Halle Halle: Farbexplosionen im 18. Stock
Halle (Saale)/MZ. - Der Aufzug schnurrt ruhig nach oben, die Zahlen werden immer größer: 12. Etage, 14. Etage, 16. Etage, Stopp in der 18. Etage. Fast unter dem Dach des Hochhauses am Neustädter Tulpenbrunnen wohnt Hubert Wittmann - und hat dort das wahrscheinlich höchstgelegenste Atelier von Halle. Der 87-jährige Maler, der vor fünf Jahren aus dem beschaulichen Saalkreisort Schochwitz in die Saalestadt gezogen ist, fühlt sich pudelwohl in seiner neuen Umgebung: "Von hier aus kann man herrliche Sonnenuntergänge sehen, die haben eine tolle Farbigkeit. Wenn man das so malen würde, das würde einem keiner abnehmen."
Bis nach Schkopau, ja bis fast an den Harzrand kann Wittmann von seinen zwei Balkonen sehen. Und freilich auch bis zum Marktplatz mit seiner malerischen Silhouette. Doch das alles ist nicht die Inspiration für die aktuellen Bilder des gebürtigen Bayern, den es nach dem Zweiten Weltkrieg eher zufällig nach Halle verschlagen hatte. Er studierte als Meisterschüler von Charles Crodel an der Burg Giebichenstein und war bis 1986 Dozent an der Kunsthochschule.
Inspirationen für seine Halle-Bilder, die vor wunderbarer Farbigkeit geradezu explodieren, ist vielmehr der Park zwischen Neustadt und Heide-Süd. Waren neben ab-strakten Bildern in den letzten Jahren auch immer wieder Schochwitzer Landschaften unter dem Pinsel des Künstlers entstanden, so sind es heute Herbstbäume, winterliche Teiche oder das Frühlingserwachen im Park bei Neustadt. Rosa, Grün, Gelb, Orange, Blau, Ocker oder Lila ergänzen sich zu eindrücklichen Kompositionen, die keineswegs Eins-zu-Eins-Abbildungen der Landschaften sind: "Ich male alles aus dem Gedächtnis." Inspiration Nummer zwei ist das Straßenbahn-Fahren in Halle: Frauen- oder Kindergesichter, die Wittmann dabei im Gedächtnis bleiben, verwandelt er mit gradlinigem Strich zu Porträts. Freilich auch aus der Erinnerung, ohne Skizze oder gar Foto.
Musste Hubert Wittmann zusammen mit seiner Ehefrau Verena - sie ist Textilkünstlerin - 2005 aus gesundheitlichen Gründen Haus und Garten in Schochwitz aufgeben, so war damit auch der Abschied aus dem großen Atelier in einer Scheune auf dem Grundstück angesagt. Nun arbeitet der 87-Jährige in einem kleinen Raum der Wohnung, der dafür aber einen sagenhaften Blick über Halle bietet.
"Früher habe ich immer im Stehen gearbeitet und war stets im Bewegung beim Malen. Das geht jetzt nicht mehr", bedauert Wittmann. Dafür sind nun die verschiedenen Staffeleien, die in einem Regal sorgsam sortierten Farben, die Pinsel und Leinwände immer in greifbarer Nähe.
Und auch die zahllosen Bilder, die in den letzten Jahren wieder entstanden sind und sich in Mappen oder angelehnt an die Wände stapeln. Obwohl Wittmann abwiegelt: "Ich male weniger als früher. Alles geht langsamer." Nicht jeden Tag sitzt er an der Staffelei - und dann wieder entsteht in kurzer Zeit ein ganzer Schwung Ölgemälde oder Aquarelle. Mangel an Motiven kann Wittmann nun wirklich nicht beklagen: "Auf den Spaziergängen mit meiner Frau speichere ich die Bilder. Irgendwann hole ich sie hervor." Ein Zugeständnis muss er jedoch leider seinem Gesundheitszustand machen: Eine Ausstellung hat der 87-Jährige zumindest in nächster Zeit nicht mehr geplant.