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Halle Halle: Teste dein Protestpotential!

Von PETER GODAZGAR 10.05.2011, 16:47
Roman Timm nimmt Maß. Und das Ei (Mitte links) macht sich auf den Weg. (FOTO: MZ)
Roman Timm nimmt Maß. Und das Ei (Mitte links) macht sich auf den Weg. (FOTO: MZ) CARDO

Halle (Saale)/MZ. - Das Wichtigste gleich vorneweg: Nein, auf Halles Marktplatz wurde am Dienstag nicht mit Lebensmitteln gespielt! Denn, ja, die Eier, die dort am Dienstag auf kreisrunde Pappscheiben geworfen wurden - sie waren sämtlich und ausnahmslos zuvor ausgeblasen worden. Naheliegender Nebeneffekt: Bei Simone Schicke gab es im Vorfeld der Kunstaktion "Der Eierwurf zu Halle" ziemlich oft Rührei zu essen. Bei ihren Verwandten auch. Und bei ihren Freunden ebenfalls.

Rund 200 Eier hatte die 38-Jährige am Dienstag vor den Ratshof getragen. Außerdem Partyzelte, ein paar Klappstühle, Tische - und ganz viel Folie. Mit der schrägen Aktion erinnerte die Künstlerin an einen längst legendären Zwischenfall, der sich vor exakt 20 Jahren während des Besuchs von Helmut Kohl in der Saalestadt ereignete: Aus der Menschenmenge heraus flogen mehrere Eier dem damaligen Bundeskanzler entgegen. Und trafen.

Und der Kanzler? Er rastete aus, stürmte den Eierwerfern wütend entgegen und versuchte sie am Schlafittchen zu packen. Es gab tolle Bilder und ebensolche Schlagzeilen.

Eignet sich so ein Ereignis für eine Kunstaktion? Aber ja, ganz unbedingt, findet Simone Schicke. "Der Eierwurf gehört zu Halle" und: "Der Eierwurf ist was Besonderes." Warum? Die Stadt habe damals bundesweite Aufmerksamkeit erlangt. Die Stimmung im Osten war explosiv, weil die Landschaften entgegen Kohls Versprechen partout nicht blühen wollten.

Ob es eine positive oder eine negative Aufmerksamkeit gewesen ist, das will die Künstlerin übrigens gar nicht werten. Darum hat sie auch ganz bewusst keine Pappblätter mit Kohl-Antlitz angefertigt, sondern die Zielscheiben (Durchmesser: ein Meter) blütenweiß gelassen. "Jeder soll seine eigenen Erinnerungen ausgraben", sagt Simone Schicke.

Das taten die Hallenser am Dienstag. Der Eierwurf zu Halle, er hat sich offenbar tatsächlich eingegraben ins kollektive Gedächtnis der Einheimischen. Und so griffen die Passanten gerne in die Eierkartons, um ihr "Protestpotential" zu testen: Wahlweise aus zwei, vier oder sechs Metern konnte, wer wollte, Maß nehmen. Und es stellte sich heraus: gar nicht so einfach, die rotierende Scheibe zu treffen.

Wer nun aber vermutete, zumindest die älteren Semester könnten der Sache skeptisch gegenüber stehen, der war auf dem Holzweg. "Ist doch lustig", meinte eine ältere Dame, auch wenn sie selbst sich nicht auf einen Wurf einlassen wollte.

Ziemlich treffsicher zeigte sich derweil Rolf Scharf. Der 67-Jährige platzierte sein mit wasserlöslicher Farbe gefülltes Ei recht zentral auf der Scheibe. An den Eklat vor 20 Jahren kann er sich gut erinnern. "Ich konnte beide Seiten verstehen", sagt er. Ein bisschen Schadenfreude habe er durchaus empfunden - gleichzeitig habe ihm Kohls emotionale Reaktion ebenfalls durchaus imponiert.

Roman Timm war damals 16 Jahre alt. Was ihn mit allen anderen Farbei-Werfern einte: Ein Wurf mit einem echten Ei auf eine lebende Person als Ausdruck des Protests käme keinesfalls in Frage.

Am Ende war Simone Schicke mehr als zufrieden. Die Aktion musste sie eine halbe Stunde früher als geplant abbrechen - einfach, weil kein Wurfmaterial mehr da war. Ihr Fazit: "Toll, wie aufgeschlossen die Hallenser sind."

Aber auch das ist klar: Rühreier wird es auf dem Speiseplan der Familie Schicke für eine Weile nicht mehr geben.

Die Ergebnisse der Kunstaktion sind von Donnerstag bis zum 26. Mai in der Leipziger Straße 33 zu sehen. Die Schau ist geöffnet: dienstags bis donnerstags von 12 bis 17 Uhr, samstags von 14 bis 17 Uhr.