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Heimliche Hallenser Heimliche Hallenser: Wie Goethe Halles Kulturszene stärkte

Von Detlef Färber 23.06.2019, 09:00
Goethe und der Lorbeerkranz: Blick auf das Klassikerdenkmal vor dem Nationaltheater in Weimar.
Goethe und der Lorbeerkranz: Blick auf das Klassikerdenkmal vor dem Nationaltheater in Weimar. Dpa

Halle (Saale) - Die Zahl der wirklich berühmten Hallenser könnte gelinde gesagt etwas größer sein. Doch wer oder was genau sind Hallenser? Die hier Geborenen und Aufgewachsenen wie Händel oder Genscher? Oder auch Leute, die ihre wesentlichen Leistungen hier erbracht haben und nun in hallescher Erde ruhen wie August Hermann Francke, Christian Wolff oder das Mathematik-Genie Georg Cantor: Sie und etliche weit über die Stadt und über ihre Zeit hinaus bedeutsame Köpfe und Gestalten auf alle Fälle!

Doch gibt es darüber hinaus noch viele Berühmte mehr, deren Namen sich eher mit anderen Städten verbinden und die nur kurz mit und in Halle zu tun hatten, die von der Stadt aber mit geprägt sind und die ihrerseits Halle mit zu prägen halfen.

Goethes Halle-Prolog bedeutend für erstes festes Theatergebäude

Ein vielerorts in Deutschland zu findendes witzig-verschämtes Schild wie „Hier war Goethe nie“ ließe sich in Alt-Halle nur schwer platzieren. Denn nicht zuletzt der Dichterfürst (1749-1832), der oft auch weiterhin für den bedeutendsten Deutschen gehalten wird, gehört zu den heimlichen Hallensern. Wobei er aus seiner Zuneigung für Halle nie ein Hehl gemacht hat - wovon vor allem ein Text zeugt, den der berühmte Thüringer und gebürtige Hesse eigens für Halle verfasst hat.

Die Rede ist von dem „Prolog für Halle“ genannten Begrüßungstext anlässlich der Eröffnung von Halles erstem festen Theatergebäude an jener Stelle, wo inzwischen das Löwengebäude genannte Haupthaus der halleschen Uni steht. Vorausgegangen war dem ein langjähriger Theaterkrieg mit diversen Theaterverboten, die noch von Vater Francke und seinen Nachfolgern initiiert waren, und vorausgegangen war Goethes eigenes Engagement im nahen Lauchstädt, in dem von ihm geleiteten und 1802 gebauten Theater, das heute Goethes Namen trägt.

Goethe schrieb ersten Teil von „Faust" bei Reil in der Kur

Am 6. August 1811 eröffnete er dann das hallesche Theater in der dafür umgebauten einstigen Kapelle des Barfüßerklosters - mit besagtem Prolog, der mit den schönen Worten „Und manches Übel flüchtet vor der Heiterkeit“ die Vorgeschichte souverän-ironisch für beendet erklärt. Bauherr und Initiator dieses Theaters war übrigens der berühmte hallesche Arzt Johann Christian Reil (1759-1813). Und er war es wohl auch, dem Halle die Ehre eines Goethe-Prologs fürs eigene Theater zu verdanken hat.

Denn Reil hatte Goethe Jahre zuvor behandelt, ihm - wenn vielleicht auch nicht, wie dem Märchensammler Wilhelm Grimm - das Leben gerettet, so ihn doch fitgemacht für das noch vor ihm liegende große Werk - denn: Als Goethe bei Reil in Halle in der Kur war, hatte er den ersten Teil des „Faust“ gerade fertig - das Buch war noch nicht gedruckt.

Goethe un Johann Friedrich Reichardt in Halle

Und wer weiß, ob es zu der gewaltigen Vollendung des Goethe-Werks mit „Faust II“ hätte kommen können ohne die Heilkünste von Reil, auf die Goethe in seinem „Prolog für Halle“ mehrfach so deutlich wie dankbar Bezug nimmt. Zitat: „Denn für den Guten bleibt es wohl das höchste Fest, / wenn alte Schulden zu entrichten ihm gelingt, / und wenn ihm dankbar sich zu zeigen endlich glückt ...“. Und mit dem seither sprichwörtlichen (auch aus dem Halle-Prolog stammenden) Satz „Ist nicht Gesundheit allen uns das höchste Gut? ...“ kratzte sich Goethe dann wohl endgültig bei seinem Doktor Reil ein.

Doch natürlich war die Gesundheit und deren Aufrechterhaltung nicht Goethes alleiniges Halle-Anliegen. Eine andere wichtige hallesche Bezugsperson für den Dichterfürsten hieß Johann Friedrich Reichardt (1752), der seinerzeit sehr bekannte Komponist und Schriftsteller, der in seinem seither „Reichardts Garten“ genannten Refugium ein offenes, von schönen Töchtern bereichertes Haus führte, das für viele der hiesigen Studenten einen ersten und wohl sehnsuchtsvollen Blick in die Welt der aktuell Bedeutsamen gestattete.

Schillers Halle-Schmähung 

Und so ziert auch Goethes Name die Gästeliste der Berühmten in Reichardts „Giebichensteiner Dichterparadies“ - auch „Herberge der deutschen Romantik“ genannt. Was dann auch dazu führte, dass Goethe seinem späteren Weimarer Denkmal-Kollegen und Lorbeerkranz-Rivalen Friedrich Schiller (1759-1805) Halle wärmstens ans Herz legte: „Versäumen Sie ja nicht, sich in Halle umzusehen!“

Von einer Antwort Schillers an Goethe ist nichts bekannt, dafür aber eine Schmähung Halles in Briefen Schillers an seine Frau. Kostprobe: „Halle gefällt mir nicht, in Gesellschaft hörte ich nichts als Anecdoten.“ Auch, dass „der Champagner hier mit sündlicher Verschwendung getrunken“ worden sei, missfiel dem sich hier deplatziert fühlenden Klassiker Schiller wohl außerordentlich. Womit zugleich klar ist, dass der Halle-Besucher Friedrich Schiller nicht zu den heimlichen Hallensern gezählt werden kann. (mz)