1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Halle: Halle: Das Zaungast-Paradies

Halle Halle: Das Zaungast-Paradies

Von Michael falgowski 02.03.2012, 20:23

Halle (Saale)/MZ. - Sandhaufen, totes Holz, Schotter, Gras, Dreck - so sieht das Paradies für Zauneidechsen aus. Auf dem von Gras überwucherten Gleisgewirr des Güterbahnhofs schaffen Bagger gerade ein solches Paradies, durch Zaun und Blenden aus Blech geschützt. Im Schatten der Berliner Brücke richtet die Bahn einen 10 000 Quadratmeter großen Rückzugsraum für die streng geschützte Zauneidechse her. Bagger wühlen auf diesem Areal gerade insgesamt 1 100 Meter rostiges Gleis aus dem Boden, ein Stellwerk wird abgerissen.

200 000 Euro für die Eidechsen

Mit diesem Asyl für vermutet einige hundert Eidechsen beginnt praktisch die Modernisierung der "Zugbildungsanlage (ZBA) Halle-Nord". Für 120 Millionen Euro entsteht der zentrale Güterbahnhof für ganz Mitteldeutschland, die modernste ZBA Europas. In fünf Jahren sollen in dieser Drehscheibe bis zu 2 500 Güterwaggons zu neuen Zügen zusammengestellt werden - täglich. Vor dem Baustart am 1. Oktober werden aber zunächst Zauneidechsen eingesammelt. Das ungewöhnliche Naturschutzprojekt muss vorher über die Bühne gehen, denn wenn der alte Rangierbahnhof erneuert wird, bleiben kein altes Gleis, keine Schwelle oder Weiche unberührt. Dann könnte es für die Zauneidechse eng werden, die vor einer Baggerschaufel nicht flieht, sondern sich - vergeblich - zu verkriechen sucht.

Von der streng geschützten Lacerta agilis gibt es auf dem verlassenen, von Gras überwucherten Gewirr der halleschen Gütergleise indes viele. "Eidechsen lieben Rangierbahnhöfe: Sie sitzen auf dem warmen Schotter, finden Futter im Gras, und im Gegensatz zu ihren Feinden lassen sie sich auch nicht durch Züge stören", sagt Kurt Wolfert aus Hannover. Er plant bei der DB-Projektbau Rangierbahnhöfe und somit auch das hallesche Naturschutz-Areal. "Eidechsen sind neugierige Tiere. Das machen wir uns zunutze: Im April, wenn es wärmer ist, werden Eimer eingegraben, in die die Eidechsen fallen. Zweimal täglich werden die Eimer geleert und die Tiere auf die mit Sandhaufen und Schotter vorbereitete Fläche gebracht. Immerhin 200 000 Euro kostet es, die Zauneidechsen-Population auf Halles Rangierbahnhof zu retten. Auf dem Areal sollen 150 Arbeitsplätze entstehen, wobei die meisten Mitarbeiter aus Güterbahnhöfen in der Region kommen dürften. Der Vorteil der ZBA an der Berliner Brücke ist für Torsten Sperling von der DB Netz AG offensichtlich: "Der Raum Halle liegt sehr günstig im Güterverkehrsnetz. Hier kreuzen sich die wichtigsten Schienenwege in Nord-Süd-, vor allem aber in Ost-West-Richtung." Außerdem spiele die Nähe zu den neuen ICE-Trassen nach Berlin und Erfurt eine Rolle, da hierüber auch Güterverkehr gelenkt werden könne (Grafik).

Schallschutz wird weiter beachtet

Früher waren mehr Güterwaggons unterwegs als jetzt in der neuen ZAB geplant. Zudem lärmte die Rangiertechnik damals mehr. Doch das ist schon Jahre her; heute werden nur noch sehr wenige Wagen rangiert. Dennoch wächst bei Anwohnern die Sorge über den Lärm. "Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens wurden passive Schallschutzmaßnahmen festgelegt. So haben einige Wohnungen Anspruch auf Lärmschutzfenster. Weiterer Schallschutz kommt im Zusammenhang mit dem Knotenausbau Halle hinzu", sagt Bahn-Sprecherin Änne Kliem.

Wenn die neue ZBA in Betrieb geht - Teileröffnung schon in zwei Jahren - verschwindet auch das Zauneidechsen-Asyl. Dann kann sich Lacerta agilis wieder auf den gesamten 259 000 Quadratmetern des Rangierbahnhofs ausbreiten.