weil im Prozess gehörte Beamte nur lückenhaft auf viele Fragen antworten konnten. Teils hatten eingesetzte Ermittler sogar Wissenslücken im Tatablauf offenbart. Das führt bis heute zu Unverständnis.

13.20 Uhr: Plädoyer der Bundesanwaltschaft: Stephan B. folgt Schlussvortrag stoisch

Der Angeklagte Stephan B. folgt dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft regungslos. Indes schildern die Ankläger erneut die Details des Tatablaufs: Wie der Rechtsterrorist seine Videokamera anstellte, den Holocaust leugnete, auf die Synagogentür schoss und Brandsätze auf das gesicherte Grundstück warf.

Wie der damals 27-Jährige angesichts seines Scheiterns frustriert die Passantin Jana Lange erschoss. Wie er auf weitere Fußgänger vor der Gotteshaus zielte und abdrückte. Wie Ladehemmungen das Leben der Passanten retteten.

13.10 Uhr: Bundesanwaltschaft: Keine Hinweise, dass Stephan B. Hilfe bei Anschlagsplanung bekam

Die Bundesanwaltschaft ist auch überzeugt: Hätte Stephan B. nach dem geplanten Anschlag in Halle flüchten können, hätte er aus dem Untergrund heraus weitere Anschläge begehen wollen. So legt sie es in ihrem Plädoyer dar.

Aber: Es gibt laut Bundesanwaltschaft bis heute keinerlei Hinweise darauf, dass der angeklagte Terrorist bei seinen Anschlagsvorbereitungen Hilfe von weiteren Personen bekam.

13.03 Uhr: Bundesanwaltschaft zu B.s Bluttaten: „Wie in einem Videospiel“

Lohse benennt Stephan B.s antisemitische, rassistische und teils frauenfeindliche Motive. „Ist der Angeklagte als Einzeltäter anzusehen?“, fragt Bundesanwalt Lohse. Aus juristischer Sicht ist es so, schildert Lohse. Aber: Bewusst habe sich Stephan B. in Verbindung mit anderen Tätern gestellt. Er habe auch Nachahmer animieren wollen, so die Ankläger. „Wie in einem Videospiel“ habe B. so viele Opfer töten wollen wie möglich, sagt Lohse.

Zugleich sei im Prozess klar geworden, dass Stephan B.s eigene Existenz „von Misserfolg und Versagen geprägt“ gewesen sei. Die Bundesanwaltschaft sieht es als belegt an, dass sich B. von Migranten zurückgedrängt fühlte.

Zugleich habe er ein antisemitisches Weltbild entwickelt und spätestens seit dem vermehrten Flüchtlingszuzug 2015 seine Bewaffnung gestartet – mit einem Gewehr aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. Später fertigt er weitere Schusswaffen im Eigenbau an, auch mithilfe eines 3D-Druckers. Es folgten Sprengsätze, die er „sicherheitshalber“ erst im letzten Quartal vor dem Anschlag baute.

Ebenfalls bewiesen sieht die Bundesanwaltschaft, dass B. zunächst einen Anschlag auf eine muslimische Einrichtungen erwog. In seinem letztlichen Anschlagsziel, der halleschen Synagoge, habe B. so viele Juden wie möglich töten wollen.

12.50 Uhr: Schlussvorträge: Bundesanwaltschaft beginnt Plädoyer

Bundesanwalt Kai Lohse beginnt den Schlussvortrag. Er macht zunächst klar, welche Tragweite dieser Terrorprozess hat. Lohse sagt, der Gegenstand dieses Verfahrens „gleicht einem Alptraum“.

Der Anschlag von Halle sei ein Einschnitt für die Stadt, aber auch für das Land Sachsen-Anhalt. Die „widerwärtigen Taten“ des Angeklagten richteten sich gegen das jüdische Leben in Deutschland insgesamt, „aber auch gegen uns alle“, so Lohse.

Nachdem Stephan B. bei seinen bewaffneten Sturm auf die Synagoge in Halle gescheitert war, tötete er zwei Menschen im Stadtgebiet. Lohse sagt, der Angeklagte habe sich „blitzschnell“ für neue Opfer entschieden: Die erschossene Passantin Jana Lange habe der Angeklagte als „minderwertig empfunden“.

Der Bundesanwalt sagt mit Blick auf Betroffene und Angehörige: „Viele Opfer tragen bis heute schwer an den Taten.“ Gleichwohl sei es ein bleibender Eindruck dieses Terrorprozesses, dass dem Täter „eine andere, eine ermutigende“ Botschaft entgegengesetzt wurde.

11.58 Uhr: Beweisaufnahme geschlossen, es folgen Plädoyers

Damit sind alle Zeugen und Sachverständigen gehört, die Beweisaufnahme wird geschlossen. Es folgt das Plädoyer der Bundesanwaltschaft – vorher aber eine kurze Pause bis 12.35 Uhr.

11.54 Uhr: Senat entscheidet: Kein neues Neurologen-Gutachten

Weiter geht es mit wegweisenden Entscheidungen des Staatsschutzsenats: Es wird kein zusätzliches Neurologen-Gutachten geben, das den Attentäter Stephan B. untersuchen wird. Dessen Verteidiger hatten das beantragt. Er hatte argumentiert, dass Stephan B. während seiner Bluttat „rot gesehen“ habe – nicht sprichwörtlich, sondern tatsächlich.

Sein Verteidiger Hans-Dieter Weber hält bei dieser Rotfärbung des Sichtfelds ein konkretes Krankheitsbild für möglich – eine Migräne mit Aura – die Einfluss auf seine Hirnleistung gehabt haben könnte. Das wiederum könnte Einfluss auf die Schuldfähigkeit haben. Ein bereits vorgestelltes Psychiater-Gutachten des Experten Norbert Leygraf hatte den Aspekt des Rot-Sehens zunächst nicht weiter betrachtet und erörtert.

Der Angeklagte Stephan B. sitzt seit dem 21. Juli vor Gericht.
Der Angeklagte Stephan B. sitzt seit dem 21. Juli vor Gericht.
dpa-Zentralbild

Mertens lehnt ein neues Gutachten aber ab. Durch das bisherige Psychiater-Gutachten steht nach Überzeugung der Richter bereits fest, dass B. nicht an einer Migräne litt. So hatte es am Dienstag auch Leygraf in einer ergänzenden Stellungnahme dargestellt: Mit einer Migräne könne man unter anderem kein Auto mehr fahren. Stephan B. war nach seinen zwei Morden im Mietauto aus Halle geflüchtet.

11.34 Uhr: Rechtsextreme Terrorstrategie: „Einsamer Wolf“, aber kein Einzeltäter

Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann fragt zum bereits diskutierten Verschwörungsmythos „Großer Austausch“, auf dessen Grundlage Stephan B. seine Bluttaten beging. Gibt es auch deutsche Akteure, die den rechtsextremen Mythos weitertragen?

Natürlich, sagt Quent: Er nennt den AfD-Politiker Björn Höcke und die Identitäre Bewegung, aber auch das sogenannte Institut für Staatspolitik in Schnellroda (Saalekreis), einen ultrarechten Thinktank. Die Vorstellung eines „Großen Austauschs“ sei der ideologische Kitt dieser Gruppen, so Quent. Der Verfassungsschutz hat alle genannten Akteure auf dem Schirm.

War der Rechtsterrorist Stephan B. wirklich ein „Einsamer Wolf“, will Nebenklageanwältin Kristin Pietrzyk von Quent wissen. „Man darf nicht den Fehlschluss machen, dass sei eine isoliert Person“, sagt Quent. Stephan B. habe sich sehr wohl innerhalb eines rechtsextremen Netzwerks radikalisiert.

Der 34-jährige Quent merkt auch an, dass der Begriff des „einsamen Wolfs“ ursprünglich aus der US-amerikanisches Neonaziszene stamme, das ist „eine Art von Selbstdarstellung“. Dahinter steckte die Vorstellung einer speziellen Art des Terrorkampfs: Ein Täter, der verbunden mit dem Rudel ist, aber allein zuschlägt. „Bewusst isoliert“ seien diese Rechtsterroristen, um ihre umfassenden Netzwerke nicht zu gefährden, schildert Quent.

Zusammenfassend sagt der Soziologe: Eine Lehre internationaler Anschläge sei, dass die mediale Aufmerksamkeit eher auf Betroffene als auf die Täter fokussiert sein sollte. Es gelte, öffentlich „Empathie hervorzurufen“, statt eine Heroisierung der Extremisten in ihren Szenen zu befeuern, so Quent. Der Sachverständige wird entlassen, der Prozess geht in eine kurze Pause.

11.07 Uhr: Internetmemes als Propaganda: Vorbild bereits bei NSU-Terrorzelle

Der Nebenklageanwalt Jan Siebenhühner fragt Richtung Quent, ob es Forschung dazu gebe, wie Anschläge wie der in Halle verhindert werden können.

Quent sagt, entscheidend sei, dass Antisemitismus auf gesellschaftlicher Ebene „keinen Zuspruch“ bekomme und dass der Staat konsequent rechtsextreme Strukturen zerschlage. Zentral für ihn: Der Zugang zu Waffen müsse verhindert werden. Durch sie würden Gewaltfantasien von Rechtsextremisten erst in der Realität umgesetzt.

Es gibt weitere Fragen zur rechtsextremen Propaganda: Nebenklageanwälte fragen, welche Rolle rechtsextreme Internet-Memes bei der Verbreitung der Ideologie spielen. Eine erhebliche, bekräftigt Quent: „Sie senken die Zugangsbarriere“ zu rechtsextremen Inhalten, sagt er.

Auf scheinbar witzige und zynische Art vermitteln mannigfaltige Videos, Musik und Bilddarstellungen im Netz extremistisches Gedankengut. „Das ist aber kein ausschließliches Internetphänomen“, betont der Soziologe. Schon die NSU-Terrorzelle habe so gearbeitet, in dem sei ihr zynisches Bekennervideo zu ihrer Mordserie mit Filmsequenzen von Paulchen Panther versah.

11.04 Uhr: Quent: Ideologie-Transfer häufig in der Familie

Quent sagt, dass ein „Ideologie-Transfer“ von Rechtsextremen häufig innerhalb der Familie stattfinde. Sofort fragen Nebenklageanwälte nun zur Familie des Attentäters: Stephan B.s Mutter hatte sich direkt nach dem Anschlag gesagt, ihr Sohn habe zwar nichts gegen Juden – aber sehr wohl etwas gegen Menschen, die hinter der Finanzmacht stehen.

Zudem hatte sie einen Abschiedsbrief mit durchgestrichenen Davidsternen versehen. Quent sagt: „Ich halte es für extrem wahrscheinlich, dass er Angeklagte antisemitische Einstellungen von seiner Mutter übernommen hat.“ Es sei „gut möglich“, dass sich die Mutter privat „noch radikaler“ geäußert habe.

Quent sagt zudem mit Blick auf den Halle-Attentäter: Obwohl der Angeklagte mit seinem Anschlagsplan gescheitert war, habe die Tat fatale Wirkung entfaltet. Die drohende Botschaft für Feindgruppen bleibe unabhängig von der Opferzahl gleich, sagt Quent. Und obwohl es in der rechtsextremen Szene viel Spott für B. gab („Loser“), sagt Quent: Stephan B. bekomme von Teilen der Szene auch „Anerkennung“, dass er kein Maulheld sei, sondern zur Tat schreite.

10.38 Uhr: Soziologe warnt: Attentäter beziehen sich aufeinander

„Natürlich“ habe Stephan B. mit seiner Tat und dem Livevideo andere rechtsextreme Attentäter mobilisieren wollen, sagt Quent. Der Angeklagte hatte dies auch selbst eingeräumt. Lege man die Nazi-Manifeste der Christchurch- und Halle-Attentäter nebeneinander, gebe es dort starke Ähnlichkeiten, legt der Soziologe dar.

Dass die Mobilisierung weiter funktioniert, legen aktuelle Fälle nahe: In neueren Terrorverdachtsfällen gibt es mittlerweile auch Bezüge auf den Halle-Attentäter. Bei einem Mitglied der mutmaßlich rechtsextreme „Gruppe S.“ fanden Ermittler Teile des Tatvideos von Halle. Die „Gruppe S.“ plante laut Ermittlern Anschläge und wollte bürgerkriegsähnliche Zustände in Deutschland herbeiführen.

10.30 Uhr: Quent: Internationale Anschläge sind untrennbar miteinander verbunden

Quent sieht den Halle-Attentäter Stephan B. in einer Reihe internationaler, rechtsextremer Phänomene vergangener Jahrzehnte. Er zieht eine Traditionslinie vom rechtsextremen Terror des NSU in Deutschland über den norwegischen Massenmörder Anders Breivik bis hin zum Christchurch-Attentäter, der in Neuseeland 51 Menschen tötete.

Sie alle eine sie der Wahn, „dass die eigene Gruppe zum Opfer gemacht werde und dass man sich deshalb massiv wehren müsse“. Ausdruck finde dies unter anderem im Manifest des Christchurch-Attentäters: „Der Große Austausch“.

Es enthält den Verschwörungsmythos, dass Regierungen Migranten ins Land holen, um das eigene Volk auszutauschen. Der Halle-Attentäter Stephan B. habe sich konkret auf den Christchurch-Attentäter bezogen, so Quent. Er glaubt bis heute an eine jüdische Verschwörung, „Man kann man diese Narrative nicht voneinander trennen“, sagt Quent. So sei es nur logisch, dass sich B. in seinem Tatvideo in englischer Sprache an ein internationales, rechtsextremes Publikum gewendet habe. Es diene der Mobilisierung.

10.20 Uhr: Gericht will Extremismusexperten Quent hören

Der Staatsschutzsenat um Richterin Ursula Mertens entscheidet: Der Extremismusexperte Matthias Quent soll als Sachverständiger aussagen. Die Nebenklage erhofft sich tiefere Einblicke in Ideologie und Denkweisen von Attentätern.

Die Beamten des Bundeskriminalamts hätten das im Zeugenstand bisher nicht geleistet, kritisiert der Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann gerade noch einmal: Den bisher gehörten BKA-Beamten fehlten schlicht die Vorerkenntnisse, so Hoffmann. Quent nimmt im Zeugenstand Platz.

9.41 Uhr: Will das Gericht einen Sachverständigen zu Extremismus hören?

Bevor die Beweisaufnahme geschlossen wird, liegt aber noch Arbeit vor dem Staatsschutzsenat um Richterin Ursula Mertens. Unter anderem liegen Anträge von Teilen der Nebenklage vor, den renommierten Extremismusexperten Matthias Quent zu hören.

Er soll zeigen, wie sich Attentäter international gegenseitig anstacheln – dieser Aspekt sei im Verfahren bisher unterbelichtet, argumentieren die Nebenkläger. Das Gericht wird gleich entscheiden, ob Quent gehört wird.

Zudem fordern die Verteidiger des Angeklagten Stephan B. ein zusätzliches neurologisches Gutachten. Ihnen reicht das bisherige Gutachten zum Angeklagten, das der Psychiater Norbert Leygraf angefertigt hatte, nicht aus. Es sei „möglicherweise fehlerhaft oder unvollständig“, hatte Verteidiger Hans-Dieter Weber kritisiert. Denn das bisherige Gutachten würdige nicht, dass B. während seiner Bluttat nach eigenen Angaben „rot gesehen“ habe – nicht sprichwörtlich, sondern tatsächlich.

Diese Färbung des Sichtfelds könne auf eine Migräne mit Aura hindeuten, so Weber. Dies könne B.s Hirnleistung beeinträchtigt haben, das wiederum könnte Einfluss auf die Schuldfähig haben. Auch über diesen Antrag wird das Gericht gleich entscheiden. Die Sitzung ist eröffnet.

9.31 Uhr: Beweisaufnahme könnte geschlossen werden

Am Mittwoch, 18. November 2020, ist der Tag, an dem die Beweisaufnahme geschlossen werden könnte: Nach 20 Prozesstagen zieht der Staatsschutzsenat im Verfahren gegen den Rechtsterroristen Stephan B. heute womöglich einen ersten Schlussstrich.

Voraussetzung dafür: Weder Verteidigung noch Nebenkläger wollen weitere Zeugen hören. Dann könnten die Plädoyers beginnen – sowohl Bundesanwaltschaft als auch Nebenklage und Verteidigung halten dann ihre Schlussvorträge. Die Plädoyers werden aufgrund der hohen Zahl der Nebenkläger voraussichtlich mehrere Prozesstage in Anspruch nehmen.

Vorab: Darum geht es am 21. Tag der Verhandlung

Der Prozess zum rechtsextremen Anschlag von Halle neigt sich dem Ende zu. Am Mittwoch könnte das Gericht die Beweisaufnahme schließen. Dann könnten die Plädoyers von Anklage und Verteidigung beginnen. Anschließend würde das Urteil gesprochen. Vorsorglich sind derzeit noch sieben Prozesstermine bis zum Jahresende reserviert.

Die MZ berichtet wie immer im Liveticker vom Prozess.

Rückblick auf den Prozess

1. Prozesstag: Stephan B. schildert Taten mit unverholener Freude

2. Prozesstag: Terrorist Stephan B. spricht über Spenden und Verschwörungsmythen

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4. Prozesstag: Zeugen geben Einblicke ins Familienleben von Stephan B.

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7. Prozesstag: Was trieb Stephan B. online - und was fanden die Ermittler?

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9. Prozesstag: Überlebende aus der Synagoge kritisieren Arbeit der Polizei

10. Prozesstag: Noch einmal sprechen die Überlebenden aus der Synagoge

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12. Prozesstag: Emotionale Aussage des Vaters von Kevin S. rührt den Gerichtssaal

13. Prozesstag: Polizisten schildern Schusswechsel auf der LuWu

14. Prozesstag: Stephan B.s Flucht aus Halle - fuhr er Somali absichtlich an?

15. Prozesstag: Opfer aus Wiedersdorf schildern Begegnung mit Halle-Attentäter

16. Prozesstag: Polizisten berichten über Flucht und Festnahme von Stephan B.

17. Prozesstag: Psychologe: Stephan B. wäre eine Hinrichtung lieber

18. Prozesstag: Angeklagter Stephan B. hält Psycho-Gutachten für „politisch motiviert“

19. Prozesstag: Tat-Video von B. löst Erdbeben in Online-Foren aus

20. Prozesstag: Weitere Terrorverdächtige speicherten Tatvideo aus Halle

21. Prozesstag: Bundesanwaltschaft fordert Höchststrafe

22. Prozesstag: Anwälte der Nebenklage halten Plädoyers

23. Prozesstag: Weitere Nebenklage-Anwälte halten Plädoyers

24. Prozesstag: Nebenkläger „macht sich für Kevins Tod verantwortlich“

25. Prozesstag: Drei Minuten Hass - Stephan B. leugnet in seinem letzten Wort den Holocaust

26. Prozesstag: Das Urteil

(mz/dpa)