Halle Halle: Bückware aus dem Plastwerk
Halle (Saale)/MZ. - "Betriebsverkauf" steht an dem Gebäude, das wie eines dieser typischen DDR-Kulturhäuser aussieht. Kein Wunder, es war mal das Kulturhaus des Ammendorfer Plastwerkes. Eine Friedenstaube aus Metall hängt noch immer oben im Giebel. 1 200 Menschen haben bis 1990 in dem bekannten Großbetrieb am Rande der Stadt gearbeitet. Im einstigen Kulturhaus in der Camillo-Irmscher-Straße werden Tapeten verkauft. Die Rollen kommen von nebenan, aus der Tapetenfabrik, einem der wenigen Überbleibsel des Ammendorfer Plastwerkes. Noch. Denn die Ammendorfer Tapetenfabrik schließt Ende August. Die Produktion freilich steht schon seit Monaten still. In der "Tapete", wie der Ammendorfer Betrieb in Halle heißt, haben mal 120 Mitarbeiter Stoff und Papier bedruckt. Nur eine Handvoll belädt heute noch Paletten mit Schaumtapete. "Wir räumen lediglich das Musterlager aus", erläutert einer, der den Gabelstapler fährt. Noch ist das Lager voll. Ab zwei Euro kosten die Auslaufmodelle im "Betriebsverkauf". "Wir sind sicher noch einige Wochen hier. Es ist genug Tapete da."
Produktion lohnt nicht
"Der Betrieb muss aus finanziellen Gründen schließen", sagt "Tapeten"-Geschäftsführer Holger Kincel. Man sei nicht in Insolvenz, die Produktion werde lediglich eingestellt. Es habe sich nicht mehr gelohnt. Das Problem ist vor allem, dass die mehr als 70 Meter lange Monster-Maschine, die in Drei-Bahnen-Breite Strukturtapeten ausspuckt, große Stückzahlen ab 2 000 Rollen liefert. "Doch die Kunden verlangen heute vor allem kleinere Bestellungen", sagt Kincel. Hinzu kämen die gestiegenen Energiekosten.
Stückzahlen waren früher kein Thema. Die eher giftig aussehende, schaumbeschichtete Tapete, auf der unter anderem Rosen erblühten, war ein Verkaufsschlager. Von Anfang an. Die Premieren-Rolle ging 1986 vom Band. 3,6 Millionen Stück folgten pro Jahr. Die Tapete war "Bückware", wie sie im Buch der DDR-Konsumgüter steht. Trotz des Preises. "Rund 40 Mark kostete damals eine Zehn-Meter-Rolle. Doch sie wurden uns aus den Händen gerissen", erinnert sich eine ehemalige Mitarbeiterin.
Maschine kam aus dem Westen
Ein Umstand, der dadurch verstärkt wurde, dass die meisten Tapeten ohnehin in den Westen gingen. Der Deal war folgender: Die Maschine wurde von einer Firma aus dem Westen geliefert. Abbezahlt wurde die Anlage später mit Tapete. Dabei gab es in Ammendorf bis dahin keine Tapeten-Tradition.
Die wurde erst vom Buna-Kombinat im Ammendorfer Plastwerk, dessen Vorläufer 1985 gegründet wurde, mit der befohlenen Konsumgüterproduktion aus dem Boden gestampft. So kümmerte sich das Plastwerk plötzlich auch um Dachrinnen, Badelatschen - und Kaugummi-Grundmasse. Die "Tapete" hat sich länger als alles andere gehalten. Noch vor zehn Jahren wurde in Ammendorf in vier Schichten und an sieben Tagen der Woche produziert.
Doch nun ist Schluss. Für die 25 Jahre alte Fertigungsstrecke, die die DDR als Eigenbau "verkaufte", die aber aus dem Westen kam, werden jetzt Käufer gesucht. "Es gibt einige Interessenten", versichert Geschäftsführer Kincel. Die Druckmaschine der Anlage, die schon lange ausgetauscht wurde, produziert noch immer - in China.