Halle Halle: Rotarmist mit Friedensliebe
Halle (Saale)/MZ/SZÖ. - Er wurde 92 Jahre alt. Am Dienstag, so teilte die Familie mit, fand die Trauerfeier auf dem Friedhof Wagankowo in Moskau statt.
Noch im Mai hatte Gall - wie fast jedes Jahr - Halle besucht. Denn die Stadt war ihm bereits vor dem Krieg ans Herz gewachsen: "Andere Kinder in meiner Klasse träumten von der Südsee, ich träumte von Halle", er zählte der studierte Germanist nicht ohne ein Augenzwinkern gerne bei seinen Lesungen. Denn die Verbindung zur Saalestadt sah er schon in seinem Nachnamen - Gall bedeute so viele wie Halle, betonte er.
1919 in Charkow (Ukraine) als Sohn einer jüdisch-russischen Familie geboren, zog Wladimir Gall später mit seinen Eltern nach Moskau. Dort studierte er deutsche Sprache und Literatur, Geschichte und Philosophie und meldete sich im Juli 1941 nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion freiwillig zur Roten Armee. Wegen seiner Sprachkenntnisse kam er in eine Spezialeinheit, die deutsche Soldaten von einer Kapitulation überzeugen sollte.
Nach dem Kriegsende wurde er zum Kulturoffizier und persönlichen Berater des Chefs der sowjetischen Militäradministration ernannt. Als wichtigste Aufgabe sah er die Befreiung vom Faschismus an: "Die Menschen müssen im Sinne der Friedensliebe umerzogen werden", wurde Gall nicht müde zu betonen.
Seine Biographie hat der Mann, der sich immer wieder für Zeitzeugengespräche in ganz Deutschland zur Verfügung gestellt hat, 1988 unter dem Titel "Mein Weg nach Halle" aufgeschrieben. Das Buch wurde in der DDR veröffentlicht - freilich zensiert.
Denn beispielsweise eine Passage, in der Wladimir Gall als Zeuge über einen seltsamen Auftritt von Stalins Sohn Wassili Jossifowitsch 1946 im halleschen Zoo erzählte, gefiel der SED nicht: Er soll von dem vor Angst stotternden Direktor die Herausgabe eines australischen Dingos gefordert haben - doch der Zoo besaß ein solches Tier überhaupt nicht. Unter dem Titel "Moskau - Spandau - Halle" gab der Schkeuditzer Verlag GNN seine Memoiren im Jahr 2000 neu heraus. FOTO: GÜNTER BAUER