Fünf Jahre nach Anschlag in Halle Jugendliche fragen: Wo warst Du am 9. Oktober?
Im Projekt „Tagebuch der Gefühle“ haben junge Leute aus Anlass des fünften Jahrestages des Anschlags in Halle über 1.000 Stimmen gesammelt. Ziel ist es, die Erinnerung wachzuhalten.
Halle (Saale)/MZ. - Es ist eine Frage, die die allermeisten Einwohner der Saalestadt auch noch nach Jahren fast minutiös beantworten können: Wo warst Du am 9. Oktober 2019? Mehr als 1.000 Menschen haben diese Frage, gestellt von jungen engagierten Hallensern, ausführlich beantwortet.
Anschlag in Halle: Wo warst Du am 9. Oktober?
Wo warst Du? Das wollten die Mitglieder der Projektgruppe „Tagebuch der Gefühle“ aus Anlass des fünften Jahrestages des rechtsterroristischen, antisemitischen, rassistischen und frauenfeindlichen Anschlags im Jahr 2019 auf die Synagoge Halle und des Mordes an zwei jungen Menschen – Jana und Kevin – wissen.
„Wir haben vor eineinhalb Jahren mit Blick auf den Jahrestag begonnen, Stimmen dazu zu sammeln“, sagt Paul Fiedler, der an der halleschen Uni studiert und zum aktiven Kern der Projektgruppe „Tagebuch der Gefühle“ zählt.
An Schulen und auf kleinen und größeren Festen, Märkten und anderen Veranstaltungen richteten Paul Fiedler und seine Mitstreiter, darunter Lara Czoske, Andrew Frickmann und Nico Schuchardt, die Frage nach dem 9. Oktober 2019 an ihre jeweiligen Gegenüber.
Ausgangspunkt der Frage war, dass die Projektteilnehmer in vielen Gesprächen merkten, dass sich die Menschen in Halle sehr genau daran erinnern können, wo sie zum Zeitpunkt des Anschlags waren und was sie an diesem Tag gemacht haben. Die Gruppe beschloss daher, Gedanken und Gefühle der Stadtbevölkerung von Halle zu sammeln.
MZ-Serie: Fünf Jahre nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle
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Mehr als 1.000 Menschen haben geantwortet – die meisten handschriftlich, einige auch als Audiodatei. Ein Teil der Antworten wird nun aus aktuellem Anlass in einer emotional berührenden Ausstellung an mehreren Standorten in der Stadt gezeigt. „Es ging und geht uns mit diesem Projekt darum, eine etwas andere Form des Erinnerns zu etablieren, abseits von offiziellen Gedenkveranstaltungen“, erklärt Fiedler.
Anschlag in Halle: Ausstellung an mehreren Standorten
Die Projektteilnehmer – Studierende, FSJler und Jugendliche, die bei der Stiftung Bildung und Handwerk (SBH) ihren Schulabschluss nachholen – wollen mit der Ausstellung die Stadtgesellschaft einbeziehen, jeden ansprechen, zum Nachdenken anregen.
„Die gesammelten Stimmen stammen aus ganz Halle, weswegen wir sie auch möglichst allen zugänglich machen wollen“, so Paul Fiedler. Dabei haben die Teilnehmer die Erfahrung gemacht, dass es, so Fiedler, „einen großen Redebedarf gibt“.
Gestaltet wurde die Ausstellung, die an elf Standorten sowie in der Volkshochschule Halle zu sehen ist, in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung und anderen Partnern. Die Projektteilnehmer haben zudem mit Preisgeldern – unter anderem wurde das Projekt „Tagebuch der Gefühle“ 2021 mit dem Margot-Friedländer-Preis geehrt – die umfangreiche Ausstellung finanziert.
Nachzulesen sind die Stimmen unter anderem am Klinikum Bergmannstrost, am Gesundheitszentrum Silberhöhe, am Landesmuseum für Vorgeschichte und der Marktkirche, an der Neustädter Passage 13, an der Poliklinik Reil und am Quartiersmanagement Halle-Nord, ab 8. Oktober im Ratshof und in der Gemeinde St. Briccius.
Zudem lädt vom 5. bis 9. Oktober die multimediale und interaktive Hauptausstellung in der Volkshochschule ein, weitere Stimmen zu lesen und zu hören.
Fünf Jahre nach Anschlag in Halle: Hauptausstellung in der Volkshochschule
Dort gibt es auch Podcasts, die in Zusammenarbeit mit seh- und lernbehinderten Schülern des LBZ „Hermann von Helmholtz“ entstanden sind. Die Podcasts wurden während einer gemeinsamen Gedenkstättenfahrt in das Konzentrationslager Auschwitz aufgenommen.
Ergänzt wird die Ausstellung in der Volkshochschule am Samstag, 5. Oktober, von 10 bis 14 Uhr, durch ein Ständecafé, gestaltet von Hallianz für Vielfalt, Halle gegen Rechts, dem Verein Miteinander, dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und weiteren Initiativen.
Das Projekt, betont Paul Fiedler stellvertretend für alle Teilnehmer, wolle nicht nur Vergangenes in den Fokus nehmen, sondern auch die Frage diskutieren, „wie wir in Zukunft als Gesellschaft zusammen leben wollen“.